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       # taz.de -- Filme feiern trotz Corona: Der Festival-Testballon
       
       > Bei den 77. Filmfestspielen von Venedig 2020 ist vieles anders. Auch das
       > Programm. Wie läuft das Festival ab unter Coronabedingungen?
       
   IMG Bild: Alles schick, aber ohne Glamour könnte das Motto in diesem Jahr am Lido lauten
       
       Zunächst war da die Frage, ob es überhaupt [1][ein Festival gibt.] Als dies
       regelmäßig bestätigt wurde, regte sich darauf leiser Zweifel, ob denn die
       internationale Presse zugelassen sein wird. Diese Frage ist inzwischen
       beantwortet. Die 77. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele von Venedig
       läuft wie geplant an, und auch Pressevertreter aus dem Ausland sind
       vertreten. Wobei es für Gäste von außerhalb der Europäischen Union eine
       Auflage gibt: Sie müssen sich bei der Einreise einem Coronatest
       unterziehen.
       
       Ein Festival der Größenordnung von Venedig unter Pandemiebedingungen
       abzuhalten, und zwar mit Vorführungen im Kinosaal, [2][nicht online als
       Stream], ist keine leichte Aufgabe. Dass dies möglich gemacht wurde, ist
       eigentlich die größte Nachricht in Zusammenhang mit der Mostra
       internazionale d’arte cinematografica. Für das Publikum bedeutet es
       gleichwohl eine Reihe von Änderungen.
       
       So kann man sich dieses Jahr nicht wie sonst üblich bloß mit einer
       Akkreditierung um den Hals in die Schlange vor dem Kino seiner Wahl
       stellen, um irgendwann eingelassen zu werden und sich einen Platz zu
       suchen. Den Platz muss man sich vorab sichern. Sämtliche Sitze, [3][die der
       geltenden Abstandsregeln] wegen deutlich weniger sind als bisher, müssen
       online gebucht werden.
       
       Solange der Vorrat reicht. Mithin wurde auch das Zuspätkommen ins Internet
       verlagert. Und die angebotenen Plätze zu ergattern, kann auch durch
       technische Hindernisse erschwert werden, wenn etwa die Seite nicht wie
       gewünscht lädt, sondern eine Fehlermeldung ausgibt. Beim Betreten des
       Festivalgeländes muss man jedes Mal die Temperatur messen lassen, auch dies
       ein Novum. Hygieneregeln gelten sowieso.
       
       ## Kein Joker
       
       Darüber scheint das Filmprogramm fast zweitrangig. Doch selbst da ist nicht
       alles wie gehabt. Einen „Joker“ wird es dieses Jahr zum Beispiel nicht
       wieder geben. Die großen Hollywood-Produktionen, die derzeit in den Kinos
       fehlen, da ihre Starttermine weitestgehend verschoben wurden, fehlen ebenso
       im Wettbewerb von Venedig, wo sie seit einigen Jahren eine Art Stammplatz
       hatten.
       
       Immerhin gibt es im Aussteigerfilm „Nomadland“ von der in den USA lebenden
       chinesischen Filmemacherin Chloé Zhao die große Frances McDormand als
       Hauptdarstellerin. Und der italienische Schauspielstar Pierfrancesco
       Favino, der hierzulande in den Kinos gerade als Mafia-Kronzeuge Tommasino
       Buscetta in Marco Bellocchios Gerichtsdrama „Il Traditore“ zu sehen ist,
       spielt in Venedig die Hauptfigur in Claudio Noces Wettbewerbsbeitrag
       „Padrenostro“ über die Folgen eines Terroranschlags aus der Zeit der Roten
       Brigaden.
       
       Ebenfalls aus Italien im Wettbewerb dabei ist die Regisseurin Susanna
       Nicchiarelli mit „Miss Marx“. Vor drei Jahren gewann Nicchiarelli mit ihrem
       sehr starken Biopic „Nico, 1988“ in Venedig den Preis der Reihe Orizzonti,
       für ihren aktuellen Film hat sie die jüngste Tochter von Karl Marx,
       Eleanor, als Protagonistin gewählt.
       
       Ihr Landsmann Gianfranco Rosi, der 2016 auf der Berlinale den Goldenen
       Bären für den Lampedusa-Dokumentarfilm „Seefeuer“ erhielt, zeigt derweil in
       „Notturno“, wie Menschen im Irak, in Kurdistan, Syrien und dem Libanon im
       Schatten des Kriegs leben.
       
       ## Deutschland mit dabei
       
       Aus Deutschland ist mit Julia von Heinz eine weitere Filmemacherin unter
       den Konkurrenten um den Goldenen Löwen. Vor fünf Jahren kam ihre
       Leinwandadaption von Hape Kerkelings Pilgerwegs-Bestseller „Ich bin dann
       mal weg“ zur Weihnachtszeit in die Kinos. In Venedig erzählt von Heinz in
       „Und morgen die ganze Welt“ hingegen von einer Jurastudentin, die sich in
       der Antifa gegen Rechtsextreme engagiert.
       
       Die Filmfestspiele von Venedig werden dieses Jahr damit zum Testballon für
       Festivals im Allgemeinen. Sie können der Filmbranche eventuell ein wenig
       von der Normalität zurückgeben, die seit dem Frühjahr ausgesetzt ist. Auf
       volle Kinos wird man aber auch in Venedig vergeblich warten.
       
       2 Sep 2020
       
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       ## AUTOREN
       
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