URI: 
       # taz.de -- Kolumbiens Ex-Präsident unter Hausarrest: Ermittlungen gegen Alvaro Uribe
       
       > Nach Jahren folgenloser Anklagen entscheidet Kolumbiens oberstes Gericht,
       > den rechten Ex-Präsidenten Alvaro Uribe unter Hausarrest zu stellen.
       
   IMG Bild: „Uribe Paramilitär“ – Uribe-Gegner*innen begrüßten auf der Straße die Entscheidung des Gerichts
       
       Bogotá taz | Für Kolumbien ist die Nachricht eine Sensation: Als erster
       ehemaliger Präsident in der Geschichte des Landes ist Álvaro Uribe unter
       Hausarrest gestellt worden. Das oberste Gericht ordnete am Dienstag
       einstimmig präventive Untersuchungshaft an, die Uribe als Hausarrest
       absitzen darf, während die Ermittlungen wegen Bestechung von Zeugen und
       Prozessbetrug weiterlaufen.
       
       Als Begründung für diesen Schritt nennt das Gericht Risiken von
       Justizbehinderung bei den weiteren Ermittlungen. Grundlage sei eine hohe
       Zahl an bereits gesammelten Beweisen gegen Uribe, darunter Zeugenaussagen,
       Filmaufnahmen und Telefonmitschnitte. Das [1][Gericht] betonte, dass Uribe
       auch im Hausarrest seine Verteidigung „mit allen Garantien eines
       rechtsstaatlichen Verfahrens“ vorbereiten könne. „Der Entzug meiner
       Freiheit betrübt mich zutiefst für meine Frau, für meine Familie und für
       die Kolumbianer, die immer noch glauben, dass ich etwas Gutes für das
       Vaterland getan habe“, schrieb der 68-Jährige [2][auf Twitter].
       
       Der Grund für die Ermittlungen gegen den ultrarechten Politiker der
       Regierungspartei Centro Democrático geht bis ins Jahr 2012 zurück. Der
       linke Senator Iván Cepeda hatte in einer Parlamentsdebatte Uribe
       beschuldigt, eine paramilitärische Gruppe mitbegründet und Verbindungen zum
       Drogenhandel zu haben. Daraufhin zeigte Uribe ihn an. Der Vorwurf: Cepeda
       habe Zeugen bestochen und so ein Komplott gegen ihn geschmiedet.
       
       Das oberste Gericht kam jedoch zum entgegengesetzten Schluss – und
       eröffnete ein Verfahren gegen Uribe. Er steht seitdem unter Verdacht,
       Zeugen bestochen zu haben, um gegen Cepeda auszusagen. Unter den Zeugen
       sind mehrere ehemalige Paramilitärs, die Uribe erst belasteten, später ihre
       Aussage widerriefen und das mit Druck und Zahlungen von Uribes Anwalt Diego
       Cadena [3][begründeten]. Gegen Cadena und seine Anwaltskollegen wird
       ebenfalls wegen Bestechung und Nötigung ermittelt. Uribe soll das
       Schmiergeld finanziert haben, was Telefonmitschnitte belegen sollen.
       
       ## Uribe – erbitterter Gegner des Friedensabkommens
       
       Der heutige Senator war von 2002 bis 2010 Präsident Kolumbiens und ist bis
       heute der mächtigste Politiker des Landes. Die kolumbianische Gesellschaft
       ist tief gespalten. Während die einen ihn wegen der harten Bekämpfung der
       Farc-Guerilla in seiner Amtszeit bis heute verehren, werfen die anderen ihm
       vor, dass der Preis dafür schwere Menschenrechtsverletzungen waren.
       
       In Uribes Amtszeit fällt unter anderem der Skandal um die [4][„falsos
       positivos“]. Dabei richtete die Armee schätzungsweise 5.000 unschuldige
       Zivilisten hin und verkleidete sie als Guerilleros, um Quoten zu erfüllen
       und Kopfprämien zu kassieren. Auch erlebten rechte Paramilitärgruppen eine
       Blütezeit, die vor allem linke Guerillagruppen bekämpften, auf deren Konto
       aber auch etliche Morde an Vertreter*innen der Zivilgesellschaft gehen.
       
       Uribe ist nicht nur erbitterter Gegner des [5][Friedensabkommens] mit der
       Farc-Guerilla, das sein ehemaliger Verteidigungsminister und Nachfolger
       Präsident Juan Manuel Santos aushandelte. Ohne Uribes Unterstützung wäre
       auch der jetzige Präsident [6][Iván Duque] kaum ins Amt gekommen. Dieser
       stellte sich am Dienstag in einer [7][Ansprache] hinter Uribe – und somit
       gegen die Justiz: „Ich glaube und werde immer an seine Unschuld und
       Ehrenhaftigkeit glauben; er hat sich mit seinem Beispiel einen Platz in der
       kolumbianischen Geschichte erobert.“
       
       Gegen Uribe laufen seit Jahren Ermittlungen wegen schwerer Vorwürfe, die
       bisher keine juristischen Konsequenzen hatten. Verwandte und politische
       Mitstreiter*innen kamen hinter Gitter, Uribe nicht. So wurde sein
       Innenminister Sabas Pretelt wegen Stimmenkaufs für die Wiederwahl von Uribe
       zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Chefin des mittlerweile
       aufgelösten Geheimdienstes, die Uribes Gegner*innen ausspionieren ließ,
       ebenso. Uribes Bruder Santiago ist seit 2016 in Haft, weil er wegen der
       Gründung einer paramilitärischen Gruppe und Mordes angeklagt ist.
       
