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       # taz.de -- Schulstart trotz Corona in den USA: Der Schulstart als Wahlkampfthema
       
       > Ob der Unterricht startet oder nicht, hängt vom Parteibuch ab.
       > Republikanische Gouverneure drängen auf Normalität – und setzen Schulen
       > unter Druck.
       
   IMG Bild: Motivation fürs neue Schuljahr: Rap-Video von Callie Evans in Albany
       
       Washington taz | Das Schuljahr hat in einigen US-Bundesstaaten begonnen,
       doch welche Unterrichtsform am besten während einer Pandemie angebracht
       ist, darüber herrscht im gesamten Land eine rege Diskussion. So auch in
       Georgia, wo zahlreiche Schulen den Unterrichtsbetrieb Anfang August
       aufnahmen. Für die Schüler und Lehrer in Cherokee County, einem Landkreis
       nördlich von Atlanta, begann das neue Schuljahr am 3. August. Die ersten
       Probleme ließen nicht lange auf sich warten.
       
       „Unser Plan für die Wiedereröffnung unserer Schulen wurde von zwei
       unabhängigen Komitees begutachtet und kommentiert. Das eine Komitee bestand
       aus den Lehrern und Angestellten unserer Schulen und das zweite setzte sich
       aus Eltern und Partnern wie dem Familien- und Jugendamt und lokalen
       Krankenhäusern zusammen“, sagt die zuständige Medienvertreterin des
       Schulbezirks, Barbara Jacoby.
       
       Das Ergebnis dieser Gespräche waren zwei Unterrichtsangebote – einmal
       Onlineunterricht und einmal eine konventionelle Beschulung. Jacoby
       berichtet, dass es in Cherokee County eine klare Präferenz gegeben habe.
       Von den gut 42.000 Schülern des Landkreises hätten sich 77 Prozent für eine
       Rückkehr an die Schule entschieden. Nur 23 Prozent wählten den
       Onlineunterricht.
       
       Das eindeutige Ergebnis dürfte vor allem politische Gründe haben. Cherokee
       County ist wie der ganze Bundesstaat Georgia fest in republikanischer Hand.
       Donald Trump gewann den Landkreis 2016 mit mehr als 71 Prozent der Stimmen.
       Geht es nach dem US-Präsidenten und den Republikanern, dann sollen alle
       Schulen in den USA so schnell wie möglich wieder ihre Türen öffnen. Die
       Demokraten plädieren hingegen für eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen
       basierende Strategie zur Schulöffnung, legen sich also nicht endgültig
       fest.
       
       ## In Trump-Wahlkreisen macht die Schule eher auf
       
       Vor allem in Regionen und Bundesstaaten mit republikanischer Führung müssen
       Schulen mit erheblichen Problemen und rechtlichen Konsequenzen rechnen,
       sollten sie sich gegen eine Wiedereröffnung aussprechen. Dass die Politik
       bei der Entscheidung über die Unterrichtsform tatsächlich eine tragende
       Rolle spielt, bestätigt auch eine Untersuchung des Brookings-Instituts.
       Danach besteht ein deutlicher statischer Zusammenhang zwischen der
       Entscheidung für eine Schulöffnung und der Unterstützung für Trump bei der
       letzten Präsidentschaftswahl. Die US-Schulbezirke, die sich bisher für eine
       Rückkehr von Schülern in die Unterrichtsräume ausgesprochen haben, befinden
       sich größtenteils in Landkreisen, in denen mindestens 55 Prozent der Wähler
       für Trump gestimmt hatten.
       
       Zwar besitzen die einzelnen Schulbezirke große Entscheidungsfreiheiten bei
       der Form des Unterrichts. Doch die Regierungen der 50 US-Bundesstaaten
       haben zusammen mit der US-Administration in Washington das letzte Wort.
       
       In Florida, dem südlichen Nachbarstaat Georgias, musste der republikanische
       Gouverneur Ron DeSantis in dieser Woche eine Niederlage vor Gericht
       einstecken. DeSantis hatte im Juli ein Dekret erlassen, nach dem alle
       Schulen in seinem Bundesstaat dazu verpflichtet werden, trotz der anhalten
       Coronakrise konventionellen Unterricht an fünf Tagen in der Woche
       anzubieten. Der Gouverneur drohte denjenigen Schulen, die sich weigern
       sollten, mit dem Entzug von Fördergeldern. Die Gewerkschaft Florida
       Education Association, die 137.000 Mitglieder vertritt, unternahm dagegen
       juristische Schritte ein und bekam nun recht. Floridas Regierung hat
       allerdings angekündigt, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen.
       
       Wie viele Republikaner argumentiert auch DeSantis, dass das Risiko einer
       Corona-Ansteckung sowie einer ernsthaften Erkrankung bei Kindern wesentlich
       geringer sei als bei Erwachsenen. Tatsächlich kommt es bei Kindern und
       Jugendlichen bei einer Infektion nur äußerst selten zu schwerwiegenden
       Komplikationen. „Nichts im Leben ist ohne Risiko“, sagte der Gouverneur
       dazu.
       
       Neueste Untersuchungen haben aber auch gezeigt, dass Kinder und Jugendliche
       bei der Übertragung und Ausbreitung des Coronavirus eine weitaus
       bedeutsamere Rolle spielen könnten als bisher angenommen. Diejenigen unter
       ihnen, die mit dem Virus infiziert waren, hatten laut einer Studie des
       Massachusetts General Hospital eine höhere Viruskonzentration in ihren
       Atemwegen als Erwachsene mit Covid-19-Symptomen auf der Intensivstation.
       
