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       # taz.de -- Aktivistin über Rassismus: „Systematisch verankert“
       
       > Maimuna Sallah hat eine Petition für Antirassismus im Bremer Unterricht
       > gestartet. Ein Gespräch über Ohnmachtserfahrungen und Sensibilisierung.
       
   IMG Bild: Nach dem Tod von George Floyd: Demonstration am 6. Juni in Berlin
       
       taz: Frau Sallah, Sie haben eine [1][Petition für Antirassismus und
       Kolonialgeschichte im Bremer Unterricht] gestartet. Warum war Ihnen das
       wichtig? 
       
       Maimuna Sallah: Das Thema war mir wichtig, weil es im Sommer sehr viele
       Unruhen gab – unter anderem wegen des Mordes an George Floyd. Ich hatte den
       Drang, auch etwas zu tun, da ich das Gefühl hatte, dass die Leute jetzt
       sehr empfänglich für das Thema Rassismus sind. Dann bin ich auf diese
       Petition in anderen Bundesländern gestoßen und wollte eine für Bremen
       initiieren. Wir sind nun alle untereinander vernetzt, die mehr als 94.000
       Unterschriften setzen sich aus allen Bundesländern zusammen.
       
       Haben Sie selbst auch Erfahrung mit Rassismus gemacht? 
       
       Ich bin als Schwarze Deutsche in Deutschland aufgewachsen. Meine Mutter
       kommt aus Ostfriesland, mein Vater reiste aus Gambia vor 30 Jahren hierher.
       In der Kindheit kannte ich den Begriff „Rassismus“ zwar noch nicht, ich
       habe ihn trotzdem erlebt. Zum Beispiel haben mich andere Kinder mit dem
       N-Wort konfrontiert oder Menschen haben mir ungefragt in die Haare gefasst
       und gefragt, wo ich herkomme. Es sind alles Situationen, in denen man
       merkt, dass man in der Gesellschaft anders wahrgenommen wird. Das begleitet
       mich ständig. Viele können auch nicht verknüpfen, dass ich als Schwarze
       Deutsche hier geboren und aufgewachsen sein kann.
       
       Waren Sie schon einmal an einem Ort, an dem Sie das nicht erlebt haben? 
       
       Nein. In meinem Auslandssemester in Rumänien nahm man mich zwar anders
       wahr, da war ich einfach „die Besucherin aus Deutschland“, aber mit
       Rassismus kommt man überall in Berührung. Das ist wie eine
       Ohnmachtserfahrung, weil man nur aufgrund seines Aussehens Gegenwind
       erfährt und sich immer zu einer Minderheit zugehörig fühlt. Man hat das
       Gefühl, man ist nicht wirksam oder gleichwertig. Darum wollte ich diese
       Petition starten.
       
       Was für ein Feedback haben Sie dafür bekommen? 
       
       Aus meinem persönlichen Umfeld natürlich gutes, aber im Internet habe ich
       auch negative Kommentare gelesen. Insgesamt ist die Tendenz positiv. Viele
       finden, das Thema ist schon lange überfällig. Von politischer Seite aus
       habe ich bisher noch nichts gehört. In den nächsten Wochen will ich mich
       aber mit den Entscheidungsträgern in Verbindung setzen.
       
       Sie sagen, dass die Gesellschaft in Deutschland rassistisch geprägt ist.
       Warum? 
       
       Rassismus und gesellschaftliche Ungleichheit funktioniert auf vielen
       Ebenen. Strukturell gesehen hat man einen schlechteren Zugang zu
       gesellschaftlichen Ressourcen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder
       Wohnungsmarkt. Ein „falscher“ Name reicht, um schlechtere Chancen im Leben
       zu haben. Individuell kommt es zu rassistischen Anfeindungen, weil die
       Gesellschaft nach wie vor nicht divers repräsentiert wird. Schulbücher sind
       ein gutes Beispiel: Kinder mit Migrationshintergrund finden sich dort kaum
       wieder und wenn, dann häufig stereotypisiert. Auch in der Werbung sind
       meistens nur Weiße Menschen zu sehen.
       
       Könnten Antirassismus und Kolonialgeschichte im Unterricht etwas dagegen
       tun? 
       
