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       # taz.de -- Libanon nach der Beirut-Katastrophe: Regierungskrise nach der Explosion
       
       > Im Libanon beginnt die Suche nach einem Ministerpräsidenten. Im Gespräch
       > ist ein derzeitiger Richter am Internationalen Gerichtshof.
       
   IMG Bild: Eine Betonmauer hält DemonstrantInnen vom Parlamentsgebäude in Beiruts Innenstadt fern
       
       Beirut taz | Im Libanon hat nach dem [1][Rücktritt der Regierung am
       Montagabend] die Suche nach einem neuen Ministerpräsidenten begonnen.
       Präsident Michel Aoun will sich zunächst mit Parteien, ehemaligen
       Präsidenten und Ministerpräsidenten treffen, um einen Nachfolger zu
       bestimmen.
       
       Im Gespräch seien Nawaf Salam, ein derzeitiger Richter am Internationalen
       Gerichtshof in Den Haag, sowie Mohammed Baasiri, ehemaliger Vizegouverneur
       der Zentralbank, berichtete die emiratische Tageszeitung The National unter
       Berufung auf eine nicht namentlich genannte Quelle. Die schiitische
       Hisbollah wird die Vorschläge wohl ablehnen, weil ihr die Kandidaten zu eng
       mit den USA verbündet sind.
       
       Im politischem System des Landes ist der Ministerpräsident immer ein
       Sunnit, um den religiösen Proporz zu sichern. Der Parlamentssprecher ist
       Schiit, der Präsident maronitischer Christ. Der Vorschlag für einen neuen
       Ministerpräsidenten aus den Konsultationen geht dann zur Abstimmung ins
       Parlament. Bekommt er das Vertrauen, kann der neue Regierungschef sein
       Kabinett bestimmen.
       
       Das Prozedere dauert in der Regel Monate – Zeit, die der Staat nicht hat.
       Die Staatsschulden betragen mehr als 80 Milliarden Euro, die
       Coronafallzahlen schnellen in die Höhe und die Menschen fordern eine
       unabhängige Aufarbeitung der [2][Explosion in Beirut am vergangenen
       Dienstag].
       
       ## Gesamtes Kabinett bleibt vorerst im Amt
       
       Obwohl vor Regierungschef Hassan Diab bereits mehrere Minister*innen
       zurückgetreten waren, bleibt das Kabinett zunächst vollständig
       geschäftsführend im Amt. Es wird sich jedoch selten treffen und nur eilige
       Gesetze in die Wege leiten – wohl aber kaum ein notwendiges Reformpaket,
       das den Weg frei machen würde für Gelder des Internationalen Währungsfonds
       (IWF) und den Libanon damit aus dem Staatsbankrott führen könnte.
       
       Es ist bereits das zweite Mal innerhalb eines Jahres, dass der Libanon
       einen Regierungschef sucht. Diab war erst im Januar mit einer
       Technokrat*innen-Regierung angetreten, nachdem Vorgänger Saad Hariri als
       Antwort auf Massenproteste im Oktober 2019 zurückgetreten war.
       Analyst*innen zufolge soll mit Diabs Rücktritt der Weg frei sein für eine
       nationale Einheitsregierung, die von allen großen Parteien im Land getragen
       wird. Die Idee unterstützen auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und
       der IWF. Dessen Ökonomen hatten Libanons politische Elite schon vor der
       Explosion zur „Einheit“ ermahnt.
       
       Diab hatte vor seinem Rücktritt eine Neuwahl des Parlaments vorgeschlagen.
       Konstitutionell ist eine solche nicht notwendig. Für die Protestierenden
       ist sein Rücktritt daher unbedeutend. Noch am Montagabend riefen sie
       vermehrt Beleidigungen gegen Aoun und forderten die Auflösung des
       Parlaments. Einige sind der Ansicht, dass Aoun und dem Parlament nicht
       vertraut werden kann, einen Regierungschef zu ernennen, der ihre Interessen
       vertritt.
       
       Die Aktivist*innengruppe LiHaqqi twitterte: „Die einzige Lösung ist eine
       vom System unabhängige Übergangsregierung, die ihre Legitimität vom Volk
       ableitet.“ Andere befürchten, eine Parlamentsauflösung würde weitere
       politische Lähmung bedeuten. Einig sind sich die Protestierenden in ihrer
       Forderung nach einem neuen politischen System.
       
       Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters hatten
       Sicherheitsexpert*innen Diabs Regierung sowie Präsident Aoun erst am 20.
       Juli in einem Brief vor dem Ammoniumnitrat in Beiruts Hafen gewarnt. Die
       Explosion untersuchen soll nun Militärrichter Fadi Akiki, der zum
       Beauftragten für den Justizrat ernannt wurde. Akiki ist mit der Nichte des
       einflussreichen Parlamentssprechers Nabih Berri verheiratet.
       
       11 Aug 2020
       
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