       ## Ohne Mundschutz und dicht gedrängt
       
       Schon in den ersten Wochen nach Schulbeginn scheinen sich die Befürchtungen
       der Kritiker zu bestätigten. In Indiana, Louisiana, Oklahoma, Tennessee und
       Georgia mussten Schulen aufgrund von Covid-19-Ausbrüchen ihre Pläne wieder
       über den Haufen werfen. Bis auf Louisiana ist all diesen Bundesstaaten
       gemeinsam, dass sie von republikanischen Gouverneuren regiert werden.
       
       Ein Vorfall in Georgia sorgte erst kürzlich für nationale Schlagzeilen.
       Fotos in den sozialen Medien zeigten, wie Schüler in einer High School in
       Paulding County ohne Mundschutz und dicht gedrängt in einem Schulkorridor
       standen. Der Grund für das Gedränge war das traditionelle Foto zum ersten
       Schultag.
       
       Und auch in Cherokee County lief nicht alles nach Plan. Noch in der ersten
       Woche registrierte der Schulbezirk mehr als ein Dutzend positive
       Testergebnisse. Die Zahl der Infizierten ist seitdem weiter gestiegen.
       Knapp 1.200 Schüler und Lehrer mussten in eine 14-tägige Quarantäne
       geschickt werden.
       
       Der Leiter des Schulbezirks, Brian Hightower, erklärte in einem Schreiben
       an die Familien von Schülern, dass es mit großer Sicherheit auch in Zukunft
       weitere positive Testergebnisse geben werde. „Wir wissen, dass wir uns
       unter dem Mikroskop befinden. Die nationalen Medien berichten über die
       Schulöffnungen im ganzen Land“, schrieb Hightower. „Sie können sich
       allerdings sicher sein, dass unsere Entscheidungen nicht auf dem basieren,
       was die Menschen in New York oder Kansas denken. Unser alleiniger Fokus
       gilt dem Gemeinwohl unserer Gemeinde und unserer Schüler.“
       
       Georgias republikanischer Gouverneur Brian Kemp zeigte sich trotz der
       steigenden Infektionszahlen mit dem Start ins neue Schuljahr zufrieden.
       „Außer ein paar viralen Fotos verlief die erste Woche ziemlich gut“, sagte
       er.
       
       ## Trumps Position: Ohne Schule springt die Wirtschaft nicht an
       
       Rückendeckung für ihre Positionen erhalten Gouverneure wie Kemp von
       oberster Stelle. US-Präsident Donald Trump hat sich klar für eine umgehende
       Wiedereröffnung der mehr als 130.000 staatlichen Schulen im Land
       ausgesprochen. „Wir können 50 Millionen amerikanische Kinder nicht auf
       unbegrenzte Zeit davon abhalten, in die Schule zu gehen, und damit eine
       Schädigung ihrer geistigen, körperlichen, emotionalen und akademischen
       Entwicklung in Kauf nehmen“, sagte Trump Mitte August.
       
       Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat Trump angekündigt, Schulen,
       die sich seinem Kurs widersetzen, die staatlichen Zuschüsse zu entziehen.
       In Georgia haben sich dennoch viele Schulbezirke – vor allem in Atlanta und
       Umgebung – vorerst gegen eine Rückkehr zur alten Unterrichtsform
       entschlossen.
       
       Demokraten weisen Trumps Pläne für eine rasche Öffnung entschieden zurück.
       Die Sprecherin der demokratische Abgeordneten, Nancy Pelosi, bezeichnete
       den Vorschlag des Präsidenten als „größtes Risiko für die Ausbreitung des
       Coronavirus“. Sie sagte: „Der Präsident und seine Regierung spielen mit der
       Gesundheit unserer Kinder. Wir alle wollen, dass unsere Kinder wieder in
       die Schule gehen, aber wir müssen es auf eine sichere Art und Weise tun.“
       
       Alice Stewart, die den republikanischen Senator Ted Cruz bei seiner
       Präsidentschaftskampagne 2016 beraten hatte, sagte gegenüber der taz, dass
       es Trump beim Thema Schulöffnungen weniger um die Bildung der Kinder ginge,
       sondern vielmehr um wirtschaftliche Anliegen.
       
       „Um bei den bevorstehenden Wahlen eine Chance zu haben, muss es Trump
       schaffen, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise
       zu verringern“, so Stewart. „Daher auch sein Anliegen, Schulen
       schnellstmöglich zu öffnen. Denn nur, wenn Schüler zurück an den Schulen
       sind, können Eltern zurück in die Arbeit gehen und die Wirtschaft des
       Landes kann wieder anlaufen. Ich bin dennoch etwas überrascht, dass es zu
       einem Kernthema in der Coronadebatte geworden ist, da ich denke, dass die
       Vorteile, Kinder an Schulen zu unterrichten, auf der Hand liegen.“
       
       Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, die es durch strikte
       Lockdown-Regelungen erreicht haben, die Ausbreitung des Coronavirus
       zumindest einzudämmen, ist die Infektionsrate in den USA weiterhin
       ungebrochen hoch, mit zuletzt mehr als 40.000 neuen Infektionsfällen pro
       Tag. Am Montag lag die Zahl der nachgewiesenen Ansteckungen bei 5,997
       Millionen. 183.000 Infizierte in den USA sind gestorben.
       
       31 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hansjürgen Mai
       
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