URI: 
       # taz.de -- Bundesligafußball wieder vor Publikum: Singen, als gäbe es kein Corona
       
       > Union Berlin gewinnt das letzte Testspiel vor Saisonbeginn mit 2:1.
       > Wichtiger sind die Zuschauer: Es ist das erste Spiel mit Publikum seit
       > Corona.
       
   IMG Bild: Rote Trikots vor roten Plätzen: Da fallen die Lücken nicht so auf. Am Samstag bei Union
       
       Auf Berlin am Samstagnachmittag schaut seit Wochen ganz Deutschland: Wie
       das da so läuft mit Abstandhalten und Hygieneregeln.
       
       An diesem Wochenende schaute zusätzlich ganz Fußballdeutschland auf die
       Stadt, wie Dirk Zingler, Präsident des Fußballbundesligisten Union Berlin,
       vor dem Testspiel gegen den 1. FC Nürnberg in einem Brief an alle
       Vereinsmitglieder geschrieben hatte. Es sei ein besonderer Tag: Erstmals
       seit Beginn der Coronapandemie im Stadion An der Alten Försterei werde
       wieder ein Spiel vor Zuschauern austragen; das Land habe eine solche
       Fußballkulisse seit Mitte März nicht mehr erlebt.
       
       4.500 Zuschauer wohnten dem historischen Ereignis bei und sangen und
       riefen, als gäbe es kein Corona: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken,
       wir durchbrechen alle Schranken.“ Etwaige Beobachter, entsendet von
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Fußballliga-Boss Christian
       Seifert, konnten allerdings beruhigt sein: Es handelte sich um keine
       Provokation sogenannter Covidioten, sondern um einen traditionellen
       Fangesang. Das letzte Mal war er im Stadion vor 188 Tagen erklungen während
       der Bundesligapartie gegen Wolfsburg. Danach brach die Geisterspielzeit an.
       
       Ein Tiefschlag für Verein, Fans und auch Menschen wie den Flaschensammler
       Gregor. Für den 34-jährigen Köpenicker gab es nach dem Wolfsburg-Spiel am
       1. März den totalen finanziellen Einbruch. Ihm blieben nur noch die Partys
       in den Parks. Bis es auch für ihn am Samstag wieder hieß: endlich wieder
       auf den attraktiven Leergutweg vom Bahnhof Köpenick zur Union-Tanke.
       
       Ob der Union-Präsident auch die Flaschensammler im Hinterkopf hatte, als er
       in den vergangenen Monaten immer wieder von der Wichtigkeit des Klubs als
       Existenzsicherer für viele Menschen im Umfeld sprach? Kann sein. Mit seinem
       Vorpreschen, möglichst [1][schnell möglichst viele Zuschauer wieder ins
       Stadion zu holen], kam er trotzdem nicht überall gut an. Ja, ja die
       Profifußballer, die würden wieder ihre Extrawürste braten wollen, während
       in den Schulen Chaos herrsche, hörte man zuweilen. Kann man so sehen.
       
       Man kann aber auch fragen, ob sich für die Schulen irgendwas zum Besseren
       ändern würde, wenn die Profis nicht spielen würden. Unions Idee von
       Massentests für 22.000 Zuschauer war von Vornherein zum Scheitern
       verurteilt. Aber das Signal war klar: alles versuchen, um möglichst viele
       ins Stadion zu kriegen. Nach der jüngsten Verordnung des Landes Berlin, bis
       24. Oktober Großveranstaltungen unter freiem Himmel mit bis zu 5.000
       Zuschauern zu erlauben, wurde das letzte Testspiel für die Mannschaft vor
       Saisonbeginn zum Testspiel für Verein und Zuschauer für die kommende
       Coronasaison erkoren.
       
       Das vom Treptow-Köpenicker Gesundheitsamt bestätigte Konzept sah vor:
       personalisierte Tickets für die Losgewinner unter den Dauerkartenbesitzern,
       dazu nummerierte Plätze auch auf den Stehrängen durch Markierungen am
       Boden. Dies ermöglichte ausreichende Abstände, [2][wodurch auch Singen
       erlaubt war], und zwar ohne Mund-Nasen-Schutz. Den brauchte es nur auf den
       Wegen im Stadion, zum Bierstand zum Beispiel.
       
       Angesichts dieser aktuellen Bedeutung verblasste der historische Anlass des
       Spiels, der 100. Geburtstag des Stadions An der Alten Försterei. Am 7.
       August 1920 war es mit einem Spiel des damaligen deutschen Meisters 1. FC
       Nürnberg gegen Union Oberschöneweide eingeweiht worden.
       
