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       # taz.de -- Konflikt um Gasbohrungen im Mittelmeer: Athen und Ankara belauern sich
       
       > Kriegsschiffe beider Länder stehen sich im Mittelmeer direkt gegenüber.
       > Und beide drohen, ihren Gebietsanspruch mit Waffen zu verteidigen.
       
   IMG Bild: Das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“ in Begleitung kleinerer Kriegsschiffe im Mittelmeer
       
       Istanbul/Brüssel taz | Im ohnehin krisengeschüttelten östlichen Mittelmeer
       droht ein alter Konflikt neu aufzubrechen. Griechenland und die Türkei
       streiten sich um Hoheitsgebiete und sogenannte Ausschließliche
       Wirtschaftszonen, in denen sie allein das Recht haben wollen, dort
       vermutete Gasvorräte auszubeuten. Seit mehreren Tagen stehen sich
       Kriegsschiffe der beiden Länder direkt gegenüber. Beide drohen, Waffen
       einzusetzen. Die Stimmung ist sowohl in Griechenland als auch in der Türkei
       extrem nationalistisch aufgeheizt.
       
       Ort der Eskalation ist das Seegebiet um die kleine griechische Insel
       Kastelorizo. Sie liegt knapp drei Kilometer vor der türkischen Küste und
       rund 120 Kilometer von der nächsten größeren griechischen Insel Rhodos
       entfernt, als letzter Außenposten Athens im östlichen Mittelmeer.
       
       Die Türkei hat am Montag das Explorationsschiff „Oruç Reis“ losgeschickt,
       das jetzt im Seegebiet zwischen Kastelorizo und Rhodos erforschen soll, ob
       dort unter dem Meer Gasvorkommen existieren. Es mache „Röntgenaufnahmen“
       des Meeres, twitterte der türkische Energieminister Fatih Dönmez am
       Mittwoch. Das Schiff habe Unterwasserkabel in einer Länge von 1.750
       Kilometern ins Mittelmeer sinken lassen. GPS-Daten zeigten das
       Erkundungsschiff am Mittwoch zwischen Kreta und Zypern.
       
       Obwohl Kastelorizo mit knapp fünfzig Einwohnern direkt vor der Küste der
       Türkei liegt, beansprucht Griechenland das Seegebiet zwischen Kastelorizo
       und Rhodos als eigene Ausschließliche Wirtschaftszone, in der die Türkei
       nichts zu suchen hat. Ein 1994 in Kraft getretenes Seerechtsübereinkommen
       der Vereinten Nationen, das die Nutzung der Meere regeln soll und auf das
       sich Griechenland in dem Konflikt beruft, hat die Türkei als einer von
       wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet.
       
       Das türkische Forschungsschiff wird von Kriegsschiffen begleitet, ein
       weiteres Kriegsschiff ist bei Kastelorizo in Stellung gegangen. Auch
       Griechenland hat daraufhin Kriegsschiffe in die Region gesandt, die das
       türkische Forschungsschiff ununterbrochen auffordern, die Gewässer zu
       verlassen. Es hat den Anschein, als könnten jeden Moment Schüsse fallen.
       
       Jetzt soll die EU helfen. Wie von Griechenland gefordert, soll es am
       Freitag ein Krisentreffen der EU-Außenminister in Brüssel geben. Der
       Konflikt um die Gasbohrungen ist allerdings nur ein Thema unter vielen; im
       Mittelpunkt wird die Krise in Belarus stehen. Dass es im Mittelmeer zum
       Krieg mit der Türkei kommen könnte, glaubt man in Brüssel offenbar nicht.
       Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat zwar eine Erklärung
       herausgegeben, in dem er die Lage als „extrem besorgniserregend“
       bezeichnet. Die Suche nach einer Lösung hat er bisher aber Bundeskanzlerin
       Merkel überlassen. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Kanzlerin einen
       neuen „Deal“ wie 2016 nach der Flüchtlingskrise aushandeln könnte.
       
       Brüssel und Berlin hoffen auf ein umfassendes Abkommen mit dem türkischen
       Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, in dem es nicht nur um Migration, sondern
       auch um den Handel, um Syrien und Libyen gehen soll. Die Eskalation im
       östlichen Mittelmeer kommt deshalb äußerst ungelegen. Einige EU-Länder wie
       Malta oder Ungarn schlagen sich zudem auf die Seite der Türkei.
       
