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       # taz.de -- Ausstellung 100 Jahre Groß-Berlin: Große und kleine Würfe
       
       > Vor 100 Jahren bewältigte Berlin den Schritt zur Großstadt. Wie sieht die
       > Bewältigung ähnlicher Herausforderungen heute aus?
       
   IMG Bild: Ausstellung im Märkischen Museum
       
       Als „großen Wurf“ bezeichnete Museumsdirektor Paul Spies die Gründung von
       Groß-Berlin vor 100 Jahren. Der Kurator der Ausstellung „Chaos & Aufbruch“,
       Gernot Schaulinski, sprach sogar von einem „Big Bang der Berliner
       Geschichte“. Angesichts solch großer Worte dürfte es manchen Politikerinnen
       und Politikern ganz flau werden im Magen, denn die Ausstellung im
       Märkischen Museum, die Spies und Schaulinski am Dienstag eröffneten, blickt
       nicht nur auf 100 Jahre Eingemeindung zurück, sie schlägt auch einen Bogen
       in die Gegenwart.
       
       Seitdem steht also die Frage im Raum: Wie sähe wohl ein großer Wurf im Jahr
       2020 aus? Denn unbestritten ist, dass Berlin vor ähnlichen
       Herausforderungen steht wie nach dem Ersten Weltkrieg. Die Stadt wächst,
       Wohnungen sind knapp, die Infrastruktur ist überaltert und ächzt schon
       unter Normallast. Lässt sich das alles, wie damals, mit einem „Big Bang“
       vom Tisch räumen?
       
       An Plänen für die Herausforderungen, vor denen Berlin seit Mauerfall und
       der Wiedervereinigung steht, mangelte es nicht. Überzogene Wachstumspläne
       waren darunter, denen der Bau neuer Vorstädte wie in Karow folgte. Die
       Ertüchtigung eines berlinfernen Städtekranzes wurde propagiert, falls die
       Berlimania nicht nur das Umland erfassen sollte, sondern ganz Brandenburg.
       
       Inzwischen gehören Berlin und ganz Brandenburg zu einer Hauptstadtregion,
       die Landesentwicklungsplanung, auf die sich beide Länder verabredet haben,
       konzentriert sich auf die radialen Achsen entlang der S-Bahn-Trassen. All
       das hat freilich länger gedauert als das Werden von Groß-Berlin. Zwischen
       der Gründung des Zweckverbandes 1911 und der Verabschiedung des
       Groß-Berlin-Gesetzes am 1. Oktober 1920 vergingen gerade einmal neun
       Jahren.
       
       Die Bilanz der Gegenwart, zu der uns das Märkische Museum einlädt, fällt
       also nüchtern aus. 30 Jahre nach der Vereinigung gibt es noch immer keine
       zweigleisigen Bahnverbindungen nach Cottbus und Stettin, und mühsam
       ausgeklügelte Werke wie der Landesentwicklungsplan werden durch eine
       Firmenansiedlung wie Tesla mal eben über den Haufen geworfen.
       
       Die Antwort lautet also wenig überraschend: Nein, es gibt keinen großen
       Wurf wie vor 100 Jahren, das Einzige, das es nun zügig umzusetzen gilt,
       sind Infrastrukturplanungen wie i2030 zum Ausbau des Schienennetzes in der
       Hautstadtregion.
       
       Aber vielleicht ist die Frage, zu der das Märkische Museum einlädt, auch
       falsch. Vielleicht war Groß-Berlin gar kein großer Wurf, sondern eine
       Verwaltungsentscheidung, umgesetzt in dem kleinen Zeitfenster, in dem sie
       möglich war. Eine glückliche Gunst der Stunde also. Ähnlich wäre es
       gewesen, wenn 1996 der Volksentscheid zur Länderfusion erfolgreich gewesen
       wäre. Dann würden wir heute tatsächlich von einem großen Wurf sprechen
       können.
       
       28 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
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