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       # taz.de -- Bewerbung auf das Oblomow-Stipendium: „Ich möchte mich stellen“
       
       > Die Hamburger Hochschule für bildende Künste hat ein Stipendium für
       > Nichtstun ausgelobt. Unsere Autorin Yevgeniya Shcherbakova bewirbt sich
       > hiermit.
       
   IMG Bild: Nicht immer einfach: Mensch auf Entzug von der Droge Arbeit
       
       Liebe Förder*innen des guten Lebens,
       
       man könnte sagen, ich habe auf Ihre Ausschreibung gewartet! Ein
       1.600-Euro-[1][Stipendium der Hamburger Hochschule für bildende Künste fürs
       Nichtstun] bietet mir endlich die Gelegenheit, wegzukommen von dieser Droge
       namens „Allestun“ mit den Begleiterscheinungen „Schneller-“ und
       „Bessertun.“
       
       Mehrere Versuche sind bereits gescheitert: Yoga, Meditation, Laufen –
       alles, was mein Chef mir empfohlen hat, blieb erfolglos. Entgegen meiner
       Erwartung, haben sie mich der Work-Life-Balance nicht näher, sondern dazu
       gebracht, mehr zu tun.
       
       Wie bei meinen vorangegangen Entzügen stehe ich auch jetzt vor der
       Herausforderung, Nichtstun nicht als Überforderung zu empfinden. Denn je
       mehr ich daran denke, was ich alles nicht tun könnte, desto größer ist der
       Zwang, dieses vermeintliche Loch füllen zu müssen; wieder einen Zug zu
       nehmen, für den trügerischen Kick, der sich Anerkennung nennt, aber ins
       Burn-out führt.
       
       Allein aus diesem Grund wäre es endlich an der Zeit, mich dem Nichtstun zu
       stellen. 1.600 Euro sind ein Ansporn, den ich bisher nur für Überstunden
       kannte. Was würde ich nicht alles nicht für dieses Geld tun, was ich vorher
       dafür tun musste!
       
       Da ein solcher Entzug in vier Phasen abläuft und Sie mir mit dem Geld
       bereits die erste abgenommen haben, die Motivation, bleiben nur noch
       Entgiftung, Entwöhnung und Nachsorge.
       
       Auf 24 Tage gerechnet, im Übrigen auch die maximale Dauer die ich
       aufbringen kann für dieses persönliche Experiment (mehr Urlaubstage bekomme
       ich von der Chefetage leider nicht genehmigt), würde ich damit beginnen,
       nicht immer Ja zu sagen. „Nein zu Drogen!“, würde ich dann auf alle Bitten
       meiner Vorgesetzten antworten. Vor allem im Urlaub fällt mir das schwer. In
       diesem Urlaub würde ich sogar aufhören, von Arbeit zu sprechen, sogar das
       Passivkonsumieren unterlassen, indem ich meine Freunde nicht mehr nach
       ihrer Arbeit ausfrage. Ich würde stattdessen so was fragen wie: „Und, wie
       war die Freizeit heute so?“
       
       Beim Lesen würde ich nicht auf die Uhr schauen, mein Handy nicht auf
       Spaziergänge mitnehmen, ich würde nicht darauf warten, dass man mich auf
       Arbeit wieder braucht. Ich hätte kein schlechtes Gewissen, weil ich mich am
       Wochenende nicht zurückgemeldet habe. Ich würde mich nicht mehr über meine
       Arbeit definieren. Ich wäre mir nicht mehr unsicher, ob ich genug schaffe –
       oder bin. Ich würde all diese antrainierten Gefühle nicht mehr so stehen
       lassen.
       
       Allein durch Ihre Ausschreibung haben Sie mich zu einer grausigeren
       Selbsterkenntnis gebracht als es das Spiegelbild bei Dorian Gray schaffte.
       Das macht mir aber umso deutlicher, wie wichtig Nachsorge ist: Jeden Monat
       1.600 Euro, mindestens. Einfach so! Am besten per Gesetz, und zwar für
       alle. Das wär’s doch!
       
       In Erwartung einer positiven Antwort
       
       Yevgeniya Shcherbakova
       
       23 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.hfbk-hamburg.de/de/aktuelles/ausschreibungen/20200915-schule-der-folgenlosigkeit-stipendium-f%C3%BCr-nichtstun/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yevgeniya Shcherbakova
       
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