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       # taz.de -- Tech-Unternehmen im US-Kongress: Alles nur Show?
       
       > Die Chefs von Amazon, Google, Facebook und Apple haben sich am Mittwoch
       > vor dem US-Kongress gerechtfertigt. In Bedrängnis kamen sie dabei nicht.
       
   IMG Bild: Amazon-Chef Jeff Bezos im Stream hält seine Geschäftspraxis für plausibel und angemessen
       
       Vergeudete Zeit, fünfminutenweise weggeworfene wertvolle Fragezeit. Diesen
       Eindruck schien die demokratische Abgeordnete Mary Gay Scanlon nach mehr
       als zwei Stunden gewonnen zu haben. Denn dann platzte ihr der Kragen wegen
       des Verhaltens einiger republikanischer Abgeordneter, die am Mittwoch
       (Ortszeit) in Washington die Gelegenheit hatten, vier der mächtigsten
       Männer der Welt zu konfrontieren.
       
       Immer im Wechsel zwischen Republikaner*innen und Demokrat*innen hatten die
       Ausschussmitglieder die Möglichkeit, jeweils fünf Minuten lang ihre Fragen
       zu stellen. Mehrere Republikaner nutzen ihre Zeit dafür, das zu verbreiten,
       was Mary Gay Scanlon „abseitige Verschwörungstheorien“ nannte und deshalb
       in einem der ansonsten an Höhepunkten armen Anhörung ihre Kollegen unter
       deren erregtem Protest darauf drängte, doch vielleicht beim Thema zu
       bleiben.
       
       Die republikanischen Abgeordneten gefielen sich tatsächlich darin, zum
       Beispiel die durch keinerlei empirische Basis gestützte Behauptung
       auszubreiten, Facebook und Google würden rechte Inhalte systematisch
       diskriminieren. Einer beklagte, dass seine Wahlkampf-E-Mails bei Gmail im
       Spam-Ordner landen würden, der andere, dass Facebook
       ungerechtfertigterweise einen Post von Donald Trump jr. gelöscht habe. In
       einer sich selbst bestätigenden verschwörungstheoretischen Schleife
       beharrten sie darauf, [1][von Facebook in ihrer Meinungsfreiheit
       beschnitten zu werden].
       
       Mark Zuckerberg blieb nur, höflich achselzuckend darauf zu verweisen, dass
       nicht sein Unternehmen, [2][sondern Twitter entsprechend gehandelt habe].
       Die gewaltigen Reichweiten, die rechte und rechtsradikale Inhalte mit
       Facebook erzielen, wurden in dieser Argumentationslinie auch während der
       Fragestunde im Kongress völlig ignoriert.
       
       ## Wie Drogendealer*innen und ihre Kundschaft
       
       Die drängenden Fragen mit Blick auf [3][Marktmacht bis hin zu
       monopolistischer Dominanz] zu behandeln, blieb vornehmlich den
       demokratischen Abgeordneten vorbehalten. Nicht dass sie bedeutend Neues
       zutage hätten fördern können. Die vier Befragten waren gut vorbereitet,
       wichen schwierigen Themen mehr oder weniger geschickt aus oder zogen sich,
       nicht unplausibel, darauf zurück, nicht in sämtliche Details des
       Tagesgeschäfts eingeweiht gewesen zu sein.
       
       Dabei hatte der Demokrat David Cicilline mehr als ein Jahr lang auf diesen
       Tag hingearbeitet. Auf Betreiben des Vorsitzenden des
       Anti-Kartell-Unterausschusses des Abgeordnetenhauses waren unzählige
       Befragungen durchgeführt und weit mehr als eine Million Dokumente gesichtet
       worden. So konnten die demokratischen Abgeordneten auf den reichen
       Dokumentenschatz des Ausschusses zurückgreifen, der unter anderem die
       planvollen Zukäufe des Konzerns belegt.
       
