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       # taz.de -- ARD-Spielfilm „Alles ist gut“: Vergewaltigung, echt jetzt?
       
       > Eva Trobisch erzählt von einer Frau, die kein Opfer sein will. Und die
       > ARD klopft sich für 20 Jahre „FilmDebüt im Ersten“ auf die Schulter.
       
   IMG Bild: Janne sucht Geborgenheit bei ihrem Freund Piet. Und macht viel mit sich aus
       
       Die erste Sexszene: alkoholisiert und unbeholfen. Der Schauspieler Andreas
       Döhler kennt das schon aus den Filmen von Jan Bonny, in denen er mehrfach
       gespielt hat. Dass es seine Partnerin ist, die die obere Position einnimmt,
       fällt einem erst rückblickend auf.
       
       Wie lange der von Döhler dargestellte Piet und Janne (Aenne Schwarz, „Vor
       der Morgenröte“) schon zusammen sind, erfährt man nicht. Auch nicht, was
       zuerst kam, die private oder die berufliche Partnerschaft mit dem
       Kleinverlag, über den gerade das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Klar,
       dass darunter auch die Paarbeziehung leidet. Auch weil Piet immer gleich so
       eingeschnappt reagiert, etwa wenn ein alter Bekannter (Tilo Nest) Janne
       einen Job als Cheflektorin anbietet. Janne ist da eher der unkomplizierte
       Typ, kumpelhaft. Mit ihr kann man – kann Martin (Hans Löw) auf dem
       Klassentreffen einen über den Durst trinken, und sie sagt dann bloß: „Du
       pennst jetzt einfach auf der Couch.“
       
       Die zweite Sexszene: wenn man das so nennen will. Janne hat Martin das
       Bettzeug gegeben, sie trinken beide noch ein großes Glas Wasser in der
       Küche. „Jetzt mal schlafen!“, sagt sie. „Nee, komm! Lass mal küssen!“, sagt
       er.
       
       Janne will nicht küssen und macht das auch klar. Aber Martin gibt keine
       Ruhe, nicht einmal nachdem Janne schon mit dem Kopf an die Tischkante
       geknallt ist. Sie wehrt sich nicht stark, aber sie wehrt sich. „Echt jetzt,
       ja?“, fragt sie noch, weil sie gar nicht glauben kann, was ihr da gerade
       widerfährt. Martin habe „gegen ihren Willen mit ihr geschlafen“, umschreibt
       es der Text in der Pressemappe.
       
       ## Aussage steht gegen Aussage
       
       Martin hat Janne vergewaltigt. Das Gezeigte lässt da keinen
       Interpretationsspielraum. Nur dass es natürlich keine Zeugen gibt. Dass bei
       Vergewaltigungsprozessen typischerweise Aussage gegen Aussage steht. Dass,
       wer einen anderen der Vergewaltigung bezichtigt, am Ende auch als
       Verleumderin dastehen und sogar selbst bestraft werden kann. Man denke an
       die Verfahren gegen Jörg Kachelmann und [1][Gina-Lisa Lohfink]. Und das
       Aufsehen, das man machen muss. Die Opferrolle, die man einnehmen muss.
       
       Ob das wirklich sein muss? Ob das die Gedanken sind, die Janne durch den
       Kopf gehen? Sie teilt sie mit niemandem. Hinzu kommt, dass Martin mit dem
       Mann verschwägert ist, der Janne den Job besorgt hat. Wem hilft es, was
       hilft es ihr, jetzt eine große Sache daraus zu machen? Aus der
       Vergewaltigung, die hier nicht ein einziges Mal als solche benannt wird:
       nicht im Pressetext, nicht einmal von Janne. Janne will gar nicht erst
       darüber reden, nicht mit ihrer Mutter (Lina Wendel) und schon gar nicht mit
       Martin, dem Waschlappen, der zwar unbedingt darüber reden will, dann aber
       auch nicht weiß „was man da jetzt so macht“.
       
       ## Kann man entscheiden, ob man Opfer ist?
       
       Davon, dass es auch keine Lösung ist, zum „business as usual“ überzugehen
       nach einer Vergewaltigung, Zähneputzen nicht vergessen, handelt der Film
       [2][„Alles ist gut“]. „Kann man entscheiden, ob man Opfer ist?“, fragt die
       Regisseurin. Es ist der erste Langfilm von Eva Trobisch, und [3][die ARD
       zeigt ihn] zum – starken – Auftakt ihres diesjährigen Durchgangs des
       „FilmDebüts im Ersten“.
       
       Die Reihe begeht ihr 20-jähriges Jubiläum, und die ARD klopft sich ein
       bisschen selbst auf die Schulter, indem sie, schon seit Juli, auf One die
       „FilmDebüt“-Filme von unter anderen Hans Steinbichler und Maren Ade
       wiederholt. Die haben sich – der ARD sei Dank, will sie damit wohl sagen –
       danach ebenso etablieren können wie Jan Bonny. Dessen „FilmDebüt“
       („Gegenüber“, 2007) zeigt die ARD nicht. Etwa weil sie ihren Zuschauern
       nicht zu viel – im weitesten Sinne – schlechten Sex zumuten will?
       
       Dass die ARD es offenbar gerade dringend nötig hat, sich selbst auf die
       Schulter zu klopfen, kann man auch an einem Satz ablesen, den sie vor 20
       Jahren nicht in ihre Pressemappen geschrieben hätte, mit dem sie heute aber
       den Film von Eva Trobisch bewirbt: „2019 wurde er von Netflix angekauft.“
       
       17 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neues-Gerichtsurteil/!5420933
   DIR [2] /Deutscher-Spielfilm-Alles-ist-gut/!5536301
   DIR [3] https://www.daserste.de/unterhaltung/film/filmdebuet-im-ersten/sendung/alles-ist-gut-108.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Müller
       
       ## TAGS
       
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