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       # taz.de -- Deutschland-Achter ohne Rennen: Großer Mann mit breiten Schultern
       
       > Richard Schmidt wollte diesen Sommer seinen zweiten Olympiasieg holen.
       > Nun trainiert er weiter und schreibt nebenbei an seiner Doktorarbeit.
       
   IMG Bild: Einstieg ins olympische Projekt: Training des Deutschland-Achters 2019
       
       Ein Ruderer allein kann einen Achter nicht zum Erfolg führen. Es braucht
       schon acht bärenstarke Kerle, jeder für sich ein Brocken von Minimum 90
       Kilogramm, und einen Steuermann, klein und leicht. Wenn alle alles geben,
       nicht nur im Rennen, sondern an jedem einzelnen Trainingstag im Jahr, dann
       kann etwas Großes dabei herauskommen. Etwas wie die aktuelle Siegesserie
       des Deutschland-Achters. Nach unter anderem drei WM-Siegen in Folge sollte
       sie im Sommer in Tokio im Olympiasieg gipfeln. Doch Corona hat alles
       durcheinandergebracht.
       
       Ein olympisches Ruderrennen geht über 2.000 Meter. Im Deutschland-Achter
       absolvieren die Ruderer abhängig vom Wind 210 bis 240 Schläge und treiben
       ihr Boot mit durchschnittlich 23 Kilometern pro Stunde voran. Die
       Weltbestzeit: 5:18,68 Minuten. Aufgestellt 2017 vom Deutschland-Achter.
       Richard Schmidt, Dienstältester der Crew, erklärt die verschiedenen Phasen
       eines Rennens.
       
       Die ersten 500 Meter: „So ein Achter ist natürlich schwer und ziemlich
       träge, der muss erst mal angeschoben werden. Nach drei, vier Schlägen fängt
       er an zu laufen. Spätestens nach dem zehnten Schlag ist das Boot auf Tempo.
       Die Startphase dauert 300 bis 400 Meter, dann hat sich das Feld leicht
       vorsortiert. Jetzt kommt der Steuermann ins Spiel, der hoffentlich nicht
       viel steuert, denn wir sollten ja maximal gerade fahren, der aber für die
       Renntaktik verantwortlich ist. Wir haben totales Vertrauen zu ihm. Wir
       gucken nicht selber raus, das ist schlecht für das Boot. Er sagt uns, wie
       wir liegen, wann wir den nächsten Zehner fahren, also den nächsten
       Zwischensprint. Oder er gibt kurze Hinweise, wenn bei einem von uns die
       Technik hakt.“ 
       
       Seit 2009 gab es für das Flaggschiff des Deutschen Ruderverbands (DRV)
       sechs WM-Siege und dreimal WM-Silber, achtmal EM-Gold, [1][einen
       Olympiasieg] (2012 in London) und eine olympische Silbermedaille (2016 in
       Rio). Seit 2017 ist das Team fast ungeschlagen – nur in einem einzigen
       Rennen gab es statt eines Sieges Platz zwei.
       
       Ein Ruderer allein kann einen Achter nicht zum Erfolg führen. Aber Richard
       Schmidt ist wohl schon so etwas wie der Motor der Mannschaften der letzten
       elf Jahre. Mit einigen Pferdestärken ausgestattet, zuverlässig und stets
       gut geölt. Seit 2009 ist der 33 Jahre alte Vater einer Tochter dabei, nur
       Steuermann Martin Sauer sitzt schon genauso lang im Achter. Bundestrainer
       Uwe Bender sagt über Schmidt: „Richard ist ein sehr harter Arbeiter mit
       einer enormen Konstanz. So einen Sportler gibt es ganz selten. Er ist mit
       seiner Erfahrung, seiner Leistung und seiner Arbeitseinstellung eine ganz
       wichtige Größe im Deutschland-Achter.“
       
