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       # taz.de -- Fotografieausstellung in Bielefeld: Farbgewaltige Emanzipationen
       
       > Das Kunstforum Hermann Stenner widmet Josef Schulz eine
       > Einzelausstellung: „Spectrum. Architektur. Landschaft. Fotografie“.
       
   IMG Bild: Josef Schulz, aus der Reihe „Formen“, Form #20, 2007 C-Print
       
       Haben große Lehrer auch große Schüler? Für den [1][Fotografen Bernd Becher]
       (1931–2007), 1976 der erste Professor am neuen Lehrstuhl für Photographie
       der Kunstakademie Düsseldorf und gemeinsam mit seiner [2][Frau Hilla Becher
       (1924–2015)] dort über 20 Jahre lang die Lehre vertretend, trifft sogar zu,
       dass eine eindrucksvolle Zahl höchst erfolgreicher [3][Fotokünstler:innen
       seiner Klasse entsprang.]
       
       Im Jahr 2000 übernahm, vielleicht wenig originell, mit Thomas Ruff ein
       ehemaliger Student den Lehrstuhl, mit dem 2008 berufenen Konzeptkünstler
       Christopher Williams, Absolvent des legendären California Institute of the
       Arts aus Los Angeles, wurde einer möglichen künstlerisch inzüchtigen
       Kontinuität begegnet.
       
       Nicht nur im US-amerikanischen Kunstbetrieb ist seit Ende der neunziger
       Jahre „Struffsky“ (in Anlehnung an das Trio der wohl renommiertesten
       Becher-Schüler Thomas Struth, [4][Thomas Ruff] und Andreas Gursky) das
       Synonym für eine zu gigantischen Formaten auflaufende, farbgewaltige
       Fotokunst im Geiste der Düsseldorfer Schule. Mit Candida Höfer, Tata
       Ronkholz, Axel Hütte, Jörg Sasse oder dem Kölner Boris Becker ließe sich
       die Liste bekannter Becher-Schüler:innen beliebig erweitern.
       
       Sie lässt aber auch vermuten, wie schwierig es wohl für jede:n Einzelne:n
       gewesen sein muss, im Erwartungsdruck zu bestehen sowie in der internen
       Konkurrenz der Fotoklasse einen eigenständigen Zugang im Medium zu finden.
       Besonders für Studierende der späten Jahre erreichten diese Fragen
       existenzielle Dimension, denn die bereits avancierteren Kolleg:innen hatten
       nun ihre „Marken“ besetzt, waren unerbittlich im Veto.
       
       ## Bechers Meisterschüler Josef Schulz
       
       So schildert es jedenfalls Josef Schulz, 1966 geboren, der ab 1993 in
       Düsseldorf studierte und 2002 als Meisterschüler abschloss. Ihm widmet das
       Kunstforum Hermann Stenner in Bielefeld derzeit eine üppige
       Einzelausstellung mit rund 50, erwartungsgemäß großformatigen und
       farbintensiven Arbeiten, die systematisch mit seinem frühen Werkkomplex
       „Formen“, ab 2001, beginnt, durch nachfolgende Reihen streift, um mit einer
       für die Ausstellung erstellten Reprise, der „Form #25“, zu enden.
       
       Josef Schulz räumt auch ein wenig auf mit dem Mythos Becher-Schule,
       zumindest was eine direkte Prägung durch den Herrn Professor betrifft. Denn
       dieser, so erzählt Schulz, war kaum präsent, noch seltener äußerte er sich
       zu den künstlerischen Versuchen seiner Studierenden, er ließ sie einfach
       machen.
       
       Ein „brummender Haufen“ sei aber der harte Kern aus zehn bis fünfzehn
       Studierenden gewesen, der sich rund um die Dunkelkammer traf und bemüht
       war, die dokumentarische Grunddisposition der Becher’schen Fotografie zu
       durchbrechen, wenn nicht zu überwinden. Schulz drehte gewissermaßen den
       Spieß um: Aus einer abbildenden Qualität der Fotografie wurde eine
       bildgebende, den Techniken digitaler Postproduktion gedankt.
       
       Und so verläuft sein Arbeitsprozess bis heute in etwa gleich: Ein Motiv,
       Schulz sagt „Objekt“, wird mit der analogen Plattenkamera auf
       Negativmaterial aufgenommen, ein großformatiges, farbiges Positiv dann
       digitalisiert und aufwendig bearbeitet.
       
       ## Allerweltsbauten in ihrer ganzen Einfalt
       
       Schulz interessieren Masse, Fläche, Schatten, Farbe. Wie ein Bildhauer hat
       er etwa in seiner Serie „Sachliches“ Industriebauten aus ihrem Kontext
       isoliert und zu autonomen Körpern werden lassen. Diese Allerweltsbauten
       sind nun ihrer ganzen Einfalt präsent, ihre gesteigerte Farbigkeit –
       rot-blau, grau-magenta, schwarz – wird zum Titel gebenden und irritierenden
       Faktor zwischen monochromem Betonboden, synthetischem Rasengrün und
       milchigem Himmel.
       
       Ähnlich rigoros verfuhr Schulz in seiner Serie „Terraform“ ab 2007 mit
       pittoresken Landschaftssituationen. Sie liefern ihm keinen Anlass mehr für
       romantische Sichten, im Gegenteil: Von Mensch, Tier oder Bebauung
       bereinigt, erblickt man nackte, schroffe Felsformationen oder eine digital
       aufgeforstete Halbinsel im Vierwaldstättersee, deren Baumbestand bis hinein
       in den Wasserspiegel reicht.
       
       In all diesen Kompositionen mag man eine Zivilisationskritik vermuten, sie
       wird durch den Hang zum pathetisch Formalen jedoch nicht ostentativ
       gestützt. Aber Josef Schulz kann auch anders: Für seine Serie „Übergang“
       porträtierte er ab 2005 aufgelassene Kleinarchitekturen ehemaliger
       Grenzsicherungen im innereuropäischen Schengenraum. Mag sein, dass für den
       gebürtigen Polen Schulz Staatsgrenzen brutalere Beschränkungen bedeuteten
       als für Westeuropäer:innen.
       
       ## Narrative Qualität des Fotografischen
       
       Wie Bilder biografischer Betroffenheit schält Schulz die skurrilen
       Baurelikte präzis durchgezeichnet heraus, während er den landschaftlichen
       Kontext abmildert – unschöne Erinnerungen, die bitte verblassen mögen. Mit
       derart narrativer Qualität des Fotografischen näherte sich Schulz nach der
       globalen Finanzmarktkrise auch suburbanen Situationen in nicht gerade
       prosperierenden Weiten der USA.
       
       Für die Serie „Poststructure“ ab 2010 wählte er den Kunstgriff der American
       Night – ein Blaufilter verleiht dem leicht unterbelichteten Bild den Effekt
       geheimnisvollen Mondlichts – und findet so beklemmende Bilder für eine
       Kultur ökonomischen, sozialen und politischen Niedergangs.
       
       Wie stets dem Namensgeber des Kunstforums, Hermann Stenner (1891–1914),
       verpflichtet, erzählt eine Kabinettausstellung vom künstlerischen
       Emanzipationsprozess des expressionistisch orientierten Meisterschülers im
       Jahr 1912. Neben alten Meistern im Louvre entdeckte Stenner in Paris das
       städtische Leben, er sah Industrielandschaften in der Eifel und fand zu
       fraktal kantigem Kubismus – ein Gegenpart zur natürlichen Kompositorik
       seines Lehrmeisters Adolf Hölzel.
       
       25 Aug 2020
       
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