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       # taz.de -- Das Trauma sichtbar machen
       
       > Die Polizei in der Kunst (7): Andy Warhols duplizierte Kunst schärft den
       > Blick auf rassistisch strukturierte US-Institutionen. Sein Gemälde „Race
       > Riot“ zeigt, dass die Gewalt 1963 vom Staat ausging
       
   IMG Bild: Andy Warhols „Race Riot“ (Rassenunruhen) aus dem Jahr 1964 als Siebdruck mit Acrylfarben auf Leinen (325,8 x 210,8 cm) ist als Leihgabe des Museum Ludwigs derzeit in der aktuellen Andy Warhol Ausstellung der Tate Modern nach ihrer Wiedereröffnung noch bis zum 6. September zu sehen. Credit: © 2020 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by DACS, London
       
       Von Sebastian Strenger
       
       Der Pop-Art-Künstler Andy Warhol (1928–1987) produzierte das Gemälde „Race
       Riot“ (Rassenunruhen) als Teil seiner zwischen 1962 und 1964 entstandenen
       Werkserie „Death and Desaster“, die ursprünglich „Tod in Amerika“ heißen
       sollte. Auslöser der Serie war seine Lektüre des New York Mirror, wo er am
       4. Juni 1962 von einem Flugzeugabsturz mit 129 Toten las.
       
       Das hier vorliegende Gemälde zeigt den friedlichen Marsch der
       US-Bürgerrechtsbewegung durch Birmingham, Alabama im Jahr 1963, bei dem die
       Demonstranten, angeführt von Martin Luther King Jr., Ralph Abernathy, Fred
       Shuttlesworth und Rosa Parks, von der Polizei gestört wurden. Dieses Werk
       zählt neben Warhols Doppel-Elvis, seiner Brillo-Box und Porträts Marylin
       Monroes zu seinen bekanntesten Gemälden. Obwohl es thematisch nicht
       zwingend in die Serie über Tod und Katastrophen passt, bestand Andy Warhol
       darauf, seine Bilder der „Rassenunruhen“ in diese Serie aufzunehmen, die
       ansonsten von Autounfällen, Suizid oder dem Tod auf dem elektrischen Stuhl
       handelt.
       
       Am 10. Mai 1963 hatten sich in Birmingham prominente Bürgerrechtler mit der
       Stadt auf einen Pakt geeinigt, der die Aufhebung aller Rassenschranken
       vorsah. Ein Bombenanschlag auf ihr Hotel führte zu gewalttätigen
       Ausschreitungen zunächst der Schwarzen und dann der weißen Bevölkerung. Am
       11. Juni 1963 schließlich wandte sich John F. Kennedy in einer
       Fernsehansprache an das amerikanische Volk und stellte sich hinter den
       Kampf um Gleichberechtigung. 1964 wurde dann der Civil Rights Act
       verabschiedet, der Diskriminierung aufgrund von „Rasse“, Hautfarbe,
       Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft verbietet. Er gilt heute als
       eines der bedeutendsten Gesetze zur rechtlichen Gleichstellung von
       Afroamerikanern in den Vereinigten Staaten.
       
       Der friedliche Marsch der Demonstranten während ihrer Birmingham-Kampagne
       war schon vor den Bombenanschlägen von der weiß dominierten Polizei massiv
       mit Löschwasser aus Feuerwehrautos und mit Polizeihunden gestört worden.
       Die Fotos, die von diesen Übergriffen entstanden, brannten sich in das
       kollektive Gedächtnis der Nation ein und übten einen starken Einfluss auf
       den Erfolg der Bürgerrechtsbewegung aus.
       
       Die Vorlage für Warhols Gemälde lieferte ein Originalfoto vom bekannten
       amerikanischen Pressefotografen Charles Moore, der seit 1958 die
       Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung dokumentierte. Am 3. Mai 1963 drückte
       er auf den Kameraauslöser und dokumentierte so die Gewalt der mit Stöcken
       und Hunden bewaffneten weißen Polizisten auf friedlich demonstrierende
       Schwarze Bürgerrechtler in einem Park in Birmingham, Alabama. Das Life
       Magazine druckte es, und Warhol nutzte diese Bildvorlage für sein Bild in
       dem ihm eigenen, berühmt gewordenen repetitiven Stil.
       
       Dabei setzte er dasselbe Motiv zahlreiche Male nebeneinander, wobei er
       verschiedene Farbtöne und Bildausschnitte nutze. Indem Andy Warhol für den
       Titel seines Siebdrucks den Begriff „Riot“ (Ausschreitung, Aufstand) wählt,
       nutzt er einen mit Gewalt assoziierten Begriff zur Beschreibung der
       Proteste und wiederholt als weißer Künstler eine Bezeichnung, die der
       gewaltfreien Bürgerrechtsbewegung ein negatives bis illegitimes Image
       verleiht. Letztlich lag die Gewalt jedoch aufseiten des US-amerikanischen
       Staates und seiner rassistisch strukturierten Institutionen, und Warhol
       machte durch Vervielfältigung im Bild das Trauma einer ganzen
       US-Gesellschaft sichtbar.
       
       Und dieses besteht ja nach Freud gerade darin, dass nicht die primäre
       Erfahrung das eigentliche Problem ist, sondern die Verdrängung, die
       stattfindet, wenn man mit dem Trauma explizit wieder konfrontiert wird.
       
       Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und
       wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren
       Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die
       Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte folgen.
       
       17 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Strenger
       
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