       ## „... als gäbe es keine Schläge mehr“
       
       Die Zwischenspurts: „Bei einem Zehner versuchen wir, bei den nächsten zehn
       Schlägen noch mal übers Limit hinauszugehen. Wir fahren den Zehner so, als
       gäbe es danach keine Schläge mehr. Das kann man nicht so oft machen.
       Wirklich seriös geht das nur zwei, drei Mal in einem Rennen, dann war es
       das. Der Trick dabei ist: Jeder muss mitmachen, es darf sich keiner
       schonen. Man geht gemeinsam hoch und kann dann gemeinsam wieder etwas
       abfallen. Wenn das gemeinsam passiert, ist das nicht so schlimm für den
       Bootslauf.“ 
       
       Seit mehr als einem Jahrzehnt schuftet Richard Schmidt im Winter für die
       Freuden des Sommers. Morgens um sechs oder sieben Uhr werden bei Regen,
       Wind und Dunkelheit auf dem Wasser Kilometer geschrubbt, im Kraftraum
       müssen Eisen gestemmt und auf dem Ruder-Ergometer enorme Watt-Leistungen
       weggezogen werden. Das kostet Unmengen an Schweiß. Und etliche Stunden an
       Zeit mit der Familie.
       
       Aber dann kommt der Sommer. Das „Schönwetter-Rudern“, wie Schmidt es nennt.
       Körperlich nicht weniger anstrengend, aber Balsam für die Seele. „Im Sommer
       ganz früh morgens über das glatte Wasser zu rudern, das macht einfach
       Spaß“, sagt er. Siege zu feiern, das macht auch Spaß. Doch im Moment gibt
       es nichts zu gewinnen. Keine Regatten, keine Medaillen, kein Lohn für die
       Plackerei im Winter. Olympia ist coronabedingt verschoben, wenn überhaupt
       finden im Oktober noch Ruder-Europameisterschaften statt.
       
       „Wir wissen nicht richtig, wie es weitergeht“, sagt Schmidt. Ob die EM in
       Polen stattfindet, wird Ende des Monats entschieden. Ob die [2][Spiele von
       Tokio tatsächlich 2021] ausgetragen werden? Es kann nur spekuliert werden.
       „Trotzdem musst du im Training hart bleiben, du darfst nicht von deinen
       Standards abweichen, sonst bist du nicht mehr vorn“, erklärt Schmidt. Das
       ist eine Herausforderung. Vor allem psychisch.
       
       ## „Da weiß man, wer eingeht“
       
       Die zweiten 500 Meter: „Je nachdem, wie das Rennen läuft, muss man schon
       sehr früh an seine Grenzen gehen. Nach 500 bis 600 Metern fahren wir
       unseren ersten Zehner, da wird alles reingelegt, danach muss man gucken,
       dass man über die 1.000 Meter kommt, die Halbzeitmarke. Da weiß man dann,
       wer eingeht und wer der Hauptkonkurrent ist. Wir machen meistens in der
       Mitte noch mal Druck, mit einem Zehner oder sogar einem Zwanziger. Dabei
       zeigt sich der Charakter einer Mannschaft. Es reichen ein, zwei Leute, die
       nicht richtig mitmachen, und schon fahren dir die anderen Boote weg. Man
       muss den Achter gemeinsam hochziehen, und man muss gemeinsam eingehen. Wenn
       einer immer noch ein bisschen Luft hat, wird das Boot unrund und du
       verlierst.“ 
       
       Am Stützpunkt in Dortmund wird unter verschärften Hygienerichtlinien
       trainiert. „Es wäre eine Katastrophe, wenn einer von uns sich mit Corona
       infiziert. Der ganze Stützpunkt müsste dann geschlossen werden“, sagt
       Schmidt. Die Vorbereitung auf die EM im Herbst und die verschobenen Spiele
       2021 geriete noch einmal massiv durcheinander.
       
       Die Erfolgsserie des Achters bezeichnet Schmidt als „ziemlich
       außergewöhnlich, wirklich etwas Besonderes, das wird immer ein bisschen
       verkannt“. Soll heißen: Das Boot ist nicht schnell, nur weil es der
       Deutschland-Achter ist. Sondern weil acht Athleten wie Schmidt im Winter
       Schwerstarbeit leisten. Und sich im Frühjahr einer knallharten internen
       Ausscheidung stellen. In diesem Jahr hat mal wieder Richard Schmidt mit
       seinem Zweierpartner Malte Jakschik gewonnen. Der Älteste und Erfahrenste
       ist auch immer noch der Beste.
       