       Prominentestes Beispiel war dabei Instagram, eine Plattform, deren
       Potenzial von Facebook früh als gefährlich für den eigenen Markanteil
       eingestuft wurde. Mit der Übernahme des Unternehmens und dessen
       Weiterentwicklung sicherte sich Zuckerberg die bis heute anhaltende
       Dominanz unter sozialen Netzwerken und damit Zugriff auf die dort
       eingesetzten Werbegelder, die zu fast 100 Prozent Umsatz und Gewinn des
       Konzerns bestimmen.
       
       ## Einnahmen durch Werbung sollen weiter sprudeln
       
       Gleich die erste Frage richtete sich allerdings an Sundar Pichai. „Warum
       stiehlt Google Inhalte von ehrlichen Unternehmen?“, eröffnete der
       Vorsitzende Cicilline die Sitzung. Die Mechanik der Suchmaschine,
       Nutzer*innen Ergebnisse zu liefern, die entweder auf eigene Angebote
       verweisen oder die gesuchten Informationen gleich auf Google selber zu
       präsentieren, wurde mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Schließlich
       entfernt sich die mit mehr als 90 Prozent Marktanteil größte Suchmaschine
       so immer mehr von ihrer ursprünglichen Indexfunktion.
       
       Verweise auf Angebote im Netz treten in den Hintergrund, Nutzer*innen im
       eigenen Biotop zu halten, wird immer wichtiger. So fällt es dem Konzern
       leichter, Profile zu erstellen, die wiederum zur Ausspielung gezielter
       Werbung genutzt werden, und somit die Haupteinnahmequelle am Sprudeln zu
       halten. Republikaner versuchten, Pichai die unterstellten antikonservativen
       Vorurteile unter anderem damit nachzuweisen, dass Google sich [4][nach
       Protesten von Mitarbeiter*innen] aus einer Kooperation mit dem Pentagon
       zurückgezogen habe.
       
       Für Amazon-Chef Jeff Bezos war die Anhörung der erste Auftritt dieser Art.
       Nur die Androhung einer offiziellen Vorladung konnte die „freiwillige“
       Teilnahme erzwingen. Die anderen drei hatten zum Teil [5][schon mehrfach
       Gelegenheit], die für sie sicher ungewohnte Situation zu trainieren, dass
       andere als sie selbst Thema und Tempo einer Konversation zu bestimmen.
       
       Wer darauf wartete, dass Amazon-Gründer Jeff Bezos, mit großem Abstand der
       reichste Mann der Welt, sich ausführlich für die [6][katastrophalen
       Arbeitsbedingungen in seinen Versandzentren] würde rechtfertigen müssen,
       wurde enttäuscht. Die Fragen richteten sich hauptsächlich auf die
       Funktionsweise des „Market Place“ und die Kontrolle externer
       Anbieter*innen, die die Plattform nutzen.
       
       Die seltene Gelegenheit, den Konzernchef mit der erdrückenden Übermacht
       seines Unternehmens und deren Folgen zu konfrontieren, brachte den nicht
       aus der Fassung. Jedoch nutzten mehrere Abgeordnete ihre Zeit, um
       nachdrücklich das Monopolproblem zu illustrieren. Stellungnahmen von
       Händler*innen, die für Kundenkontakt auf eine Präsenz bei Amazon angewiesen
       sind, beschrieben das Verhältnis zwischen Plattform und kleinen
       Verkäufer*innen als vergleichbar mit dem zwischen Drogendealer*innen und
       ihrer Kundschaft.
       
       ## Von allem nichts gewusst
       
       An dieser Stelle wurde auch deutlich, warum vor allem die demokratischen
       Abgeordneten auf neue gesetzliche Regelungen drängen. Ihre durchaus
       plausible Arbeitshypothese ist, dass klassische Anti-Kartell-Gesetzgebung,
       die ohnehin schon zahnlos genug ist, nur sehr schwer auf die
       Digitalkonzerne anwendbar ist. Deren Monopolstellung gründet schließlich
       weniger darin, mit einem Produkt einen Markt zu dominieren, sondern selber
       den Markt zu repräsentieren, also völlig willkürlich die Bedingungen, zu
       denen gehandelt wird, jederzeit zu ihren Gunsten anzupassen.
       
