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       # taz.de -- Biden nominiert Kamala Harris: Moderater Durchbruch
       
       > Senatorin Harris schreibt als erste Schwarze Vizekandidatin
       > US-Geschichte. Für Trump ist sie „linksradikal“ – die US-Linke sieht das
       > aber anders.
       
   IMG Bild: Da konkurrierten sie noch: Kamala Harris und Joe Biden kurz vor einer TV-Debatte im Juli 2019
       
       New York taz | Als der designierte demokratische
       US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden am Dienstagnachmittag seine
       Entscheidung bekannt gibt, Kamala Harris zur Kandidatin für die
       Vizepräsidentschaft zu machen, schafft er es erstmals nach Monaten wieder
       in die Schlagzeilen. Aus sämtlichen Lagern seiner Partei und von Gruppen
       quer durch das Land – darunter Feministinnen, BürgerrechtlerInnen und
       ImmigrantInnen – kommen überschwängliche Glückwünsche. Ex-Präsident Barack
       Obama twittert, als wäre das nur noch eine Kleinigkeit: „Und jetzt lasst
       uns diese Wahlen gewinnen.“
       
       Das Weiße Haus reagiert mit persönlichen Beleidigungen. Donald Trump redet
       von dem „langsamen Joe“ und der „falschen Kamala“. Sie nennt er zusätzlich:
       „fies“ – ein Adjektiv, das er für starke Frauen reserviert. Inhaltliche
       Kritik kommt bloß von radikalen Linken. „Der Autor des Strafgesetzes von
       1994 und eine Cop“, witzelt der New Yorker Autor Doug Henwood bitter, „das
       ist das perfekte Ticket für diesen Black-Lives-Matter-Moment“. Zahlreiche
       Bernie Sanders-Fans veröffentlichen ähnliche Gedanken in den sozialen
       Medien. Sie hatten bis zum Schluss gehofft, dass Biden eine Linke an seine
       Seite holen würde.
       
       Kamala Harris ist zugleich eine historische Neuerung und eine Garantin für
       die Kontinuität an der Spitze. Die vor 55 Jahren in Kalifornien geborene
       Demokratin ist die Tochter einer indischen Mutter und eines Vaters aus
       Jamaika. Das macht sie zu der ersten Frau aus einer Minderheit, die
       Aussicht auf den zweithöchsten Posten im Land hat.
       
       Zugleich stammt sie aus demselben moderaten Flügel der Demokratischen
       Partei wie Biden, die Clintons und Obama. Bevor sie US-Senatorin wurde, war
       sie Justizministerin in Kalifornien und Staatsanwältin in San Francisco.
       Aus ihrer Zeit als Staatsanwältin eilt ihr der Ruf einer Hardlinerin
       voraus. Einer, die kleine Vergehen hart verfolgt hat und die die Polizei
       nicht für Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen hat.
       
       ## Biden und Harris – Beziehung mit ups and downs
       
       Biden und Harris kennen sich schon lange. Als Justizministerin von
       Kalifornien stand sie in Kontakt mit seinem 2015 verstorbenen Sohn Beau,
       der in dem kleinen Bundesstaat Delaware als Justizminister diente. Als sie
       in den Senat einzog, war Biden Vizepräsident und nahm ihr den Eid ab.
       
       Im Vorwahlkampf stießen die beiden öffentlich in einer bitteren
       Auseinandersetzung zusammen. Bei einer [1][Debatte] beschrieb sie den
       Kontrast zwischen seiner Sympathie für alte weiße Segregationisten im
       US-Kongress und ihrer eigenen Erfahrung als kleines schwarzes Mädchen in
       Kalifornien, das dank der Desegregation im Schulbus in eine „integrierte
       Schule“ fahren konnte.
       
       Bevor Biden sie auswählte, hat er sich wochenlang Zeit gelassen und
       Dutzende von [2][hochqualifizierten Frauen] für den Posten sondiert.
       Darunter waren auch mehrere andere ehemalige Mitbewerberinnen um die
       Präsidentschaftskandidatur, die Linke [3][Elizabeth Warren] und die
       Zentristin Amy Klobuchar.
       
       Biden hatte schon in der Endphase des Vorwahlkampfes, als nur noch er und
       Bernie Sanders im Rennen waren, versprochen, dass er eine Frau nehmen
       würde. Als im März nach mehreren Niederlagen Bidens Siegessträhne bei den
       Vorwahlen begann, wurde gleichzeitig klar, dass eine afroamerikanische
       Vizepräsidentin politisch opportun sein könnte.
       
       Denn es war Jim Clyburn, einflussreicher schwarzer Kongressabgeordneter aus
       South Carolina, der Biden zu den Stimmen der afroamerikanischen WählerInnen
       verhalf. Der brutale Tod von George Floyd unter dem Knie eines Polizisten
       in Minneapolis am 25. Mai lieferte ein weiteres Argument.
       
       Als anschließend [4][Black-Lives-Matter-DemonstrantInnen] an Hunderten von
       Orten quer durch die USA ein Ende von Rassismus und Gewalt verlangten, ließ
       Bidens Kampagne durchblicken, dass er über eine Frau aus den Minderheiten
       nachdenke.
       