       ## „Man ist einfach drüber“
       
       Die dritten 500 Meter: „Das sind die schwierigsten. Jetzt trennt sich so
       richtig die Spreu vom Weizen. Man ist über die Hälfte drüber, aber man ist
       noch nicht so weit, dass man schon den Endspurt fahren könnte. Es tut
       einfach nur weh in dieser Phase, da zieht man sich am meisten Laktat. Man
       ist einfach drüber. Das ist auch vom Kopf her am schlimmsten.“ 
       
       Gold und Silber bei Olympischen Spielen, sechs WM-Siege, acht EM-Titel –
       das ist eine Gänsehaut-Bilanz. Doch wer Richard Schmidt auf der Straße
       begegnet, sieht in ihm selten mehr als einen großen Mann mit breiten
       Schultern. Seine Medaillen haben ihm weder enorme Reichtümer noch eine
       besondere Popularität beschert. Macht aber nichts, findet Schmidt. Er
       rudert, weil er das Rudern liebt. Und: „Nach der Ruderkarriere bin ich
       nicht mehr Richard Schmidt, der Ruderer. Dann will ich Richard Schmidt, der
       Ingenieur, sein, der hoffentlich ein bisschen was kann.“
       
       Aber so weit ist es noch nicht. Schmidt schreibt an seiner Promotion. Und
       quält sich für Olympia. „Der Weg nach Tokio ist länger und steiniger
       geworden, aber er ist ja noch da, das Ziel ist geblieben“, sagt er. Findet
       die EM im Oktober statt, wolle man sich dort keine Blöße geben. Die Briten,
       Olympiasieger und ärgster Rivale der Deutschen, werden nicht dabei sein.
       Sie konzentrieren sich nach einer langen Coronapause ganz auf Tokio 2021.
       Aber unter anderem die Holländer wollen starten. Und es wäre ihnen sicher
       eine Freude, die deutsche EM-Siegesserie zu stoppen.
       
       ## „Krass, das Team ist noch da“
       
       Die vierten 500 Meter: „Jetzt geht es langsam in den Endspurt rein. Auf den
       letzten 300 Metern muss alles, was noch da ist, rausgepumpt werden. Wenn
       noch was da ist. Hier zeigt sich die Größe einer Mannschaft. Wenn man
       merkt: Krass, das Team ist noch da, jeder quetscht seinen letzten Tropfen
       raus, dann denkst du: Wenn der das kann, dann kann ich das auch. Allerdings
       ist es so: Wenn man im Achter noch einen richtig krassen Endspurt fahren
       kann, dann hat man meistens in der Mitte etwas liegenlassen. 2013, 2014,
       2015 haben wir bei der WM immer relativ knapp gegen die Briten verloren, da
       sind wir im Endspurt jedes Mal rangerast, aber es hat nicht gereicht.“ 
       
       Als Richard Schmidt 2007 zum ersten Mal im Deutschland-Achter mittrainieren
       durfte, war das eine große Sache. „Ich war einfach nur glücklich, da wollte
       ich immer rein, und jetzt saß ich drin, da ging die Post ab, das hatte ich
       so noch nie erlebt“, erinnert er sich. Seine große Sorge: „Bloß nicht
       stören, bloß nicht im Weg sein, das Boot mit nach vorn bringen und dem
       Trainer zeigen, dass ich es kann.“ Das gelang ihm nicht sofort. Olympia
       2008 verpasste er noch. Der Deutschland-Achter wurde Achter.
       
       2009 rückte Schmidt fest ins Boot – und die unvergleichliche Erfolgsserie
       nahm ihren Lauf.
       
       Ein Ruderer allein kann einen Achter nicht zum Erfolg führen. Es braucht
       acht bärenstarke Kerle und einen gewieften Steuermann. Richard Schmidt ist
       einer von ihnen. Und er will den zweiten Olympiasieg.
       
       26 Jul 2020
       
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