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       # taz.de -- Politologe über Demo von Coronaleugnern: „Eine große Propagandawirkung“
       
       > Auf der Corona-Leugner-Demo tummelten sich auch viele Rechte. Dennoch
       > hinke der Vergleich mit Pegida, sagt Jan Rathje von der Amadeu Antonio
       > Stiftung.
       
   IMG Bild: Teilnehmer der Demonstration gegen die Coronamaßnahmen vor dem Brandenburger Tor
       
       taz: Herr Rathje, 38.000 Corona-Leugner, darunter viele offen
       Rechtsextreme, sind am Wochenende durch Berlin marschiert. Einige haben es
       sogar [1][auf die Treppen des Reichstags] geschafft. Sie waren am Samstag
       dort, wie haben Sie die Stimmung vor Ort wahrgenommen? 
       
       Jan Rathje: Es war die Stimmung eines großen Aufbruchs. Trotz vieler
       Widersprüche hatten die Menschen dort ein Gefühl von Gemeinschaft. Viele
       sind dort außerdem mit einer großen Erwartung hingefahren: Ein Zeichen zu
       setzen, um die Gesellschaft grundlegend zu verändern.
       
       Als Politikwissenschaftler beschäftigen Sie sich intensiv mit dieser
       Bewegung und den Verschwörungsideologien, die diesen Protest beflügeln.
       Welche sind die wichtigsten? 
       
       Was immer stärker deutlich wird, ist die Kombination aus alten und neuen
       Verschwörungsideologien. Neu ist der Einfluss der
       [2][„QAnon“-Verschwörungserzählung], die zunächst nur in den USA populär
       war. Darin nimmt Donald Trump eine Erlöserfunktion ein, gegen den
       vermeintlich verhassten tiefen Staat. Diese Vorstellung ist sehr
       anschlussfähig an die alte verschwörungsideologische Erzählung von
       Rechtsextremen und „Reichsbürgern“, die davon ausgeht, dass die
       Bundesrepublik kein legitimer Staat sei. Das war auf der Demo am Samstag
       sehr deutlich zu sehen, wo der Anteil der Reichsflaggen sehr hoch war,
       gerade auch vor dem Bundestag.
       
       Obwohl es nur eine kleine Gruppe war, die zudem noch [3][auf der Treppe
       gestoppt wurde], brüsten sich diese Leute in den sozialen Netzwerken nun
       mit einem angeblichen „Sturm“ auf den Reichstag. Welche Rolle spielen
       solche symbolischen Momente für das Gemeinschaftsgefühl dieser Bewegung? 
       
       Das Besteigen der Treppen und Überwinden von Polizeigittern hat eine sehr
       hohe Bedeutung für das Milieu. Hier haben der Staat und die Polizei auch
       maßgeblich versagt. Das Parlamentsgebäude hätte viel besser geschützt
       werden müssen, zumal dieses Milieu spätestens seit der zweiten Hälfte der
       2010er Jahre immer wieder dazu aufruft, solche Taten zu begehen. Die
       Bilder, die da erzeugt worden sind, haben eine große Propagandawirkung für
       das Milieu. Die Botschaft: Wenn wir alle zusammenstehen, kann uns der Staat
       nicht gefährlich werden. Es wird als großes Symbol gesehen, dass die
       Bundesrepublik Deutschland im Niedergang ist. Und dass jetzt die Zeit
       gekommen ist, sie und die damit verbundene liberale Demokratie abzuwickeln.
       
       Bereits im [4][Vorfeld hatte sich der Aufmarsch der Rechten abgezeichnet].
       Entwickeln sich die Corona-Leugner-Demos zu Pegida 2.0, einem neuen rechten
       Sammelbecken? 
       
       Der Vergleich zu Pegida hinkt etwas, zumindest wenn wir nur die jüngsten
       beiden Demonstrationen in Berlin anschauen. Viel eher wäre ein Vergleich zu
       den sogenannten [5][Montagsmahnwachen für den Frieden aus dem Jahr 2014/15]
       zutreffend. Teilweise sind es die gleichen Akteure, die auf der Bühne
       stehen und die Veranstaltungen besuchen. Damals war es auch so, dass sich
       eine Art Querfront gebildet hatte. Auch die Narrative unterscheiden sich:
       Während bei Pegida Rassismus im Vordergrund stand, ist es jetzt eher der
       Staat, der sich gegen seine Bürger verschworen habe. Was ich mit Besorgnis
       sehe, ist, dass am Samstag von der Bühne selbst Thesen des rechtsextremen
       „Reichsbürger“-Milieus von fehlendem Friedensvertrag verlesen wurden. In
       diesem Sinne könnte man fast sagen, dass das am Samstag die größte
       Reichsbürgerdemonstration gewesen ist, die es hierzulande in den letzten 30
       Jahren gegeben hat.
       
       Wie wird es mit der Bewegung weitergehen? 
       
       Das ist schwierig vorherzusagen. Allgemein lässt sich feststellen, dass uns
       diese Milieus mit ihren Themen nicht einfach in Ruhe lassen werden. Sie
       werden weiterhin die öffentliche Debatte beeinflussen. Menschen, die sich
       in diese Milieus hinein radikalisiert haben, konnten nun sehen, dass der
       Staat nicht immer konsequent bei Regelüberschreitungen durchgreift. Nur:
       Diese Hoffnung, den Staat in die Handlungsunfähigkeit zu zwingen, wird sich
       kaum realisieren lassen. Ein Teil wird vielleicht resignieren, ein anderer
       sich wahrscheinlich weiter radikalisieren. Letztlich ist das aber alles
       sehr spekulativ.
       
       31 Aug 2020
       
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