URI: 
       # taz.de -- Gesine Schwan über Olaf Scholz: „Aber dafür ist er solide“
       
       > Dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz fehlt Charisma. Das könnten aber
       > andere in der SPD ausfüllen, sagt Parteikollegin Gesine Schwan.
       
   IMG Bild: Superfrüher Kanzlerkandidat: Olaf Scholz
       
       taz: Frau Schwan, heute wurde [1][Olaf Scholz SPD-Kanzlerkandidat]. Ist es
       nicht zu früh für Wahlkampf? 
       
       Gesine Schwan: Es ist immer zu früh oder zu spät, den richtigen Zeitpunkt
       dafür zu finden. Ich denke aber, die SPD hat gute Gründe: Jetzt sind die
       Sozialdemokraten endlich raus aus der Frage, aus dem ewigen Hin und Her,
       wer nun Kanzlerkandidat wird.
       
       Mit Vizekanzler Olaf Scholz dümpelt die SPD bei 15 Prozent herum. Wie soll
       das mit ihm als Kanzlerkandidat besser werden? 
       
       Olaf Scholz ist sehr qualifiziert fürs Regieren. Sein Engagement für Europa
       und für die Finanzierung des Recovery-Programms wird unterschätzt. Ohne
       seine inhaltliche Mitarbeit oder die seines Ministeriums hätte die
       Kanzlerin dieses Programm für Deutschland gar nicht vorschlagen können. Das
       sollte man ernst nehmen. Aber es stimmt, als Vizekanzler konnte er bislang
       die Umfragen nicht verbessern, das konnten die Parteivorsitzenden auch
       nicht. Jetzt muss das Wahlprogramm deutlich machen, wo unsere Politik
       innovativ ist.
       
       Die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans galten lange als
       Gegner von Scholz, dem Agendapolitiker. Wie soll das jetzt überzeugen? 
       
       Die Agenda ist nun wirklich verabschiedet. Da hat er auch zuletzt nichts
       weiter verfochten bis auf die schwarze Null. Er hat dafür aber im
       Steuerbereich oder auch für ein solidarisches Europa kluge und neue Wege
       gefunden. Links oder rechts ist nicht die Frage. Es geht darum, wie wir in
       der EU und der globalen Arena solidarisch vorankommen und wie wir in
       Deutschland die Diskrepanzen der Einkommen und Vermögen erfolgreich
       bekämpfen – und natürlich auch die diversen rechtsextremen Bestrebungen.
       
       Sie würden also nicht von einer Entmachtung des linken Flügels sprechen? 
       
       Nein, wer soll denn der linke Flügel sein? Zählen Sie mich dazu? Ich wurde
       schon als beides bezeichnet. Als rechts, weil ich mich als
       antikommunistisch positioniert habe, und als links als Gegnerin der
       Agendapolitik. Aber die Agendapolitik ist vorbei. Es geht jetzt um ein
       solidarisches Europa und mehr Mitbestimmung, Bürgerteilhabe vor allem auf
       der Ebene der Kommunen und darum, aktiv und gerecht den sozialökologischen
       Wandel voranzutreiben.
       
       [2][Sie selbst hatten zusammen mit Ralf Stegner für den Parteivorsitz
       kandidiert] – und damit gegen Scholz. Warum überzeugt er Sie jetzt? 
       
       Es ist doch ganz normal im demokratischen Wettbewerb, dass man auch
       gegeneinander kandidiert. Ich habe vor allem gesagt, dass der oder die
       Parteivorsitzende nicht Mitglied der Regierung sein soll, damit sich die
       Partei unabhängig von der Regierungspolitik profilieren kann. Das ist ja
       jetzt der Fall. Also es ging nicht um die Regierungsqualität von Scholz.
       
       Charisma fehlt Scholz aber dennoch … 
       
       Ja, das stimmt, aber dafür ist er solide, ein vertrauenswürdiger, kluger,
       erfahrener und gewissenhafter Politiker. Er sollte sich einfach mit mehr
       Leuten umgeben, die etwas charismatischer sind, und die gibt es ja in der
       SPD. Es ist wichtig, dass neben Scholz mehr Gesichter der Sozialdemokraten
       nach vorne gebracht werden, die andere Facetten der Wähler ansprechen. Wir
       brauchen ein breiteres und attraktiveres persönliches Profil, dafür könnten
       die stellvertretenden Parteivorsitzenden Anke Rehlinger aus dem Saarland
       oder Serpil Midyatli aus Schleswig-Holstein mehr in die Öffentlichkeit
       gebracht werden.
       
       Zurück zu Scholz: Der ist schon beim Parteivorsitz gescheitert, und jetzt
       soll es für den Kanzler reichen? 
       
       Das sind ja zwei verschiedene Funktionen. Was Scholz immer konnte, war
       Regierungsarbeit. Und das ist die Arbeit eines Kanzlers.
       
       Die Kandidatur von Scholz ist nicht besonders aussichtsreich. Wird er nicht
       einfach verheizt und alle hoffen eigentlich [3][auf Kevin Kühnert] in der
       übernächsten Bundestagswahl? 
       
       Darauf müssen wir nicht warten. Und ich habe jetzt zur Europapolitik auch
       nicht viel von ihm gehört; ich weiß nicht, ob alle auf ihn warten, zumal er
       keine Regierungserfahrung hat. Wir brauchen einfach eine neue Politik. Dass
       die Kanzlerin so einen radikalen Schwenk, wie wir ihn immer wollten,
       gemacht hat, das liegt nur daran, dass sie aufhört. Wir brauchen eine
       zukunftsorientierte Europa-, Sozial- und Wirtschaftspolitik.
       
