URI: 
       # taz.de -- Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Im Fokus der Aufklärung
       
       > Generalstaatsanwältin wird vom Rechtsausschuss befragt. Was bisher über
       > den Ermittlungsstand in der rechten Anschlagsserie Neukölln bekannt ist.
       
   IMG Bild: Generalstaatsanwältin Margarete Koppers
       
       Berlin taz | Die Enthüllungen um die mutmaßlich rechtsextreme
       Anschlagsserie in Neukölln gehen weiter. Am Mittwoch wird
       Generalstaatsanwältin Margarete Koppers dem Rechtsausschuss Rede und Anwort
       stehen: Warum zwei Staatsanwälte der für politischen Delikte zuständigen
       Abteilung 231 abgelöst worden sind, steht auf dem Fragenzettel der
       Parlamentarier wie die Frage, warum die Täter bisher nicht gefasst worden
       sind. Die taz hat zusammengetragen, was bisher über den Stand bekannt ist.
       Die Sitzung wird live auf der Website des Abgeordnetenhauses übertragen.
       
       Wer wurde wann wegen möglicher Befangenheit abgelöst?
       
       Der Vermerk des Landeskriminalamts (LKA) fiel der Behördenleitung der
       Staatsanwaltschaft am 31. Juli 2020 auf: Eine Opferanwältin hatte im
       Neukölln-Komplex Akteneinsicht beantragt. Am 3. August wurden der
       Oberstaatsanwalt F. und der Staatsanwalt S. von der Leitungsebene mit dem
       Vermerk konfrontiert. S. war bis dahin Ermittlungsführer im Neukölln
       Komplex, F. als Leiter der Abteilung 231 (politische Staatsanwaltschaft)
       sein Chef.
       
       Bei der Konfrontation mit dem LKA-Vermerk soll S. sinngemäß gesagt: Er habe
       die protokollierte Bemerkung des Beschuldigten Tilo P. nicht ernst
       genommen. F. soll bestätigt haben, dass es eine entsprechende
       Zeugenvernehmung von Tilo P. gegeben habe. Er, F., könne sich aber nicht an
       einen Ausspruch seinerseits erinnern, den man als Befangenheit
       interpretieren könne.
       
       Daraufhin wurden die beiden Staatsanwälte abgelöst und in der Behörde
       versetzt. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) soll über den Vorgang am 5.
       August in Kenntnis gesetzt worden sein, als auch die Pressemittlung der
       Generalstaatsanwältin veröffentlicht wurde. Die Umsetzung diene dem Schutz
       aller Beteiligten und dazu, jedem Anschein und Verdacht einer nicht
       sachgemäßen Ermittlungsarbeit entgegenzuwirken, hieß es. Gleichzeitig zog
       Koppers den Ermittlungskomplex Neukölln an sich.
       
       Was stand in dem Vermerk, und wo liegt die Brisanz? 
       
       Von der Anschlagsserie in Neukölln sind Menschen betroffen, die sich gegen
       Rechtsextremismus engagieren. Von 2014 bis heute gibt es rund 400
       Ermittlungsverfahren, rund 70 betreffen Anschläge. Die Palette reicht von
       Schmierereien über Sachbeschädigung bis hin zu Brandstiftungen.
       Nennenswerte Erfolge konnten die Ermittler bisher nicht verzeichnen, obwohl
       die Hauptverdächtigen angeblich bekannt sind. Einer ist der Neonazi
       Sebastian T., ein anderer ist Tilo P., einst auch im AfD-Kreisverband
       Neukölnn aktiv.
       
       Am 2. Februar 2018 fand bei Tilo P. eine Durchsuchung statt. Anlass war,
       dass tags zuvor auf das Auto des Linkenpolitikers Ferat Koçak ein
       Brandanschlag verübt worden war. Nur aufgrund von Glück griff das Feuer
       nicht auf das Haus des Politikers über.
       
       Bei der Durchsuchung wurde bei P. ein Handy mit einem Chatverlauf
       beschlagnahmt. In dem Chat berichtet P. einem anderen AfDler von einer
       Zeugenvernehmung bei der Staatsanwaltschaft. Dabei ging es um einen Angriff
       auf einen Infostand der AfD.
       
       In zwei Chats spricht P. über die Vernehmung: kurz vor dem Termin, der am
       27. März 2017 stattfand und kurz danach. Nach der Vernehmung erzählt er
       sinngemäß: Der Staatsanwalt sei „auf unserer Seite“, der sei AfD-Wähler.
       Der polizeiliche Staatsschutz des LKA hat sich lange Zeit gelassen, um den
       Chatverlauf zu transkribieren.
       
       Erst Ende 2019 ging der Bericht der Polizisten an den Staatsanwalt S.
       Obwohl Tilo P. in dem Chat keinen Namen nennt, schloss das LKA, dass es
       sich um den Oberstaatsanwalt F. handeln müsse, weil der es war, der P. als
       Zeugen geladen hatte. Obwohl F. in dem Vermerk somit namentlich genannt
       ist, unterrichtete S. weder F. noch andere Vorgesetzte.
       
