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       # taz.de -- Gewalt gegen Kinder: Was heißt „sexualisierte Gewalt“?
       
       > Ein Gesetzentwurf des Justizministeriums will den Begriff „sexuellen
       > Missbrauch“ ersetzen. Der Vorschlag stößt jedoch auf Kritik.
       
   IMG Bild: Bundesjustizministerin Lambrecht will härtere Strafen für Kindesmissbrauch durchsetzen
       
       Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will den sexuellen Missbrauch
       von Kindern nicht nur härter bestrafen, sondern auch begrifflich
       „brandmarken“. Künftig soll in den Überschriften der Paragrafen von fünf
       Einzeldelikten jeweils von „[1][sexualisierter Gewalt gegen Kinder]“ die
       Rede sein. Dies geht aus einem Gesetzentwurf des Justizministeriums hervor,
       der der taz vorliegt.
       
       Der Begriff „sexueller Missbrauch“ wurde im Strafgesetzbuch bisher
       verwendet, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wurde, nicht nur bei
       Kindern, sondern beispielsweise auch im Gefängnis oder im Pflegeheim. Mit
       Kindern unter 14 Jahren ist jede sexuelle Handlung tabu, unabhängig davon,
       ob sie erzwungen oder „freiwillig“ erfolgt.
       
       Bei Fällen gegenüber Kindern will Lambrecht den Begriff „sexueller
       Missbrauch“ nun generell durch „sexualisierte Gewalt“ ersetzen. So soll das
       Unrecht der Taten „klarer umschrieben“ werden, heißt es im Gesetzentwurf.
       Lambrecht will die Taten mit dem neuen Begriff „brandmarken“.
       
       Im taz-Interview kritisierte die [2][Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle]
       Lambrechts Plan. Die neue Terminologie sei „geradezu irreführend“, da es
       beim sexuellen Missbrauch nicht auf Gewaltanwendung im umgangssprachlichen
       oder im juristischen Sinne ankomme, erklärte Deutschlands führende
       Sexualstrafrechtlerin. „Wer hier ‚Gewalt‘ in die Überschrift schreibt, gibt
       manipulativen Tätern möglicherweise das Gefühl, dass sie nicht gemeint
       sind“, so Hörnle.
       
       ## Der Entwurf sieht härtere Strafen vor
       
       Der nun vorliegende Gesetzentwurf hält jedoch an der irritierenden
       Uneindeutigkeit fest. Auch wenn in der Überschrift von „sexualisierter
       Gewalt“ die Rede sei, bleibe es dabei, dass es „nicht auf die Anwendung von
       Gewalt oder auf Drohung mit Gewalt ankommt“, heißt es in der Begründung des
       Entwurfs. Besonders deutlich wird der Widerspruch beim neuen Paragrafen
       176a. Hier ist „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit
       dem Kind“ als Überschrift vorgesehen.
       
       Inhaltlich behandelt der Paragraf vor allem Strafverschärfungen.
       Grundsätzlich soll jeder sexuelle Missbrauch als „Verbrechen“ eingestuft
       werden – was eine Mindeststrafe von einem Jahr bedeutet. Die Aussetzung zur
       Bewährung bleibt zwar möglich, aber Verfahren können nicht mehr gegen
       Geldbuße eingestellt werden. Auch ein Strafbefehl ist nicht mehr möglich,
       das heißt, es muss stets eine Gerichtsverhandlung stattfinden, wovon sich
       Lambrecht einen „nachhaltigen Eindruck“ auf die Täter verspricht.
       
       Es soll allerdings zwei Ausnahmen von der Einstufung als Verbrechen geben.
       Bei Taten „ohne Körperkontakt“, etwa dem Zeigen pornografischer Bilder,
       soll die Mindeststrafe sechs Monate betragen. Und wenn die Tat
       einvernehmlich ist und „zwischen Täter und Kind“ nur ein geringer
       Unterschied im Alter und Reifegrad besteht, soll die Tat sogar straffrei
       bleiben.
       
       Konkret geht es etwa darum, dass ein 14-jähriges Mädchen (Täter) und ein
       13-jähriger Junge (Kind) Zärtlichkeiten austauschen. Laut Begründung soll
       damit ein „Freiraum sexueller Selbsterprobung mit annähernd Gleichaltrigen“
       gesichert werden. Kommt es zum Geschlechtsverkehr, gilt die Ausnahme aber
       nicht mehr.
       
       31 Aug 2020
       
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