       Jeff Bezos bestätigte entsprechende Nachfragen im Wesentlichen, ohne den
       Anschein zu erwecken, hier überhaupt eine Wettbewerbsverzerrung
       wahrzunehmen. Ob Alexa, das Smart-Home-System von Amazon, bei einer
       Produktsuche Eigenmarken des Konzerns bevorzuge, konnte oder wollte Bezos
       so zwar nicht als systematisch beabsichtigt dargestellt sehen, hielt eine
       solche Geschäftspraxis aber ganz beiläufig für plausibel und angemessen.
       
       Dem geringsten Fragedruck sah sich Apple-Chef Tim Cook ausgesetzt.
       Tatsächlich kann er, anders als Zuckerberg, Pichai und Bezos, den Vorwurf
       einer im klassischen Verständnis marktbeherrschende Stellung glaubhaft
       zurückweisen. Nicht nur hat Apple kein Monopol, nicht einmal mehrheitliche
       Marktanteile in seinen Geschäftsfeldern können dem Konzern nachgewiesen
       werden. Die Abgeschlossenheit seiner Systeme jedoch bestimmt die
       Angriffslinie der Kritiker*innen. Dementsprechend konzentrierten sich die
       Fragesteller*innen auf den App-Store und die Behandlung der dort
       operierenden unabhängigen Webentwickler*innen und Softwarefirmen.
       
       Während die anderen Befragten relativ häufig dahingehend auswichen, dass zu
       konkreten Fragen Antworten nachgereicht würden, zeigte sich Cook überaus
       detailliert informiert und bereit, direkt umfassend zu antworten. Direkt
       konfrontiert mit Indizien für die gezielte Benachteiligung von
       Konkurrenzprodukten zu Apple-Apps oder dem Anschein nach politisch
       motivierter Bevorzugung bestimmter Entwickler, zog sich jedoch auch der
       Apple-Chef auf vorgebliche Nichtkenntnis der Details bestimmter Vorgänge
       zurück.
       
       ## Nur Wahlkampfgetöse?
       
       Dramatische Szenen blieben in der Sitzung aus, was auch der
       Anhörungssituation geschuldet sein mag. Cook, Zuckerberg, Pichai und Bezos
       waren per Videostream zugeschaltet, statt wie sonst bei solchen Verfahren
       üblich, physisch anwesend zu sein. Übertragungsprobleme trugen ihren Teil
       zur Verschleppung bei. Gleich zu Beginn brach die Verbindung zu Bezos
       zusammen. Den offensichtlichen Witz, dass man vielleicht eine
       Konferenzsoftware der Anwesenden hätte benutzen sollen statt der von
       Wettbewerber Cisco, machte jedoch niemand.
       
       Wie der Kongress weiter verfahren wird, ist auch nach der Anhörung offen.
       Schließlich ist ein Wahljahr. Obwohl sich die Konzerne heftiger Kritik
       sowohl von demokratischer als auch republikanischer Seite ausgesetzt sehen,
       sind die Angriffspunkte und damit mögliche Kompromisse mit den Parteien
       sehr unterschiedlich gelagert. Die nächsten Schritte werden also davon
       abhängen, wie sich die Mehrheiten in Abgeordnetenhaus und Senat gestalten
       werden und wer als Nächstes ins Weiße Haus einzieht.
       
       Ob aber der US-Kongress mit dem Hebel traditioneller gesetzlicher
       Bestimmungen gegen Monopolbildung die Macht der großen Internetkonzerne
       einzuschränken in der Lage ist, ob politische Steuerung auch nur den Hauch
       einer Chance zu einer Regulierung des Plattformkapitalismus ergreifen kann,
       wird die digitale Ökonomie auf Jahre beeinflussen. Gelingt die Regulierung
       nicht, war die Show am Mittwoch in Washington tatsächlich nur ein bisschen
       Wahlkampfgetöse und somit wirklich nur fünf Stunden vergeudeter Zeit.
       
       30 Jul 2020
       
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