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       # taz.de -- Jüdisches Forum über Corona-Protest: „Nicht zugänglich für Aufklärung“
       
       > Viele Inhalte auf der Corona-Demo waren „klar antisemitisch konnotiert“,
       > sagt Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie.
       
   IMG Bild: Corona-Bekämpfung mit der Shoa gleichsetzen: „Hygiene“-Demo am Samstag, 1. August, in Berlin
       
       taz: Herr Salomon, die Größe des Corona-Protests am Samstag in Berlin hat
       viele überrascht. Sie auch? 
       
       Levi Salomon: Ja. Ich hatte nicht geglaubt, dass es so viele werden. Es
       dürften [1][über 15.000 Menschen] gewesen sein. Und das sind zu viele.
       
       Wer war da auf der Straße? 
       
       Es sind zum einen die üblichen Verdächtigen, die wir von den vorigen
       Corona-Protesten und „Hygiene“-Demos kennen. Hinzu kamen aber wirkliche
       Massen von Menschen aus Baden-Württemberg, viele aus einem esoterischen
       Spektrum. Diese Gruppe [2][hat das Geschehen am Samstag] dominiert. Mit
       ihnen unterwegs war eine größere Zahl von DemonstrantInnen aus den
       ostdeutschen Bundesländern, teils aus dem Kameradschafts- und dem
       Reichsbürger-Spektrum. Die RednerInnen auf den Bühnen stammten aus
       rechtsoffenen Kreisen. Die Menschen auf diesen Corona-Demos skandieren, sie
       seien für „Frieden“ und laufen gleichzeitig zusammen mit bekannten
       Rechtsextremen.
       
       Welche waren das zum Beispiel? 
       
       Anwesend war etwa der so genannte [3][„Volkslehrer“ Nikolai Nerling], ein
       kürzlich aus dem Schuldienst entlassener Shoa-Leugner und Video-Blogger.
       Oder Rüdiger Hoffmann, ein verurteilter rechtsextremer Gewaltverbrecher,
       der das Reichsbürgerprojekt staatenlos.info betreibt. Die rechtsextreme
       Gruppe „Patriotic Opposition“ hatte einen eigenen Lautsprecher-Truck, um
       nur drei Beispiele zu nennen.
       
       War die Demo durchgängig antisemitisch? 
       
       Nein, das kann man nicht sagen. Es würde wohl kaum einer der Teilnehmer von
       sich sagen, er denke antisemitisch. Die meisten würden eher das Gegenteil
       von sich behaupten. Aber wir haben sehr viele Inhalte gesehen, die klar
       antisemitisch konnotiert waren.
       
       Können Sie ein Beispiel geben? 
       
       Die Angriffe auf Angela Merkel und Jens Spahn wegen der Corona-Politik
       etwa. Da wird nicht einfach die Politik kritisiert, stattdessen wird
       unterstellt, bei den verantwortlichen Politikern handele es sich um
       Marionetten, hinter denen Strippenzieher stünden. Diese wollten dem Volk
       die Freiheit nehmen und dafür benutzten sie die Politiker. Und wer sind
       diese Strippenzieher? Die Zionisten. Das ist der Grundgedanke, auch wenn er
       bei einem Teil der Demonstranten nur unbewusst vorhanden sein mag. Das
       Problem ist, dass sie nicht zugänglich sind für Aufklärung. Man kann mit
       denen kaum ins Gespräch kommen und sie auf ihre Irrtümer aufmerksam machen.
       
       Woran genau scheitert das? 
       
       Der häufigste Inhalt auf den Plakaten am Samstag war: „Gib Gates keine
       Chance“. Dahinter steckt die Vorstellung, der Milliardär Bill Gates habe
       Corona entweder selbst in die Welt gesetzt oder nutze es aus, um Menschen
       zwangsweise zu impfen und damit zu unterjochen. Viele Menschen haben sich
       mit dieser Verschwörungstheorie lange auseinandergesetzt. Es gab
       Faktenchecks dazu und viel sachliche Aufklärung. Trotzdem wurden diese
       Plakate am Samstag vielfach getragen. Denn es gibt Menschen, die sich
       verschlossen haben. Was nicht passieren darf, ist, dass sie neue Anhänger
       für ihre Ideen gewinnen.
       
       Wie sollte die Regierung mit dieser Form der Corona-Kritik umgehen? 
       
       Sie darf sich nicht irre machen lassen, so wie auch der Rest der
       Gesellschaft nicht. Man darf nicht ängstlich sein und sich einreden lassen,
       wir hätten alles falsch gemacht. Nein, wir haben vieles richtig gemacht.
       
       In der Corona-Bekämpfung oder bei der Auseinandersetzung mit
       Verschwörungstheorien? 
       
       Bei beidem. Für letztes braucht es vor allem Aufklärung für die, die dafür
       noch erreichbar sind. Und daran arbeiten ja viele.
       
       Warum kommen dann so so viele Menschen zu einer solchen Kundgebung? 
       
       Es gibt immer eine gewisse Anzahl an Menschen, die offen für
       Verschwörungstheorien und entsprechend mobilisierbar sind. Es ist nicht
       schön, man muss dagegen etwas unternehmen, aber es ist ein Teil der
       Gesellschaft. Es ist ein bestimmtes Milieu, das angeblich bürgerlich sei.
       Es ist aber nicht bürgerlich. Dieses Spektrum ist immer da, es wird bei
       diesen Protesten aber klarer sichtbar. Bei Pegida ist es genau dasselbe.
       
       Wie groß ist dieses Spektrum? 
       
       Es ist jedenfalls eine Minderheit. Sie selbst überschätzen sich allerdings
       maßlos. Auf der Demo selbst kursierte erst die Zahl von 10.000, dann
       100.000, 800.000 und schließlich haben sie behauptet, es seien 1,3
       Millionen Menschen gekommen.
       
       JournalistInnen haben berichtet, auf der Demo bedrängt worden zu sein,
       darunter Sie. Was ist genau geschehen? 
       
       Als die Polizei mit der dritten Durchsage die Kundgebung am Nachmittag
       aufgelöst wurde, stand ich im Pressebereich. Zwei Ordner haben verlangt,
       ich solle Pressebereich verlassen. Dazu hatten sie aber kein Recht, ich
       habe das abgelehnt. Sie haben mich körperlich bedrängt, das habe ich auch
       aufgenommen. Es war klar: Entweder es kommt zur körperlichen
       Auseinandersetzung oder ich muss raus.
       
       2 Aug 2020
       
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