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       # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Belarus: Festnahmen und Generalstreik
       
       > Landesweit protestieren Menschen in Belarus gegen die Regierung. Für den
       > Tag nach der Wahl ruft die Opposition zum Generalstreik auf.
       
   IMG Bild: Sie fordert Lukaschenko heraus: Swetlana Tichanowskaja bei einer Kundgebung in Brest
       
       Kiew taz | Weißrusslands Behörden zeigen kurz vor Schließung der Wahllokale
       zur Präsidentschaftswahl am heutigen Sonntag mit neuen Festnahmen, dass man
       keinen Protest gegen den amtierenden Präsidenten Lukaschenko dulden wird.
       Bei der Opposition glaubt man kaum noch an eine faire Auszählung der
       Stimmen und setzt auf Plan B. Und der heißt: Generalstreik und landesweite
       dezentrale Aktionen ab Montag.
       
       Über ein Dutzend Oppositionelle wurden nach Angaben der
       Menschenrechtsgruppe „Charta 97“ am Freitag und Samstag festgenommen. Zu
       ihnen gehört der Vorsitzende der Belarussischen Volksfront, Grigorij
       Kostusew, sowie Jurij Meleschkewitsch aus dem Vorstand der Volksfront. Am
       späten Samstagnachmittag wurde Maria Moros, Leiterin des Wahlkampfteams von
       Swetlana Tichanowskaja, festgesetzt. Am Samstagabend wurde Tichanowskajas
       Mitstreiterin Maria Kolesnikowa verhaftet, kurz vor Mitternacht jedoch
       wieder freigelassen.
       
       Ebenfalls in Minsk wurden Jewgenij Ermatschenok und Olga Elisejewa
       festgenommen. Sie hatten ohne Erlaubnis Flugblätter verteilt. Gleiches
       ereilte den Autofahrer Artem Fedorenko, weil er durch häufiges Hupen in der
       Innenstadt aufgefallen war. In Baranowitsch holten Polizisten den Blogger
       Jurij Tschudinowitsch ab. Bei Tamara Potozka, einer Vertrauensperson von
       Swetlana Tichanowskaja, wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Potozkas
       Tochter weiß nicht, wo sich ihre Mutter derzeit befindet.
       
       In Gomel wurde Jewgenij Schur verhaftet. Vor seinem Haus stand in großen
       Lettern auf dem Asphalt „Stoppt die Kakerlake“, eine Anspielung auf
       Präsident Lukaschenko. Freunde des Gomeler Aktivisten Wladimir Malajew
       berichten, dass dieser spurlos verschwunden sei. Malajew hatte regelmäßig
       Veranstaltungen der Opposition besucht.
       
       Wahlkampf massiv behindert 
       
       In einem am Samstag veröffentlichten gemeinsamen Bericht beschreiben das
       „Belarussische Helsinki Komitee“ und die Menschenrechtsorganisation
       „Frühling“ die Besonderheiten des diesjährigen Präsidentschaftswahlkampfes.
       Nicht nur in der Hauptstadt, auch in kleineren Städten hätten
       [1][zahlreiche Protestveranstaltungen der Opposition] stattgefunden.
       Überall sei der Wahlkampf von Verwaltungsbeamten teilweise massiv behindert
       worden.
       
       Nicht selten seien Teilnehmer von Wahlveranstaltungen mit Bußgeldern und
       mehrtägigem Arrest bestraft worden. Das Umfeld von Präsident Lukaschenko
       habe die Behörden massiv in den Wahlkampf einbezogen. Die Rentenerhöhung
       kurz vor der Wahl sei eine unrechtmäßige Beeinflussung dieser Wahlen, so
       der Bericht der Menschenrechtler.
       
       Unterdessen macht das Innenministerium deutlich, dass man gegen Protest mit
       der ganzen Macht des Gesetzes vorgehen werde. Man komme voran mit den
       strafrechtlichen Ermittlungen gegen Personen, die sich am 14. Juli in Minsk
       an nicht genehmigten Veranstaltungen beteiligt hatten, berichtet die
       Internetseite des weißrussischen Innenministeriums.
       
       Bei diesen Demonstrationen seien sechs Milizionäre durch Demonstranten
       verletzt worden. Gegen 115 Personen liefen Ordnungsverfahren. Unter diesen
       seien viele, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt das Gesetz zu
       Massenveranstaltungen verletzt hätten. Das Portal weist darauf hin, dass
       man Gewalt gegen Milizionäre nicht tolerieren werde.
       
       Opposition ruft zu Generalstreik auf 
       
       Bei der Opposition glaubt man angesichts der jüngsten Festnahmen, der
       Abwesenheit internationaler Beobachter und den Schikanen gegen unabhängige
       Beobachter nicht mehr, dass sich mit dem Stimmzettel ein Umschwung erzielen
       lässt. Vor diesem Hintergrund ruft die „Charta 97“ für den 10. August zu
       einem landesweiten Generalstreik in allen staatlichen Unternehmen sowie zu
       Protestveranstaltungen auf. Sie fordert Neuwahlen und die sofortige
       Freilassung aller politischen Gefangenen.
       
       Sollten am Protesttag [2][Bedingungen wie unter Ausnahmerecht] herrschen,
       so die „Charta 97“, also zentrale Straßen gesperrt und der öffentliche
       Nahverkehr eingestellt sein, sollen sich die Bürger in ihren Stadtteilen an
       beliebten Orten wie U-Bahn-Stationen, Einkaufszentren oder Parkplätzen
       einfinden. Gerade in der Provinz, wo die Miliz weniger stark präsent sei,
       sei der Protest einfach.
       
       Auch in Kiew nimmt die belarussische Community großen Anteil an den Wahlen.
       Kurz vor acht Uhr morgens warten bereits zwei Dutzend WeißrussInnen, die
       meisten von ihnen unter 30 Jahren, geduldig auf Einlass in die Botschaft.
       Unter den Anwesenden herrscht eine Mischung von Aufbruchstimmung und
       Bedrücktheit. „Ich mache mir Sorgen um meine Familie und meine Freunde in
       Minsk“ sagt eine Uljana. „Die Situation dort ist sehr angespannt.“
       
       Auf die Frage, wen sie wählen werde, meint sie: „Eine Person, die für
       Veränderungen steht. Ein viertel Jahrhundert eine Person an der Macht, das
       ist einfach zu viel.“ „Ich werde auf jeden Fall für Swetlana Tichanowskaja
       stimmen“, sagt ein Nikitin, der sich aus beruflichen Gründen für mehrere
       Wochen in Kiew aufhält. Auch die Umstehenden nicken mit dem Kopf, als der
       Name Tichanowskaja fällt.
       
       Keiner der Anwesenden erklärte gegenüber der taz, dass er oder sie für
       Lukaschenko stimmen werde. Nikita hat dafür eine Erklärung: „Wer für
       Lukaschenko ist, kann heute ausschlafen. Seine Stimme wird ja auch im
       Schlaf gezählt.“
       
       9 Aug 2020
       
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