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       # taz.de -- Festgehaltene Deutsche in der Türkei: Hannovers OB bezieht Position
       
       > Seit zehn Monaten sitzt eine Ex-Mitarbeiterin der Stadt Hannover in der
       > Türkei fest. Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) will helfen.
       
   IMG Bild: Auch der Journalist Deniz Yücel wurde in der Türkei festgehalten: Demo-Plakat aus dem Februar 2018
       
       Hannover taz | Ihr Fall ist einer von vielen: Seit Oktober 2019 sitzt eine
       64-jährige in der Türkei fest. Die Sozialpädagogin war mehr als 27 Jahre
       lang bei der Stadt Hannover beschäftigt, insbesondere in der
       Integrationsarbeit. Auch privat engagierte sie sich in diesem Feld.
       
       Die dabei entstandenen Kontakte zu verschiedenen Migrantenorganisationen
       werden ihr nun anscheinend von der türkischen Staatsanwaltschaft
       vorgeworfen: „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ heiße es
       in der Anklageschrift, berichten mehrere Medien übereinstimmend.
       
       Gemeint ist damit wohl vor allem eine kurdische Frauenorganisation. Aber
       auch die Teilnahme an einer Veranstaltung im Kölner DGB-Haus 2017, bei der
       es um das Präsidialsystem in der Türkei ging, wird ihr zum Vorwurf gemacht.
       Die über 50-seitige Anklageschrift, die erst Anfang August vorgelegt wurde,
       richtet sich auch noch gegen weitere Personen.
       
       Angesichts des drohenden Prozesses hat jetzt auch Hannovers neuer
       Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) Position bezogen: In einer
       Pressemitteilung mahnte er an, dass in dem Verfahren gegen die 64-Jährige
       rechtsstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien nicht verletzt werden
       dürften. Außerdem kündigte er an, die türkische Generalkonsulin
       kontaktieren zu wollen.
       
       ## Sie kam von einem Familienbesuch
       
       Verhaftet worden war die 64-Jährige schon im Oktober 2019 am Flughafen in
       Istanbul. Damals wollte sie von einem Besuch bei ihrem Bruder nach
       Deutschland zurückkehren. Nach einigen Tagen Haft wurde sie in die Obhut
       ihrer Schwester entlassen, darf die Türkei aber seither nicht verlassen.
       
       Unterstützer wie Hannovers langjähriger Ex-Oberbürgermeister Herbert
       Schmalstieg protestierten schon damals. Weil die Frau sowohl die türkische
       als auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, schaltete sich auch das
       deutsche Konsulat ein.
       
       Das ist mit einer ganzen Reihe solcher Verfahren befasst. Mehr als 60
       deutsche Staatsbürger säßen aktuell in der Türkei fest und warteten auf
       ihren Prozess, sagte das Auswärtige Amt vor zwei Monaten der Tagesschau.
       
       Anlass war damals ein Fall aus Hamburg, bei dem eine Frau aus noch viel
       banaleren Gründen festgesetzt wurde: Sie hatte offenbar auf Facebook einen
       Beitrag geliked, der ihr als „Präsidentenbeleidigung“ ausgelegt wurde.
       
       ## Existenzbedrohende Ausreisesperren
       
       Das Auswärtige Amt warnt deshalb schon seit einer geraumen Zeit in seinen
       Reisehinweisen vor willkürlichen Verhaftungen und den existenzbedrohenden
       Konsequenzen der Ausreisesperren, mit denen viele Deutsche oder
       Deutschtürken belegt werden, die dann oft monatelang auf ihre Prozesse
       warten. Und dies auch noch oft ohne genau zu wissen, was ihnen konkret
       vorgeworfen wird, weil die Akten in dieser Art von Verfahren schnell einmal
       zur Geheimsache erklärt werden.
       
       Um ins Visier der Behörden zu geraten, reichen oft schon kritische
       Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken oder einzelne Kontakte zu
       Personen, die mit kurdischen Organisationen in Verbindung stehen.
       
       Nicht nur in diesem Fall der ehemaligen städtischen Mitarbeiterin fordert
       nun ein offener Brief an Bundesaußenminister Heiko Maas die Bundesregierung
       zu einer „massiven Intervention“ auf.
       
       Unterzeichnet haben ihn schon 120 Unterstützer, darunter Schriftsteller
       Günther Wallraff, Ex-Ver.di-Chef Frank Bsirske, Ex-Bischöfin Margot Käßmann
       sowie die Ex-Justizministerin Niedersachsens Heidi Merk, die sich seit
       langem zusammen mit ihrem Mann Herbert Schmalstieg in Menschenrechtsfragen
       engagiert.
       
       Neben dem langjährigen Ex-Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) haben
       auch seine Nachfolger im Amt, der jetzige Ministerpräsident, Stephan Weil
       (SPD) und der aktuelle grüne OB Belit Onay, den Brief unterzeichnet.
       
       12 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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