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       # taz.de -- Kino-Komödie „The King of Staten Island“: Befreiung braucht ihre Zeit
       
       > In Judd Apatows Komödie „The King of Staten Island“ spielt Pete Davidson
       > einen Loser, der Trauer mit Sarkasmus überdeckt – etwas zu vorhersehbar.
       
   IMG Bild: Scott (Pete Davidson) zeigt seine Tattoos in „The King of Staten Island“
       
       „Ignorant Tattoos“ nennt man Tätowierungen, die weder aus polynesischen
       Kulturen plagiierte, abstrakte Linien noch verwegene
       Old-School-Seemannsmotive oder Arschgeweihe darstellen. Stattdessen sehen
       sie aus, als habe sie ein des Zeichnens unbegabter Mensch geistesabwesend
       beim Telefonieren mit dem Kuli auf einen Block gekritzelt. Und das ist
       gewollt: Es muss nicht alles perfekt sein, ist die Aussage, und dass der
       oder die Träger*in jegliche Konventionen, erst recht solche zu
       Tätowierungen, schlichtweg ignoriert.
       
       Scott Carlin (Pete Davidson) ist so ein Ignorant. Auch mit über 20 Jahren
       lebt er noch dort, wo er aufgewachsen ist: im Haus seiner Mutter Margie
       (Marisa Tomei) in Staten Island, einem Vorort von New York, in dem die
       legendäre Manhattan-Skyline nur eine weit entfernte Kulisse ist, und die
       (vermeintliche) Hipness der Stadt ein Traum.
       
       Über den Tod von Scotts Vater, der als Feuerwehrmann während des
       9/11-Einsatzes starb, macht Scott mit seinen Freund*innen Witze, so wie er
       augenscheinlich über alles Witze macht.
       
       Seine Posse ist ein aus bedröhnten, ziellosen Losern bestehendes
       Konglomerat von Kleinstadtschablonen, von Scott selbst mit Krakeltattoos
       bedacht: die besten Kumpel aus der Schulzeit, mit denen man sich seit
       Jahren ironische Sprüche an den Kopf wirft, die On-und-Off-Liebschaft
       Kelsey (Bel Powley) für beiläufigen Sex, die fleißige Schwester Claire
       (Maude Apatow), die ihre unabänderliche Umgebung und den trägen Bruder
       schnell hinter sich lässt.
       
       ## Ähnlichkeiten sind nicht zufällig
       
       Dem Bild, das der [1][Regisseur und Experte für hintergründige Komödien
       Judd Apatow] gemeinsam mit Hauptdarsteller und Co-Drehbuchautor Davidson
       erstellt, merkt man die Authentizität an: Davidson, der als
       Stand-up-Comedian sein Gespür für lässig-präzises Timing entwickelt hat,
       verlor tatsächlich früh seinen als Feuerwehrmann arbeitenden Vater, er
       leidet wie seine Filmfigur Scott unter Morbus Crohn und ADHS, und dass er
       auch im wirklichen Leben wolkenweise kifft, davon ist auszugehen.
       
       Scott dabei zuzusehen, wie er sich – zunächst gar nicht und dann mit fast
       anstrengender Langsamkeit – aus seinem bequemen Phlegma zu befreien
       versucht; wie er angesichts eines neuen, ernstzunehmenden Liebhabers seiner
       Mutter Initiative ergreifen, das Verhältnis zu Kelsey evaluieren muss, ist
       der Pfad der Geschichte.
       
       Und so funktioniert „The King of Staten Island“ auf einigen Ebenen gut:
       Apatow und Davidson porträtieren einen aus der Bahn Geworfenen, der den
       Hinauswurf nicht ganz mitbekommen hat, der fast trotzig an seinen absurden
       Ideen (ein „Tattoorestaurant“ …) festhält. Und schattieren derweil subtil
       die mentalen Zustände ihres Protagonisten: Eigentlich ist Scotts Verhalten,
       seine Lust- und Energielosigkeit nichts anderes als eine schwelende
       Depression, die bereits so tief und so lange in den Protagonisten
       eingedrungen ist, dass er sie kaum noch wahrnimmt. Denn wenn Trauer von
       Beginn an mit Sarkasmus zugedeckt wurde und Gefühle eh nur als Pointe des
       nächsten Witzes taugen, dann ist irgendetwas faul.
       
       ## Scott, der braucht eine Weile
       
       Doch erst mal ausgepackt und analysiert, sind es bedauerlicherweise genau
       solche Binsenweisheiten, die Apatow und Davidson anbieten. Davidsons Weg
       führt ihn direkt in die Feuerwehr hinein, wo der neue Freund der Mutter
       arbeitet, wo die verdrängten Sentimente lauern und wo noch echte Werte wie
       Kameradschaft und Verlässlichkeit zählen und darauf warten, dass Scott sie
       für sich entdeckt. Zwar braucht Scott auch dort, wo er nach dem Rausschmiss
       seiner Mutter Obdach findet, eine Weile – aber die Lösung, die Apatow und
       Davidson für das sanft simmernde Dilemma ihres Helden anbieten, ist allzu
       klischiert.
       
       Die bittere Anarchie, die der aus dem New Yorker Vorort Queens stammende
       ehemalige Stand-up-Comedian Apatow in seinen anderen Filmen wie „Jungfrau
       (40), männlich, sucht …“ oder [2][„Wie das Leben so spielt“] seinen
       Charakteren mitgibt, ist beim traurigen Staten-Island-Regenten einer
       Vorhersehbarkeit gewichen. Das macht den Film weicher und weniger
       wirkmächtig, als er sein könnte. Und lässt ihn (außer in den brillanten,
       auf den Punkt gebrachten Dialogen) ein wenig oberflächlich bleiben: Viel
       tiefer als die ignoranten Krakeltattoos dringt er nicht ein.
       
       3 Aug 2020
       
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