       Erst acht Monate später wurde der Vermerk bekannt. Dass der Chat bei einer
       Durchsuchung und nicht bei einer Telefonüberwachung (TKÜ) anfiel, ist
       wichtig. Man kann ihn nicht damit abtun, P. habe möglicherweise eine
       falsche Fährte gelegt. Bei Kriminellen, die davon ausgehen, dass sie
       abgehört werden, soll das vorkommen.
       
       Wie geht es jetzt weiter? 
       
       Die Polizei-Sonderkommission Fokus wird in den nächsten Wochen ihren
       Abschlussbericht vorlegen. Außerdem hat Innensenator Andreas Geisel (SPD)
       angekündigt, dass eine [1][externe Sonderermittlungsgruppe] mit
       bundesweiter Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus die Unterlagen der
       Polizei noch einmal durchforsten soll. Nachdem Koppers den Neukölln-Komplex
       an sich gezogen hat, macht sich die bei der Generalstaatsanwalt ansässige
       sogenannte Terrorabteilung nun dort auf die Suche nach Ungereimtheiten.
       
       Einen Prozess gegen die Hauptverdächtigen Sebastian T. und Tilo P. gibt es
       immerhin. Am 31. August sind die beiden vor dem Amtsgericht wegen 14
       Sachbeschädigungen – teils allein, teils gemeinsam – angeklagt. In drei
       Fällen geht es auch um das Anbringen von Nazisymbolen.
       
       Das Amtsgericht hatte es ursprünglich abgelehnt, gegen die beiden zu
       eröffnen, weil die Erkenntnisse der Polizei wohl vor allem durch TKÜ
       zustande gekommen sein sollen. Laut Strafprozessordnung ist die TKÜ nur bei
       schweren Straftaten als Beweismittel zulässig. Aber die Staatsanwaltschaft
       hat sich mit ihrer Beschwerde beim Landgericht durchgesetzt.
       
       Warum ist es so schwer, die Hauptverdächtigen zu überführen? 
       
       Dass es bei den Berliner Ermittlungsbehörden rechtsextreme Netzwerke gibt,
       die das verhindern – wie manche vermuten –, dafür gibt es bislang keinen
       Beweis. Vielmehr ist da ein Laptop, der im Februar 2018 bei Sebastian T.
       beschlagnahmt wurde und von dem man sich wesentliche Erkenntnisse erhofft.
       Allerdings konnte das Passwort bisher nicht entschlüsselt werden. Auch das
       BKA sei daran gescheitert, sagte der Koordinator der Fokusgruppe, André
       Rauhut, im Februar nach einer Sitzung des Innenauschusses.
       
       Dem Vernehmen nach hat sich daran nichts verändert. Die letzte Hoffnung
       ruht nun auf einer ausländischen Firma.
       
       Update: In einer vorherigen Version des Textes hatten wir als Jahr der
       Durchsuchung bei Tilo P. 2017 angegeben, doch die Durchsuchung war 2018,
       direkt nach dem Brandanschlag auf das Auto des Linken-Politikers Ferat
       Kocak. Wir haben die Daten im Text korrigiert und den Ablauf präzisiert.
       Die staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmung von Tilo P. wegen des AFD
       Infostandes fand im März 2017 statt, mitten in der Serie der Anschläge, die
       es seit 2016 gab.
       
       16 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Senator-ueber-rechten-Terror-in-Berlin/!5702333&s=Plarre+Geisel/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
       ## TAGS
       
   DIR Andreas Geisel
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Dirk Behrendt
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR NSU 2.0
   DIR Polizei Berlin
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Polizei Berlin
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Die Verdächtigen stehen vor Gericht
       
       Am Montag beginnt der erste Prozess im Komplex um die rechte
       Anschlagsserie. Allerdings geht es nur um Sachbeschädigung und
       Nazi-Propaganda.
       
   DIR Abgeordnetenhaus aus den Ferien zurück: Ein Ziel, viele Wege
       
       Alle Fraktionen wollen Aufklärung der Neuköllner Anschläge, aber auf
       unterschiedliche Art. SPD sieht keine rechtsextremen Netzwerke in der
       Polizei.
       
   DIR Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Nie eine Antwort bekommen
       
       Generalstaatsanwältin begründet im Rechtsauschuss, warum zwei Staatsanwälte
       abgelöst wurden. Es dürfe nicht der geringste Zweifel entstehen.
       
   DIR Rechte Anschlagsserie Berlin-Neukölln: Stochern im rechten Sumpf
       
       Innensenator Geisel will die Anschlagsserie von einer Kommission
       untersuchen lassen. Die Grünen fordern, die Polizei genau in den Blick zu
       nehmen.
       
   DIR Senator über rechten Terror in Berlin: „Dieses Versäumnis ist ein Problem“
       
       Bei der Untersuchung der rechten Terrorserie in Neukölln gab es Fehler,
       sagt Berlins Innensenator Geisel (SPD). Er wird Sonderermittler einsetzen.
       
   DIR Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Es rumort in der Staatsanwaltschaft
       
       Nach der Versetzung zweier Staatsanwälte gibt es Kritik an
       Generalstaatsanwältin Koppers und Justizsenator Behrendt. Strafverteidiger
       widersprechen.