       ## Solidaritätsautokorsos in Medellín
       
       Doch seit Kurzem scheint sich das Blatt zu wenden. Anfang Juni leitete das
       Gericht [8][Vorermittlungen] gegen Uribe wegen der mutmaßlichen
       Bespitzelung von Journalist*innen und Politiker*innen in den sogenannten
       „[9][Carpetas secretas]“ ein. Im Juli unterlag Uribe vor Gericht dem
       Journalisten [10][Daniel Mendoza], gegen den er wegen Rufschädigung
       vorgehen wollte. Mendoza hatte eine Online-Miniserie über Uribe mit dem
       Titel „Matarife“ (Schlächter) gestartet.
       
       Er und sein Kollege Gonzalo Guillén hatten auch den Skandal um die
       „Ñeñepolítica“ ins Rollen gebracht, deretwegen das Gericht ebenfalls
       Vorermittlungen eingeleitet hat. Laut der Recherchen soll Uribe den
       Drogenhändler „Ñeñe“ Hernández engagiert haben, um [11][Stimmen für die
       Wahl von Präsident Duque] zu kaufen.
       
       Vor der Entscheidung war das Gericht unter anderem mit einem offenen Brief
       von prominenten Uribe-Unterstützer*innen unter Druck gesetzt worden. Am
       Montag hatte es seine Unabhängigkeit in einer [12][Erklärung] betont.
       
       Der Direktor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, [13][gratulierte]
       am Dienstag dem Gericht zu der Entscheidung zum Hausarrest. In Bogotá kamen
       Menschen zu Freudendemos zusammen. Um 18 Uhr schlugen Bogotaner*innen aus
       ihren Fenstern und Balkonen auf Töpfe. Auch Uribe-Anhänger*innen
       protestierten: Vor allem in Medellín, der Hauptstadt der Region Antioquias,
       deren Gouverneur Uribe einst war, veranstalteten Menschen
       Solidaritätsautokorsos, aus denen sie die kolumbianische Fahne schwenkten.
       
       Bei einer Verurteilung drohen Uribe bis zu acht Jahre Haft.
       
       5 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.cortesuprema.gov.co/corte/index.php/2020/08/04/corte-suprema-ordena-detencion-domiciliaria-del-senador-alvaro-uribe/
   DIR [2] https://twitter.com/AlvaroUribeVel/status/1290712262504779784?s=20
   DIR [3] https://losdanieles.com/daniel-coronell/cadena-de-mando/
   DIR [4] /Archiv-Suche/!5140917
   DIR [5] /Farc-Rebellen-in-Kolumbien/!5356949/
   DIR [6] /Neuer-Praesident-in-Kolumbien/!5513668
   DIR [7] https://twitter.com/Iv%20anDuque/status/1290755832330813442?s=20
   DIR [8] https://www.efe.com/efe/america/politica/corte-colombiana-abre-indagacion-preliminar-a-uribe-por-espionaje-militar/20000035-4261622
   DIR [9] /Spionageaffaere-in-Kolumbien/!5679985
   DIR [10] http://(https://www.asuntoslegales.com.co/actualidad/el-senador-alvaro-uribe-perdio-la-tutela-contra-daniel-mendoza-y-su-serie-matarife-3028520
   DIR [11] http://(https://taz.de/Skandal-um-Stimmenkauf-in-Kolumbien/!5672044/
   DIR [12] https://twitter.com/CorteSupremaJ/status/1290493557833256960/photo/1
   DIR [13] https://twitter.com/JMVivancoHRW/status/1290722009362685952?s=20
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumbien
   DIR Alvaro Uribe
   DIR Farc
   DIR Friedensabkommen
   DIR Menschenrechte
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Kolumbien
   DIR Bogotá
   DIR Kolumbien
   DIR Iván Duque 
   DIR Kolumbien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Doku-Serie über Narco-Netzwerk: Auf den Spuren des Unantastbaren
       
       In „Matarife“ möchte Journalist Daniel Mendoza Leal den mächtigsten Mann in
       Kolumbien enttarnen. Es ist niemand geringeres als Ex-Präsident Uribe.
       
   DIR Polizeigewalt in Kolumbien: Tod in der Hand der Polizei
       
       In Kolumbien stirbt ein Mann nach einer brutalen Festnahme. Das Video löst
       heftige Unruhen in Bogotá aus, es gibt zehn Tote.
       
   DIR Skandal um Stimmenkauf in Kolumbien: Zwei Präsidenten und ein Drogenboss
       
       Präsident Iván Duque ließ im Wahlkampf 2018 offenbar Stimmen kaufen. Der
       Drogenhändler, der das für ihn tat, wurde inzwischen ermordet.
       
   DIR Massenproteste in Kolumbien: Kolumbien steht auf
       
       Über 200.000 Menschen gehen in Kolumbien gegen die Rechtsregierung von
       Präsident Iván Duque auf die Straße. Es bleibt überwiegend friedlich.
       
   DIR Kommunalwahlen in Kolumbien: In Kolumbien verliert die Rechte
       
       Bei den ersten Kommunalwahlen seit dem Friedensabkommen stimmt Kolumbien
       für Veränderung. Dabei gewinnen einige linke und kleine Gruppierungen.