       ## Paris hat militärischen Beistand zugesagt
       
       Auf der anderen Seite fordert Frankreich ein klares Stoppsignal an Erdoğan.
       Präsident Emmanuel Macron hat Griechenland und Zypern sogar militärischen
       Beistand zugesagt, falls es zum Äußersten kommen sollte. Das zeigt, wie
       ernst die Lage ist – und wie weit die Interessen auseinandergehen.
       
       Vor zwei Wochen schon hatte Merkel als derzeitige EU-Ratsvorsitzende
       versucht, beruhigend in den Konflikt einzugreifen. Sie brachte Erdoğan
       dazu, das Forschungsschiff zurückzuziehen, und rang Griechenland das
       Versprechen ab, eine diplomatische Lösung anzustreben.
       
       Bevor jedoch Gespräche zwischen der Türkei und Griechenland beginnen
       konnten, unterzeichnete Athen in der vergangenen Woche in aller Eile ein
       Abkommen mit Ägypten, in dem das östliche Mittelmeer praktisch zwischen
       Griechenland, Zypern und Ägypten aufgeteilt wird. Die Türkei betrachtet
       dieses Abkommen als Provokation und hat deshalb erneut ihr Forschungsschiff
       in Begleitung von Kriegsschiffen in Marsch gesetzt.
       
       Der gesamte Konflikt hat weit zurückreichende Wurzeln und ist vor allem in
       Griechenland stark emotional besetzt. Ausgangspunkt ist [1][Zypern, wo vor
       Jahren rund um die Insel große Gasvorkommen nachgewiesen wurden]. Zypern
       ist seit einem Krieg 1974 zwischen Griechen und Türken geteilt, die
       türkische Republik Zypern wird allerdings nur von der Türkei und
       Aserbaidschan anerkannt. Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der
       Insel scheiterten zuletzt 2004 an der griechischen Mehrheit, die gegen
       einen UN-Plan stimmte.
       
       Bei der Ausbeutung der Gasvorräte will die griechisch-zyprische Regierung
       die Türken der Insel nicht beteiligen, was wiederum die Türkei nicht
       anerkennt. In einem überraschenden Coup hatte Ankara Anfang dieses Jahres
       [2][ein Seerechtsabkommen mit der libyschen Regierung in Tripolis
       abgeschlossen], das weite Teile des östlichen Mittelmeers zwischen Libyen
       und der Türkei aufteilt und von Griechenland, Ägypten, Zypern und Israel
       nicht anerkannt wird.
       
       ## EU-Mitglieder wollen keinen Krieg
       
       Während in der griechischen Öffentlichkeit der Eindruck herrscht, man stehe
       unmittelbar vor einem Krieg, wiegelt Erdoğan eher ab und bietet unentwegt
       Verhandlungen für eine „gerechte Lösung“ an. Sein Außenminister Mevlüt
       Çavuşoğlu machte allerdings am Dienstag klar, dass die Türkei „ihre Rechte
       bis zum Äußersten“ verteidigen werde.
       
       Der Ball liegt nun bei Merkel. Obwohl die EU ihr Mitglied Griechenland
       verbal unterstützt, hat kein EU-Mitglied die Absicht, für Griechenland in
       einen Krieg zu ziehen. Dasselbe gilt für die Nato, in der sowohl die Türkei
       als auch Griechenland Mitglied sind. Bei früheren Konflikten haben die USA
       dafür gesorgt, dass Griechenland und die Türkei nicht zu weit gingen, unter
       Donald Trump ist das nicht mehr der Fall. Nun muss die EU für einen
       Interessenausgleich sorgen, wenn es nicht zu einer militärischen
       Auseinandersetzung an ihrer südöstlichen Grenze kommen soll.
       
       Dieser Artikel wurde aktualisiert um 16.28 Uhr. 
       
       Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Kastelorizo
       liege mehrere hundert Kilometer von Rhodos entfernt. Die Insel liegt rund
       120 Kilometer von Rhodos entfernt. Wir haben den Fehler korrigiert.
       
       12 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Griechen-und-Tuerken-im-Erdgas-Streit/!5648129
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
   DIR Eric Bonse
       
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