       Am 3. November will das Tandem Biden/Harris versuchen, die Ära Trump zu
       beenden. Schon die Optik könnte kaum unterschiedlicher sein. So wie es
       bislang aussieht, wird Trump erneut mit Mike Pence ins Rennen ziehen. Neben
       den beiden alten weißen Männern wirken Biden und Harris wie eine
       Repräsentation des realen Landes.
       
       Dafür sorgen nicht nur ihre Alters-, Geschlechts- und
       Hautfarbenunterschiede, sondern auch ihre Herkünfte und Lebensläufe. Biden
       kommt aus einer katholischen Familie von der Ostküste. Harris ist zwischen
       vielen verschiedenen Einwandererkulturen an der Westküste aufgewachsen.
       Ihre Eltern haben sich an der Universität Berkeley kennengelernt, wo ihre
       Mutter Medizin und ihr Vater Wirtschaftswissenschaften studierte.
       
       ## Vize des womöglich ältesten Präsidenten aller Zeiten
       
       Nach der Trennung der Eltern zog Harris mit ihrer Schwester und ihrer
       Mutter für mehrere Jahre nach Kanada. Wenn sie prägende Ereignisse ihrer
       Kindheit und Jugend beschreibt, gehören dazu Bürgerrechtsdemonstrationen in
       Kalifornien, bei denen ihre Eltern sie im Kinderwagen schoben, das
       Selbstbewusstsein ihrer Mutter und ihre Beobachtungen in der Familienküche.
       Als zusätzliche kulturelle Erfahrung bringt sie das Leben mit einem weißen,
       jüdischen Ehemann mit.
       
       Bei seinem Amtsantritt wird Biden, falls seine Landsleute ihn im November
       wählen, 78 sein. Das würde ihn zum ältesten Mann machen, der zum ersten Mal
       das Amt antritt. Da im Falle des Ausfalls des Präsidenten automatisch die
       (oder der) Vize nachrückt, war eines der Auswahlkriterien für die
       Vizepräsidentin, dass sie vom ersten Amtstag an in der Lage sein muss, die
       Geschäfte zu führen. Für Harris, darin sind sich die DemokratInnen einig,
       trifft das zu. Auch der demokratische Sozialist Bernie Sanders traut ihr
       das zu.
       
       Der Parteitag der DemokratInnen, der in der nächsten Woche wegen der
       Pandemie nur mit einer Schrumpfbesetzung in Milwaukee stattfindet, soll die
       Einheit aller Parteiflügel demonstrieren. Unter anderem werden dabei auch
       die New Yorker Linke Alexandria Ocasio-Cortez und Sanders sprechen.
       
       Sie wollen versuchen, das moderate Tandem Biden/Harris dazu zu bringen,
       ihre zentralen Forderungen ins Programm aufzunehmen. Von der staatlichen
       Krankenversicherung für alle, über die Streichung von Studienschulden und
       Universitätsgebühren bis hin zu einer Strafrechtsreform.
       
       ## Für Trump ist Harris linksradikal und „fies“
       
       In den Vorwahlen hat Harris nirgends überzeugend abgeschnitten. Als im März
       in ihrem Heimatstaat Kalifornien die Vorwahlen stattfanden, war sie längst
       ausgeschieden. Sanders war dort mit 36 Prozent der stärkste Kandidat,
       abgeschlagen folgte ihm Biden mit 28 Prozent.
       
       Die demokratischen ParteistrategInnen hoffen darauf, dass Harris sowohl
       WählerInnen in der Mitte als auch bei moderaten RepublikanerInnen gewinnen
       kann. Und dass es ihr gelingen könnte, auch weiße Mittelschichtfrauen aus
       den Vorstädten anzusprechen, von denen 2016 noch viele für Trump gestimmt
       haben.
       
       Bei linken WählerInnen war Harris im Vorwahlkampf als
       Hardliner-Staatsanwältin unbeliebt. Seither haben Sanders' und Bidens Teams
       gemeinsam an dem Programm gearbeitet und sich angenähert. Sanders
       versichert, Biden werde der „fortschrittlichste Präsident seit dem New
       Deal“ werden. Doch unter seinen AnhängerInnen sind weiterhin viele, die
       sich nicht vorstellen können, für Biden zu stimmen.
       
       Trump, der sich jetzt auf den Endspurt im Wahlkampf einschießt, versucht
       dabei, Biden und Harris unwählbar für RepublikanerInnen zu machen, indem er
       sie als „Sozialisten“ und „Radikale“ disqualifiziert. Damit tut er ihnen
       bei linken WählerInnen zugleich einen Gefallen. Trump ist es – stärker als
       Biden –, der daran erinnert, dass Harris die Familienplanungsorganistion
       „Planned Parenthood“ unterstützt, gegen Fracking ist und eine
       Einwanderungsreform befürwortet.
       
       Er wirft ihr auch vor, dass sie bei den Anhörungen seines obersten Richters
       Brett Kavanaugh besonders harte Fragen genutzt hat. In Trumps Sprache war
       das „fies“.
       
       12 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
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