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       # taz.de -- Streit um Teilnehmerzahlen: Die Polizei dürfte recht haben
       
       > Die Polizei zählt 17.000, die Veranstalter über eine Million Menschen bei
       > der „Querdenken“-Demo. Wer ist näher dran? Eine Nachrechnung.
       
   IMG Bild: Wer genau hinschaut, erkennt große Lücken: die DemonstrantInnen am Samstag im Berliner Tiergarten
       
       Berlin taz | Über die Zahl der TeilnehmerInnen bei der
       [1][„Querdenken“-Demonstration am Samstag] in Berlin ist ein Streit
       entstanden. Wie üblich liegt die von der Polizei genannte Zahl unter der,
       die die Veranstalter nennen. Aber selten klafften die Einschätzungen so
       auseinander.
       
       Die Zahlen: [2][Laut Polizei waren „in der Spitze“ 17.000 Menschen] bei der
       Demonstration, für die Kundgebung im Tiergarten [3][nennt sie später 20.000
       Teilnehmer]. Die Veranstalter sprachen auf der Bühne bei der Kundgebung im
       Berliner Tiergarten erst von 800.000, dann von 1,3 Millionen Menschen. Bei
       Twitter wurde aus dem Umfeld der DemonstrantInnen mehrfach behauptet, die
       800.000 seien von der Polizei bestätigt worden. Die Polizei wies dies
       explizit zurück: „Eine exorbitant höhere Zahl, die laut verschiedener
       Tweets durch uns genannt worden sein soll, können wir nicht bestätigen“,
       [4][schrieb sie auf Twitter.]
       
       Die Vergleiche: Wäre eine Menge von einer Million Menschen zwischen
       Brandenburger Tor und Siegessäule denkbar? Am selben Ort fand in den 90er
       Jahren die Loveparade statt, bei der die Veranstalter für das Rekordjahr
       1999 sogar 1,5 Millionen TeilnehmerInnen nannten. Auch für die bis heute
       regelmäßig stattfindende Silvesterfeier am Brandenburger Tor nannten die
       Veranstalter lange Zeit eine Teilnehmerzahl von einer Million.
       
       Der Flächentest: Die Silvester in Berlin GmbH hat mal angegeben, dass die
       Veranstaltungsfläche 80.000 Quadratmeter groß sei. Da wurden offenbar aber
       die Ausweitungen rund um das Brandenburger Tor und die Siegessäule
       miteinberechnet. Mit Tools wie [5][Mapchecking] lässt sich sehr leicht
       belegen, dass die Fläche der Straße des 17. Juni [6][auf dem Abschnitt
       nicht einmal 55.000 Quadratmeter] beträgt.
       
       Der Bildvergleich: In den Sozialen Medien wurden vor allem Fotos geteilt,
       die von der Spitze der Siegessäule Richtung Brandenburger Tor eine dicht
       gedrängte Menge zeigen. Solche Fotos wurden von Pressefotografen der
       Nachrichtenagenturen dpa und Reuters veröffentlicht. Vergrößert man diese
       Fotos, erkennt man aber schnell, dass die Straße des 17. Juni keineswegs
       auf der gesamten Länge von 1,7 Kilometern dicht bevölkert ist. Im Gegenteil
       sind sehr große Lücken zu erkennen. Zudem sieht man, dass die Menschen auf
       den meisten Abschnitten nicht dichtgedrängt, sondern sehr locker stehen
       oder sitzen. Auch ein vom rechtsextremen [7][Koch Attila Hildmann]
       verbreitetes Selfie-Video, das ihn mitten in der Menge von angeblich „1,3
       Millionen“ zeigt, verdeutlicht, dass dort im Schnitt maximal ein Mensch auf
       vier Quadratmeter kommt. An vielen Ecken sind es sogar deutlich weniger.
       
       Das realistische Ergebnis: Selbst wenn man von einer Fläche von 80.000
       Quadratmetern ausginge, käme man somit nur auf maximal 20.000 Menschen bei
       der Abschlusskundgebung. Realistisch dürften es noch deutlich weniger
       gewesen sein, da die Fläche ja viel kleiner war. Rechnet man den
       Veranstaltern aber zugute, dass gar nicht alle TeilnehmerInnen bis zur
       Abschlusskundgebung mitgelaufen sind, klingt die Schätzung der Polizei mit
       20.000 DemonstrantInnen einigermaßen realistisch.
       
       Und was ist mit der Loveparade und den Silvesterfesten? Die Angaben
       stammten auch hierbei jeweils von den Veranstaltern. Sie dürften [8][aber
       ebenfalls stark übertrieben sein]. Zwar zeigen Fotos der Loveparade 1999,
       dass damals die Straße des 17. Juni im Tiergarten weitaus voller war, als
       an diesem Samstag. Eine Million werden es dennoch nicht gewesen sein. Ein
       Gutachter, der den Hergang der Loveparade 2010 in Duisburg untersucht hat,
       [9][hatte anhand von Fotos errechnet], dass dort, wo 21 Menschen im
       Gedränge starben, acht bis zehn Feiernde pro Quadratmeter gewesen waren.
       Würde man 1,3 Millionen Menschen auf die 55.000 Quadratmeter zwischen
       Brandenburger Tor und Siegessäule packen, wären das weit mehr als 20
       Menschen pro Quadratmeter. Mit anderen Worten: Es hätte hier aller
       Wahrscheinlichkeit nach viele Tote gegeben.
       
       Das Fazit: Massen bei Demos wirken in der Regel deutlich größer als sie
       scheinen. Mit Zoomobjektiven aufgenommene Fotos aus der Luft belegen selten
       die wahre Größe der Menge, sondern verzerren sie.
       
       2 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronaproteste-in-Berlin/!5705179
   DIR [2] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1289543908972584960
   DIR [3] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/pressemitteilung.968142.php
   DIR [4] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1289543908972584960
   DIR [5] https://www.mapchecking.com/
   DIR [6] https://www.mapchecking.com/#52.5147522,13.3518236;52.5144649,13.3518236;52.5161102,13.3770792;52.5163844,13.3770149;2.4;52.5159535,13.3644836,15
   DIR [7] /Demo-von-Attila-Hildmann-verboten/!5703691
   DIR [8] /Silvester-Sause-in-Berlin/!5051770
   DIR [9] http://docunews.org/loveparade/dokumente-zur-loveparade-duisburg-2010/das-versagen-des-systems-war-vorhersehbar/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
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