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       # taz.de -- Nawalny-Komplex, Reichstag, Populismus: Katastrophe in der Katastrophe
       
       > Rote Pipelinien sucht Angela Merkel zu Russland, antifaschistische
       > Schutzwälle sind am Reichstag im Gespräch. Und wo ist eigentlich die
       > Mitte gerade?
       
   IMG Bild: Angela Merkel während einer Pressekonferenz am Donnerstag
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: [1][Trump will, dass seine Fans zweimal wählen.]
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Lesen Sie die taz gedruckt und dann online noch mal. Das ist legal.
       
       Im Fall des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny deutet vieles darauf
       hin, dass er von der russischen Regierung vergiftet wurde. Das sieht sogar
       die Kanzlerin so. Was sollte daraus folgen? 
       
       Russisches Roulette. Merkel hat jede Patrone verschossen, um die eine zu
       bewahren: zu sagen, dass es die russische Regierung gewesen sei. Das
       nämlich wäre tödlich – für Merkels Ziele. [2][Die Gaspipeline Northstream
       2], den Minsk-Prozess für die Ukraine, eine Lösung des Syrienkrieges,
       vieles mehr. Putin dagegen hat nichts zu verlieren; dazu reicht ein Blick
       auf die veröffentlichte Meinung im Westen – da ist der Fall schon gelöst.
       Prognose: Russland wird Beweise fordern, alles kühl abbürsten; Merkel wird
       die Partner auf ein Sanktionsfeuerwerk herunterhandeln. Sonst wäre es das
       historische Kunststück, dass Putin sich durch Merkels Hand ins eigene Knie
       geschossen hätte.
       
       Russland ist ja auch immer ein beliebtes Thema bei der Linken. Gysi
       vermutet ein Komplott gegen Putin, Dağdelen will die Wirtschaftsbeziehungen
       retten, Ernst erwartet Aufklärung aus Moskau. Ist eine Partei mit so einer
       Außenpolitik regierungsfähig? 
       
       Genau! Oder müsste Willy Brandt heute eine politische Heimat in der AfD
       suchen? Die schweigen dröhnend durch zu Nawalny. Brandt machte seine
       bahnbrechende Ostpolitik mit dem Weltklasseschurken Breschnew, ein
       Neostalinist aus dem Diktatoren-Leistungskurs, der Putin noch viel
       Nachhilfe geben könnte. Wer sich heute unter dem Claim „Wandel durch
       Annäherung“ gen Osten wagt, ist politisch tot und „Putinversteher“. Es ist
       eine Katastrophe in der Katastrophe – dass die Mäßigung den Extremisten
       überlassen wird.
       
       Nachdem Neonazis am vergangenen Wochenende Reichskriegsflaggen auf der
       Treppe zum Bundestag schwenkten, wird über einen besseren Schutz des
       Gebäudes diskutiert. Wie sieht der perfekte antifaschistische Schutzwall
       aus? 
       
       Digital. Der Verfassungsschutz hatte vorher gewarnt, Rechtsextremisten
       mobilisierten „breiter und intensiver“ – [3][das war zu neblig für mehr
       Polizei am Reichstag]. Andere kritisieren, um genau dieses Bild sei es in
       rechten Chats schon vorher gegangen. Also ein medialer Treffer mit Ansage.
       Nazis stehen nun mal auf diese „Sturm auf den Reichstag“-Bilder. Noch in
       der Nacht seiner Machtergreifung hob Hitler das Weimarer Bannmeilengesetz
       auf; so wichtig ist denen das.
       
       Die Mehrheit der Deutschen ist dafür, Karneval wegen Corona abzusagen. Was
       sagen Sie als Kölner dazu? 
       
       Heilschock. Das Oktoberfest kann man absagen, dann fällt es aus. Den Kölner
       Karneval kann man absagen, dann birst das Jeckbeamtentum und drunter
       regiert volkstümliches Infektionsgeschehen. Vorausschauend wählte man einen
       örtlichen Beerdigungsunternehmer zum Amtskarnevalsboss, und schon 2019 das
       Motto „Et Hätz schleiht im Veedel“. Das Herz schlägt im Kiez. Dem mafiös
       überkrusteten „Fasteleer“ konnte nichts Besseres passieren. [4][Danke,
       Kinderkarnevalsprinz von Ottenstein 1992, Jens I.]!
       
       Die „Tagesthemen“ benennen ihre Kommentare um in „Meinung“, damit die
       ZuschauerInnen besser verstehen, dass es sich hier um eine Einzelmeinung
       handelt. Kuschen sie damit vor dem rechten Mob? 
       
       Die Rubrik war über 42 Jahre durchaus ein solide vom Prompter gelesener
       Kropf, Chefredakteurs-Folklore. Die Redaktionslichtung, auf der stattliche
       Zwanzigender aus den Gremien buhlten. Kann man sich als Zuschauer ein Bier
       holen. Oft genug Thingstätte des hochgestochenen Sowohlalsauchismus.
       Neuerdings erwies sich manches Wutsolo als viral gängig, [5][und nun steht
       eher zu hoffen, dass es reichlich Einzelmeinungen gibt].
       
       Auf Demonstrationen in Berlin herrscht jetzt Maskenpflicht. Ist das nicht
       das, was die Antifa immer wollte? 
       
       Gute Frage. Und: Müssen Bankräuber die Maske unter oder über der Maske
       tragen?
       
       Laut einer aktuellen Studie sind die Deutschen immer weniger populistisch
       eingestellt. [6][Dominanter würden dagegen rechte Positionen bei
       Wähler:innen]. Was kommt da bei der nächsten Bundestagswahl 2021 auf uns
       zu? 
       
       Die Politik hat auf Corona vergleichsweise autoritär reagiert. Früher sagte
       Merkel: „Sie kennen mich“ und „kümmern Sie sich um Ihr Leben, ich mach den
       Rest“. Nun gab’s klare Ansagen der Regierung. Und siehe – ein Teil des
       hergelaufenen Wählerpacks will’s doch gar nicht anders. Das trennt die
       Kundschaft der Randparteien – wer nur mal ordentlich geführt werden möchte,
       kann mittiger wählen; die Rechten bleiben rechts.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Maximal 300 Zuschauer bis Ende Oktober in NRW-Stadien. Drücken wir
       Leverkusen die Daumen, dass alle kommen.
       
       Fragen: afro, eaz
       
       6 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Briefwahl-in-den-USA/!5712296
   DIR [2] /Gas-Projekt-Nord-Stream-2/!5712243
   DIR [3] /Debatte-nach-Corona-Protest-am-Reichstag/!5710761
   DIR [4] https://twitter.com/jensspahn/status/1102528711067340801/photo/1
   DIR [5] /Tagesthemen-benennen-Kommentar-um/!5706797
   DIR [6] /Studie-zu-politischen-Einstellungen/!5712164/
       
       ## AUTOREN
       
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