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       # taz.de -- Festival „Berlin is not Bregenz“: Oper an der Weddinger Stadtriviera
       
       > Mit Wagner im Strandbad Plötzensee: Hier brachte die Künstlergruppe
       > glanz&krawall am Wochenende „Lohengrin vs. Tristan & Isolde“ zur
       > Aufführung.
       
   IMG Bild: Starke Frauen tragen schwache Männer – wie das eben so ist bei Richard Wagner
       
       „Wollt ihr schwimmen oder wollt ihr ins Theater?“, fragte die Security am
       Eingang zum Strandbad Plötzensee. Denn am letzten Freitag und Samstag wurde
       „Lohengrin vs. Tristan & Isolde“ gegeben an der Weddinger Stadtriviera.
       
       Während sich die Badegäste im Wasser tummelten, nahmen die
       TheaterzuschauerInnen den Strand in Besitz. Auf Liegen, Stühlen, Sesseln
       und ganz profan auf dem Sand saßen nun Menschen mit einer gewissen
       Erwartungshaltung, denn sie hatten mehr bezahlt als die, die die Option
       „Schwimmen“ gewählt hatten.
       
       Die Veranstalter, das Berliner Künstlerkollektiv glanz&krawall, hatten die
       Latte wieder mal ganz hoch gelegt: Zwei Wagner-Opern, die zusammen mehr als
       acht Stunden dauern, sollten gezeigt werden in zuschauerfreundlichen zwei
       Stunden. Zusätzlich hatte man die Chuzpe, einem eingespielten Akteur der
       Hochkultur, den Bregenzer Festspielen, den Kampf anzusagen mit der Parole
       „Berlin is not Bregenz“.
       
       Theaterwiederholungstäter zogen eine Verbindung zum letztjährigen
       Festivalmotto „Berlin is not Bayreuth“ und erinnerten sich an den wunderbar
       schrägen und sehr unterhaltsamen Tannhäuser-Sängerwettstreit auf dem
       Künstler-Gelände der B.L.O.-Ateliers unweit des Ostbahnhofs.
       
       ## Fanfaren und Schlauchboote
       
       Punkt 19.30 Uhr ertönten nun Fanfaren am Plötzensee. Die Blasinstrumente,
       die live zum Einsatz kamen, beschallten technisch verstärkt, den ganzen See
       und veränderten den Blick auf ihn. Auf der Hüpfburg im See tollten immer
       noch Kinder, einige Tretboote durchpflügten das Wasser, und aus den Weiten
       des Sees schälten sich zwei Schlauchboote mit ungewöhnlicher Besatzung.
       
       Vera Maria Kremers stand majestätisch aufrecht eingehüllt in Unmengen von
       blauem Tüll im Boot und hatte den Blick stoisch auf das Ufer gerichtet.
       Dann schritt sie auf den Strand zu und sang dabei die Isolde, begleitet vom
       Klavier und einem Horn. Die Sopranistin verkörperte Tristans Isolde und
       Lohengrins Elsa in Personalunion. Sie wechselte so oft die Rolle, dass ihre
       Figur zur fortgeschrittenen Stunde in ernste Identitätsprobleme
       schlitterte.
       
       Tristan und Lohengrin waren klar zuzuordenen. Kara Schröder machte Tristan
       zu einer schwer ernst zu nehmenden Figur, Felix Witzlau hatte als Lohengrin
       einen Brustpanzer aus Bierflaschenetiketten (Kostüme: Sophie Schliemann)
       und verschaffte sich von Anfang an das Image als Kontrollfreak &
       Spaßbremse.
       
       Marielle Sterra von „glanz&krawall“ hatte die szenische Einrichtung für die
       Teile des Abends übernommen, die sich direkt mit beiden Opern
       auseinandersetzten. Aus der inhaltlichen Komplexität beider Opern wurde die
       dargestellte Mann-Frau-Beziehung extrahiert, und genau daran arbeitete man
       sich ab. Gesungen wurde immer mal wieder, dazwischen aber ging es
       profan-verbal hoch her – auf dem schmalen Streifen Freiraum, den es
       zwischen den Liegen und den belegten Handtüchern noch gab.
       
       ## Die emanzipatorische Gretchenfrage
       
       Vera Maria Kremers beherrscht neben dem Gesang auch die Schauspielkunst. So
       war es herrlich anzusehen, wie sie Lohengrin mit dem Klemmbrett in der Hand
       fixierte. Der schärfte ihr ein, ihn nie nach seiner Identität zu fragen.
       Ihr Mund wurde langsam zur Schnute und ein langgezogenes „Okayyyy“ entkam
       ihm zögerlich.
       
       Ortrud, bei Richard Wagner Elsas Widersacherin, wurde am Plötzensee zur
       Vorreiterin der Emanzipation. Die Szene der Oper, in der Ortrud Elsas
       Hochzeit mit dem geheimnisvollen Unbekannten verhindern will, entwickelte
       sich am Weddinger Sandstrand zu einem humorgestärkten Dialog über
       Abhängigkeiten und der Befreiung davon. Elsa wurde immer kleinlauter und
       Ortud (Monika Freinberger) stellte am Schluss die emanzipatorische
       Gretchenfrage: „Was wirst du nie wieder tun?“ – „Mich verlieben...“
       
       U- und E-Musik wurden bei „Berlin is not Bregenz“ herzhaft vermischt. So
       schmachteten sich über eine Distanz von etwa 20 Metern zwei Mitglieder des
       Performance-Kollektivs „Tripletrips“ an. Da es langsam dunkel wurde über
       dem See, nahm man die beiden Gestalten auf den Hochsitzen der Badeaufsicht
       am Ende der Stege nur schemenhaft wahr.
       
       Die herrliche Schnulze aber, in der sich beide die dementsprechenden
       Stichworte gaben, drang durch bis zum anderen Ufer. Immer wieder hörte man
       den strengen Ton einer Trillerpfeife, der unfreiwillig Teil der
       Inszenierung wurde.
       
       Denn parallel zur Vorstellung übte ein Wasserballteam, und die ließen sich
       durch keinen theatralischen Effekt von ihrem Spiel abbringen. Und Lohengrin
       entschwand in die Weiten des Sees – gezogen vom inzwischen erschöpften
       Schwan (Dennis Depta), der einiges zu tun hatte als Fährdienst der
       Wasserbühne.
       
       23 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katja Kollmann
       
       ## TAGS
       
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