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       # taz.de -- Tradition versus Moderne: Kollisionen jenseits der Norm
       
       > Der Sampler „Tonal Unity Vol. 2“ des gleichnamigen Labels aus Seoul
       > bringt junge Künstler*innen mit koreanischen Musiktraditionen zusammen.
       
   IMG Bild: Multiinstrumentalistin Beck Junghyun
       
       Helle Bambusflöten dringen durch ein schlichtes, elektronisches
       Rhythmuskorsett. Dazu verflechten sich langsam und pulsierend immer weitere
       hauchende Klänge mit folkig anmutendem koreanischen Gesang, alle Sounds
       verdichten sich zu einzigartigem Klang. Mamazu, Produzent aus der
       Downtempo-Szene Tokios, hat für das Stück „Blueprint“ Samples aus dem
       Minyo, einer Form traditioneller koreanischer Vokalmusik, zu einer
       hypnotischen Collage verarbeitet. Sein Song erscheint zusammen mit anderen
       Beiträgen auf der lohnenswerten Koppelung „Tonal Unity Vol. 2“.
       
       Der Sampler ist der zweite von drei Teilen einer Serie, für die das
       namensgebende Label Tonal Unity aus der [1][südkoreanischen Hauptstadt
       Seoul] Künstler*innen aus aller Welt und ihre diversen elektronischen
       Spielarten dazu einlädt, sich mit traditioneller koreanischer Musik
       auseinanderzusetzen. Fusionen zwischen historisch gewachsenen
       Klangtraditionen und der Gegenwart bilden den Fokus von Tonal Unity, das
       seit 2016 vor allem Ambient- und Downbeat-Künstler*innen, digital und in
       liebevoll gestalteten Kleinstauflagen auf Kassette und Vinyl
       veröffentlicht.
       
       Alle sechs Tracks auf „Tonal Unity Vol. 2“ nähern sich der traditionellen
       [2][koreanischen Musik] über ihren Klangcharakter: Manches in der mehr als
       1.500 Jahre alten koreanischen Musiktradition legt die Begegnung mit
       fließenden, transzendierenden Genres elektronischer Popmusik von heute
       nahe, etwa das Zeitverständnis: Im Jeongak, der Musik des Hofes, gibt die
       Frequenz des menschlichen Atems das Tempo vor, wodurch langsame, weite
       Bögen entstehen.
       
       ## Repetition und Meditation
       
       Manchmal schweigen die sonst motorisch treibenden Trommeln und Gongs ganz.
       Ursprünglich entstand Jeongak aus meditativen buddhistischen Gesängen.
       Wiederholung und Improvisation sind prägend und zwischen den Stücken gibt
       es bei Aufführungen keine Pause.
       
       Ein Pansori, eine gesungene Erzählung, kann bisweilen acht Stunden am Stück
       dauern – vorgetragen von einer einzigen Person! Viele traditionelle
       Instrumente Koreas erzeugen durch ihre Bauart besonders zarte, weiche
       Klänge: Die Flöten sind aus Bambus, die Zupf- und Streichinstrumente haben
       Saiten aus Seide. Für Ohren, die an Klavierstimmung gewöhnt sind, scheinen
       die Instrumente um die Töne zu kreisen, was einen schwebenden Eindruck der
       Musik verstärkt.
       
       X.Y.R. aus Sankt Petersburg, der für seine Kompositionen zwischen Ambient
       und Cocktailjazz meist mit alten sowjetischen Analogsynthesizern
       experimentiert, hat sich für „Bamboo Haze“ der traditionellen koreanischen
       Instrumente angenommen. In seinem luftig flirrenden Soundscape schwebt
       zwischen Vogelzwitschern und synthetischen Flächen der Klang der
       Bambus-Querflöte Daegeum und die abwechselnd dumpfen und raschelnden
       Schläge der behutsamen Rhythmen erinnern an die markante, sanduhrförmige
       Trommel Janggu.
       
       ## Perlende Klavierakkorde
       
       DJ Bowlcut, in Seoul für analogen Lo-Fi-House bekannt, spielt in „Dream
       Valley“ mit Samples der koreanischen Schalmei Taepyeongso, die wie eine
       metallisch verstärkte Oboe klingt. „Flow“ von der koreanischen
       Multiinstrumentalistin Beck Junghyun zeigt nach zwei Minuten dämmriger
       Hotelbarstimmung voll perlender Klaviereinwürfe und wanderndem Bass eine
       deutliche Verbindung zur koreanischen Folktradition: Behutsam geht
       Junghyuns Stimme in einen tonumspielenden traditionellen Gesang über.
       
       Es wäre spannend gewesen, für „Tonal Unity Vol. 2“ die Praxis des nahtlosen
       Übergangs zwischen den Stücken, ähnlich einem [3][DJ-Mix], aufzugreifen.
       Wie dem auch sei, durch die Einladung zur konzentrierten Annäherung an die
       traditionelle Musik Koreas wird von Tonal Unity der Eindruck exotisierender
       Aneignung vermieden. Hier prallen Elemente unterschiedlicher Genres und
       Musiktraditionen frontal aufeinander und dabei entstehen klanggewaltige
       Kollisionen.
       
       Die Auseinandersetzung der Künstler*innen mit Geschichte wird im
       Zusammenspiel mit ihren kreativen Ideen stets hörbar. So oder so ist „Tonal
       Unity Vol. 2“ die Einladung für neue, auch ungewohnt klingende
       Entdeckungen, jenseits der musikalischen Norm.
       
       10 Aug 2020
       
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