       Dass etliche Fans an diesem Samstag nicht gekommen waren – einige der
       nummerierten Stehplätze auf den Rängen waren unbesetzt –, zeigt, dass das
       Konzept der Vereinsführung nicht auf ungeteilte Fanfreude stößt. Es gibt
       eine Gruppe, die nach dem Motto „Alle oder keiner“ die hygienebedingte
       Teilzulassung von Zuschauer ignoriert. Die Zuschauer, die da waren, sahen
       einen 2:1 Sieg der Roten (beide Union-Tore Marcus Ingvartsen) in einem
       wenig aufregenden Spiel. Wobei sich die Heerschar von Kamerateams bei den
       Fans ohnehin nur für eine Frage interessierte: Wie war's? Vorherrschendes
       Stimmungsbild: Ungewöhnlich, aber okay, besser als nichts.
       
       ## Vorbild für den Lokalrivalen
       
       Das und die brave Einhaltung der neuen Stadionregeln dürfte man auch beim
       Lokalrivalen Hertha BSC (der fast zeitgleich sein Testspiel beim HSV vor
       Geisterkulisse mit 0:2 verlor) mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Zu
       Herthas erstem Ligaheimspiel gegen Frankfurt Ende des Monats werden
       ebenfalls knapp 5.000 Zuschauer ins Olympiastadion kommen, nach einem
       Sinneswandel. Der dank Investor Lars Windhorst neureiche Klub hatte noch
       vor Kurzem Gedankenspiele präsentiert, auf Fans komplett zu verzichten, um
       kein Minusgeschäft zu machen. Nun aber wird es für die Fans von Hertha
       genau wie für die von Union heißen: Es gibt Tickets und bei Los(glück)
       geht’s los.
       
       6 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bundesliga-unter-Coronabedingungen/!5709066
   DIR [2] /Fussballspiele-mit-Publikum-in-Berlin/!5705262
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gunnar Leue
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Geisterspiele
   DIR Fußball-Bundesliga
   DIR Union Berlin
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Fußball-Bundesliga
   DIR FC Bayern München
   DIR Amateurfußball
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Union Berlin
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR FC Union
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Fußball-Bundesliga in Coronazeiten: Ohne Abstand und Anstand
       
       Bundesligist Union Berlin will bald Spiele ohne Abstandsregeln
       veranstalten. Ein realitätsferne Idee angesichts steigender
       Corona-Infektionen.
       
   DIR Bundesliga in Corona-Zeiten: Spiel immerhin mit Ball
       
       Warum ein Kick mit nur wenigen Zuschauern immer noch besser ist als gar
       kein Kick. Auch wenn es in der Wolfsburger VfL-Arena stattfindet.
       
   DIR Bayern vor dem Bundesliga-Start: Stabiler Dauerwille
       
       Beim FC Bayern ist vor dem Geisterspiel gegen Schalke ein Großteil der
       Kaderplanung abgeschlossen. Favorit ist der Klub auch ohne weitere Zugänge.
       
   DIR Amateurfußball zu Coronazeiten: Den Fußballkindern fehlt der Kick
       
       Im Berliner Amateursport findet nur jeder zweite Spieltag statt. Das ist
       ungerecht und unnötig. Und vielen Kindern raubt es die Motivation.
       
   DIR Bundesliga unter Coronabedingungen: Union verschiebt Teststrategie
       
       Eigentlich wollte der Berliner Fußballbundesligist die Saison mit vollen
       Zuschauerrängen beginnen. Nach Gesprächen mit dem Senat wird daraus nichts.
       
   DIR Max Kruse wechselt zum 1. FC Union: Eiserner Exzentriker
       
       Mit der Verpflichtung von Max Kruse gelingt Union Berlin ein Transfercoup.
       Klub und Spieler verbindet deutlich mehr, als man denkt.
       
   DIR Fußballspiele mit Publikum in Berlin: Sollen die Fans singen?
       
       Union will wieder vor Publikum spielen. Auch der Amateurfußball lechzt nach
       Zuschauer*innen. Die Vereine beklagen einen Flickenteppich an Regeln.
       
   DIR Union Berlin hat Klassenerhalt geschafft: Die Sensation ist perfekt
       
       Schon drei Runden vor Schluss: Der 1. FC Union hat nach einem 1:0 gegen
       Paderborn sensationell früh den Bundesliga-Klassenerhalt geschafft.