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       # taz.de -- Mord an Walter Lübcke: Angeklagter stellt sich der Familie
       
       > Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke beantwortet der Angeklagte Fragen
       > der Familie des Opfers – und belastet einen Mitangeklagten weiter schwer.
       
   IMG Bild: Der Angeklagte Stephan Ernst (rechts) mit seinem Anwalt Mustafa Kaplan im Gericht
       
       Frankfurt/Main taz | Ihre Blicke lassen Stephan Ernst nicht los. Irmgard
       Braun-Lübcke, Christoph und [1][Jan-Hendrik Lübcke] starren auf den
       Angeklagten, verfolgen jedes seiner Worte. Noch am Vortag hatten sie
       eingefordert, dass Ernst „reinen Tisch“ mache. Und nun spricht der
       46-Jährige. Über den [2][Mord an ihrem Mann und Vater].
       
       Ob er sich vor dem Mord Gedanken gemacht habe, dass er der Familie einen
       geliebten Menschen nehmen werde, fragt Holger Matt, der Anwalt der Familie.
       Ernst zögert, starrt auf den Tisch vor sich. „Nein, habe ich mir nicht
       gemacht.“ Ob er daran gedacht habe, dass Walter Lübcke noch leben wollte,
       den bevorstehenden Ruhestand genießen? Wieder stockt Ernst, diesmal viele
       Sekunden lang, im Saal ist es ganz still. „Darf ich meinen Anwalt
       sprechen?“ Dann antwortet er auch hier: „Darüber habe ich mir keine
       Gedanken gemacht.“
       
       In der Nacht zum 2. Juni 2019 [3][soll Stephan Ernst den Kasseler
       Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben], mit einem Kopfschuss,
       vor dessen Haus im Dorf Istha. Seit Juni steht der Rechtsextremist dafür
       [4][vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main]. Und nun muss Ernst
       erstmals die Fragen derjenigen beantworten, die für immer unter der Tat
       leiden werden: den Angehörigen von Walter Lübcke.
       
       Für Ernst ist es der fünfte Tag, an dem er im Prozess zu der Mordtat
       aussagt. [5][Schon kurz nach seiner Verhaftung hatte er die Tat gestanden]:
       Er allein habe Lübcke erschossen, aus Wut über dessen Kritik an
       Geflüchtetengegnern im Jahr 2015.
       
       ## Rechtsextreme Gesinnung als Tatmotiv
       
       Dann [6][die Kehrtwende]: Nun sollte der Mitangeklagte und frühere Freund
       Markus H. der Schütze gewesen sein, ebenfalls ein Kasseler Rechtsextremist.
       Man sei gemeinsam bei Lübcke gewesen, der Schuss aus Versehen gefallen. Im
       Prozess nun [7][Variante drei]: Er habe doch geschossen, der Mord sei
       geplant gewesen, gestand Ernst. Aber Markus H. sei auch mit vor Ort
       gewesen.
       
       Am Mittwoch bleibt Ernst bei dieser Variante. Auf die Fragen von
       Opferanwalt Holger Matt räumt er nochmals ein, im Frühjahr 2019 den
       Mordplan mit Markus H. geschmiedet zu haben. Schildert, wie sich beide auf
       die Terrasse schlichen und er schoss. Matt hakt nach: Gab es weitere
       Mitwisser? „Von meiner Seite nein.“ Kollegen, die Bescheid wussten?
       Informanten im Dorf? „Nein.“
       
       Ernst beantwortet die Fragen knapp, mit gedrückter Stimme, überlegt oft
       lange oder berät sich mit seinem Anwalt. Die Lübckes machen sich dazu
       Notizen. Immer wieder fragt Matt nach dem Tatmotiv. „Die Gesinnung“, sagt
       Ernst.
       
       ## NSDAP-Programm auf dem PC
       
       Die Verteidiger von Markus H. versuchen genau dieses Motiv zu zerstreuen.
       Wahrscheinlicher sei die Tat eines psychisch Gestörten, so ihr Einwurf. Am
       Mittwoch halten sie auch Sozialneid für möglich – weil sich Ernst in einer
       Ehekrise befand und Lübcke ein heiles Familienleben lebte. Ernst aber lässt
       keinen Zweifel, dass sein Antrieb der Hass auf die Flüchtlingspolitik war.
       „Und Lübcke war erreichbar.“
       
       Immer wieder belastet Ernst dabei Markus H. Dieser habe ihn angestachelt,
       vor einem Bürgerkrieg gewarnt, Waffen zum „extremen Thema“ gemacht. Lübcke
       müsse aufgehängt werden, habe H. gesagt. Ob Markus H. andere eingeweiht
       habe, fragt Matt. „Kann ich nicht sagen.“ Der Opferanwalt aber verweist auf
       gelöschte Chats mit einem anderen Neonazi, Alexander S. Und auf ein
       längeres Telefonat am Tattag von Markus H. mit ebenjenem Alexander S. „Dazu
       kann ich nichts sagen.“
       
       Auch BKA-Ermittlerinnen, die am Nachmittag aussagen, belasten Markus H.,
       dem Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird. Auf seinem PC fanden sie Bilder des
       Neonazis in Uniform, mit Hitlergruß oder auf Szene-Aufmärschen, sie
       entdeckten Hitlers „Mein Kampf“ oder das NSDAP-Programm. All dies sei
       gelöscht gewesen, konnte aber wiederhergestellt werden.
       
       ## Markus H. spricht erstmals
       
       Markus H. – der zu den Vorwürfen schweigt – erhebt darauf erstmals das
       Wort, wirft ein, die Daten könnten doch von einem früheren Nutzer der
       Festplatte sein. Indes: Es waren nicht die einzigen Nazi-Devotionalien, die
       Ermittler bei ihm fanden.
       
       Und so bleiben auch am Mittwoch offene Fragen. War Markus H. wirklich am
       Tatort? Wer trieb den Mordplan voran? Gab es nicht doch weitere Mitwisser?
       Matt fragt Ernst noch, ob er den Mord an Walter Lübcke bereue? „Ja, auf
       jeden Fall.“ Könne man sich darauf verlassen, dass er diesmal die ganze
       Wahrheit gesagt habe? „Ja.“
       
       Jan-Hendrik Lübcke, der Sohn von Walter Lübcke, der seinen Vater sterbend
       auf der Terrasse fand, hatte schon Ende Juli im Prozess ausgesagt. Die Tat
       habe seine Familie „innerlich zerrissen“, sagte er. „Wir werden niemals
       damit fertig werden, was unserem Vater angetan wurde.“
       
       19 Aug 2020
       
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