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       # taz.de -- Longlist zum Deutschen Buchpreis: Souveräne Mischung
       
       > Beim Lesen nur nicht langweilen lassen: Die diesjährige Longlist zum
       > Deutschen Buchpreis würfelt viele Schreibansätze durcheinander.
       
   IMG Bild: Kein alten Hasen darunter: die diesjährige Jury beim Deutschen Buchpreis
       
       Dieses Jahr ist die Longlist zum Deutschen Buchpreis mit noch einmal
       besonderer Aufmerksamkeit erwartet worden. Das liegt an der Zusammensetzung
       der Jury. Von einem Generationswechsel in der deutschsprachigen
       Literaturkritik zu sprechen ist zwar schon deshalb schwierig, weil sich
       eindeutig identifizierbare Generationen längst aufgelöst haben; es gibt sie
       einfach nicht mehr, die in sich festgefügten Kohorten graurückiger
       Positionsbesetzer einerseits und mit den Hufen scharrender Nachwuchskräften
       andererseits.
       
       Aber etwas von Coolness und Frische strahlt die diesjährige Jury
       tatsächlich aus. Keine sogenannten alten Hasen sind darunter. Es gibt
       Bloggerinnen und Twitterer. Es gibt auch eine Ausstrahlung, die nicht nach
       pflichtschuldigem Dienst an der Literaturvermittlung aussieht, sondern nach
       dem Willen, Texte zu entdecken und sich beim Lesen bloß nicht zu
       langweilen.
       
       Und tatsächlich scheint mir, wenn man jetzt auf die Liste guckt, aus den
       Jurydiskussionen eine ziemlich souveräne Mischung unterschiedlicher
       Schreibansätze herausgekommen zu sein. Erwartete Namen, Überraschungen,
       alte Bekannte, schöne Debüts und Autor*innen, bei denen auch
       Literaturredakteure erst noch einmal nachgoogeln müssen, quer
       durcheinander.
       
       Romane aus dem Frühjahrsprogramm sind auf der Longlist stark vertreten.
       [1][„Serpentinen“ von Bov Bjerg], [2][„Allegro Pastell“ von Leif Randt],
       [3][„1000 Serpentinen Angst“ von Olivia Wenzel] und auch [4][„Ich an meiner
       Seite“ von Birgit Birnbacher] waren mehr oder weniger zu erwarten.
       
       Überraschend und schön ist, dass Eva Sichelschmidt mit „Bis wieder einer
       weint“ und auch [5][Frank Witzels „Inniger Schiffbruch“] vertreten sind;
       unterschiedlicher können Auseinandersetzungen mit Familiengeschichte in der
       alten Bundesrepublik nun wirklich nicht ausfallen.
       
       ## Auch ein Versepos auf der Liste
       
       Und wirklich toll, dass durch die Liste auf [6][Anne Webers Heldinnenepos
       „Annette“] nun noch einmal aufmerksam gemacht wird: Erneuerung der
       Literatur durch einen Rückgriff auf die Form des Versepos, darauf musste
       man erst einmal kommen.
       
       Von den Namen bei den gerade erschienenen oder noch bis zum Oktober
       erscheinenden Titeln, die zumindest Literaturredaktionen eh auf dem Schirm
       haben, finden sich „Malé“ von Roman Ehrlich, „Aus der Zuckerfabrik“ von
       Dorothee Elmiger, „Herzfaden“ von Thomas Hettche und „Die Unschärfe der
       Welt“ von Iris Wolff. [7][Deniz Ohdes Debütroman „Streulicht“] wird sicher
       sowieso noch für Aufmerksamkeit sorgen.
       
       Robert Seethalers Mahler-Betextung „Der letzte Satz“ fällt dagegen
       einigermaßen aus der Liste heraus, weil das wie ein Kompromiss für
       Buchhandelstische wirkt.
       
       ## Damen mit bemalten Händen
       
       Und dann geht schon das Gegoogel und das Nachblättern in den
       Verlagskatalogen los (beziehungsweise das Nachwischen auf dem Tablet, da
       die Kataloge inzwischen oft nur noch elektronisch versandt werden).
       
       Was war noch mal Helena Adler „Die Infantin trägt den Scheitel links“, Arno
       Camenisch „Goldene Jahre“, „Mission Pflaumenbaum“ von Jens Wonneberger,
       „Die Dame mit der bemalten Hand“ von Christine Wunnicke oder „Triceratops“
       von Stephan Roiss? Da gäbe es jetzt also die Gelegenheit, sich auf
       möglicherweise interessante Lektüren einzulassen oder auch sie nachzuholen.
       
       ## Viele engagierte Verlage
       
       Auffällig dabei ist jedenfalls schon mal, dass viele kleinere, engagierte
       Verlage auf der Liste berücksichtigt sind: Jung und Jung, Engeler, Müry
       Salzmann, Berenberg zum Beispiel.
       
       Die Shortlist mit noch sechs Kandiat*innen kommt am 15. September raus,
       dann muss sich diese Jury noch einmal anders zeigen, weil sie sich dann
       noch einmal schärfer zwischen realistischen und avancierten Schreibansätzen
       entscheiden muss. Der/die Preisträger*in verkündet wird am 12. Oktober.
       
       18 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bov-Bjergs-neuer-Roman-Serpentinen/!5660323
   DIR [2] /Leif-Randts-Roman-Allegro-Pastell/!5667929
   DIR [3] /Autorin-Olivia-Wenzel-ueber-Identitaet/!5666451
   DIR [4] /Roman-Ich-an-meiner-Seite/!5679278
   DIR [5] /Aktuelle-Romane-ueber-Rueckkehr/!5686864
   DIR [6] /Wiederentdeckung-des-Versepos/!5706276
   DIR [7] /Debuetroman-von-Deniz-Ohde/!5703225
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dirk Knipphals
       
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