       Ich glaube, dass es schwierig ist, Projekte oder Konzepte zu entwickeln,
       die darauf abzielen, Rassismus abzuschaffen. Das ist aufgrund dieser
       systematischen Verankerung so gut wie gar nicht möglich. Der Begriff
       Anti-Rassismus birgt ein bisschen die Gefahr, das so zu verstehen. Trotzdem
       glaube ich, dass sich diese Rassismusstrukturen abbauen lassen, wenn man
       sowohl Lehrer*innen als auch Schüler*innen für dieses Thema sensibilisiert,
       damit sie erkennen, dass wir zwar alle unterschiedlich sind, aber nicht
       unterschiedlich behandelt werden sollten. Ein Mittel wären antirassistische
       Workshops oder Projektwochen. Was den Kolonialismus angeht, ist es ja nicht
       so, als würde er gar nicht in der Schule behandelt werden. Die Frage ist
       eher, ob er kritisch genug betrachtet wird.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Die Kolonialherren haben damals nicht einfach die Welt bereist und anderen
       Völkern die eigene Sprache beigebracht, sondern sie haben Macht ausgeübt
       und Menschen aus anderen Kulturen ermordet oder versklavt. Bis heute ist
       das in unserer Umgebung gegenwärtig, beispielsweise in Straßennamen oder
       Denkmälern, die an große Kolonialherren erinnern. Wenn man koloniale
       Strukturen nicht kennt, versteht man auch nicht, woher Rassismus überhaupt
       kommt.
       
       Eignet sich Antirassismus überhaupt als Lehrinhalt? 
       
       Das ist schwierig. Holt man sich antirassistische Trainer*innen, ist die
       Frage, wie viel davon bei den Schüler*innen hängen bleibt, wenn irgendwer
       für drei Tage ein Projekt durchführt und wieder fährt. Besser wäre es,
       solche Themen in der Ausbildung der Lehrkräfte differenziert zu behandeln
       und sie dafür zu sensibilisieren. Die Lehrer*innen könnten ihre
       Vorbildfunktion nutzen, indem sie Rassismus nicht dulden und ihn
       thematisieren, wenn er passiert. Dann können die Schüler*innen besser
       miteinander umgehen und davon profitieren. Ein eigenes Schulfach würde,
       glaube ich, den Rahmen sprengen, die Schule hat auch andere Baustellen.
       
       Lässt sich so eine Forderung in eine Petition fassen? 
       
       Mir ist bewusst, dass eine Onlinepetition nicht alle Ziele erreicht, die
       darin formuliert sind. Die Funktion einer Petition ist für mich aber zu
       zeigen, dass viele Menschen sich für dieses Anliegen einsetzen würden. Bei
       vielen Unterschriften kann die Politik das Thema nicht mehr ignorieren. Ich
       hoffe, dass sich langfristig etwas aus dieser Petition entwickelt, auch
       wenn nur zwei oder drei Punkte realisiert werden.
       
       Welche Wünsche hätten Sie für Ihre eigene Schulzeit gehabt? 
       
       Meine Schule trug die Aufschrift „Schule ohne Rassismus – Schule mit
       Courage“. Ich bin kein Fan davon, weil das impliziert, dass es Schulen ohne
       Rassismus gäbe und man sich diesen Titel erarbeiten könnte. Das geht aber
       nicht. Zu sagen, dass man den Rassismus überwunden hat, macht ihn
       unsichtbar. Man sollte lieber kontinuierlich versuchen, ihm kritisch zu
       begegnen und ihn abzubauen. Auf dem Gymnasium ist mir aufgefallen, dass
       alle Schüler*innen mit einem türkischen Background befreundet waren und
       dass sich solche Kreise selten überschnitten haben. Ich hätte mir
       gewünscht, dass die Lehrkräfte dazu beigetragen hätten, dass es zu mehr
       Überscheidungen kommt.
       
       8 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.change.org/p/rassismuskritische-lehre-anti-rassismus-und-kolonialgeschichte-in-bremen-unterrichten-rathaushb-news-bogedan-rassismus-blacklivesmatter-blackhistoryindeutschland
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Regina Seibel
       
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