       Weil Sie die Europapolitik in der Coronakrise von Scholz so loben: War das
       nicht pure Notwendigkeit, die auch konservative Politiker*innen
       durchgesetzt hätten? 
       
       Das ist Unsinn. Das hätte Wolfgang Schäuble nicht gemacht.
       
       Was heißt das jetzt eigentlich für mögliche Koalitionen und insbesondere
       die Grünen? 
       
       Die Grünen werden sich jetzt nicht festlegen. Aber ich kenne viele Grüne,
       die nicht Juniorpartner der CDU sein wollen.
       
       [4][Saskia Esken hat gesagt, sie könne sich die SPD auch als Juniorpartner
       der Grünen] vorstellen. Wie finden Sie das? 
       
       Ich glaube, die SPD ist besser geeignet dafür als die Grünen, einen
       sozialökologischen Wandel zu erreichen, der mit sozialer Gerechtigkeit
       zusammengeht. Die Grünen sind zu weit weg von denen, die ein Problem haben
       mit dieser Wende, weil es in ihrem Portemonnaie nicht gut aussieht. Da
       deckt die SPD breitere Schichten ab.
       
       Aber die Agenda 2010 klebt doch an der SPD, dadurch hat die Partei so viel
       Vertrauen verloren in der Wählerschaft. Ist es dann nicht fatal, eine
       Person wie Scholz aufzustellen? 
       
       Ja, einerseits klebt es an der SPD, aber es gibt viel Aufarbeitung und die
       Grünen könnten sich auch nach ihrer Verantwortung bei der Agendapolitik
       fragen. Aber jetzt herrscht Einigkeit, nicht die Große Koalition
       fortzusetzen. Scholz hat früh hohe Mindestlöhne von 12 Euro vorgeschlagen,
       er ist ein solider Sozialdemokrat, auch wenn er nicht alle Fantasien
       beflügelt. Aber darauf kommt es nicht an. Es geht doch darum, ob wir
       gemeinsam substanziell gute Politik machen. Ich habe ihn immer als
       argumentativ erlebt.
       
       Aber nicht beim [5][G20-Gipfel, wo er die Polizeigewalt bestritten hat.]
       
       Ja, da hat er deutlich Fehler gemacht. Aber da ging es nicht um konzipierte
       Politik.
       
       Funktioniert denn überhaupt Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot mit
       Kanzlerkandidat Scholz? Gehen da alle mit? 
       
       Wenn sich am Ende herausstellt, dass eine Kombination der beiden roten
       Parteien und der Grünen nicht unter einem Kanzler Scholz geht, weil die SPD
       nicht stärkste Partei ist, aber sonst ginge, dann wäre ich nicht von
       vornherein dagegen.
       
       11 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Olaf-Scholz-wird-SPD-Kanzlerkandidat/!5701994
   DIR [2] /Gesine-Schwan-und-Ralf-Stegner/!5618719
   DIR [3] /Kevin-Kuehnert-strebt-in-den-Bundestag/!5700169
   DIR [4] /Entscheidung-der-SPD-Spitze/!5706089
   DIR [5] /Film-ueber-G20-Polizeigewalt/!5510648
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
       ## TAGS
       
   DIR Gesine Schwan
   DIR Kanzlerkandidatur
   DIR SPD
   DIR Olaf Scholz
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Kevin Kühnert
   DIR Kanzlerkandidatur
   DIR Kanzlerkandidatur
   DIR Olaf Scholz
   DIR Wahlkampf
   DIR Kevin Kühnert
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR US-Blick auf deutsche Politik: Müssen Kanzler Langweiler sein?
       
       Dass ein Kandidat wie Olaf Scholz Regierungschef wird, wäre in den USA
       undenkbar. Unsere Autorin wundert sich über die Systemunterschiede.
       
   DIR SPD streitet über Kanzlerkandidaten: Krisenbewältigung am Tag danach
       
       Kevin Kühnert will den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz vor „destruktiver
       Kritik“ schützen. An der Basis gibt es Kritik an der Nominierung.
       
   DIR SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz: Eine Chance für Rot-Rot-Grün
       
       Die Nominierung von Olaf Scholz bietet die einzige Möglichkeit für ein
       linkes Bündnis nach der Wahl. Sie ist ein Steilpass für die Grünen.
       
   DIR SPD-Linke über Olaf Scholz' Kandidatur: „Nicht in Jubelorgien einsteigen“
       
       Scholz wird Kanzlerkandidat – und plötzlich scheinen auch die Parteilinken
       zufrieden mit dem einstigen Intimfeind. Was ist da los, Hilde Mattheis?
       
   DIR Olaf Scholz wird SPD-Kanzlerkandidat: Der Mann mit der roten Krawatte
       
       Olaf Scholz wird SPD-Kanzlerkandidat. Die Parteichefs betonen sein hohes
       Ansehen in der Bevölkerung – und die Geschlossenheit in der Partei.
       
   DIR Olaf Scholz wird SPD-Kanzlerkandidat: Ende des linken Flügels
       
       Der linke Flügel der SPD hat sich mit dem Ja zu Scholz selbst entmachtet.
       Mehr als eine sanfte Linkswende traut sich die Partei nicht zu.
       
   DIR Zukunft der SPD: Verwalter des Status quo
       
       Die SPD verharrt im Umfragetief. Das liegt an der Rolle als Juniorpartnerin
       der Union. Doch ein Olaf Scholz als Kanzlerkandidat wird wenig helfen
       können.