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       # taz.de -- Forstwirtschaft in Irland: Kein Land für Eichhörnchen
       
       > Irland hat schon lange eine zwiespältige Beziehung zu seinen Wäldern. Nun
       > werden auch noch eine Million Bäume geschreddert.
       
   IMG Bild: Die Eichhörnchen in Irland müssen auf den Boden, da Millionen Bäume geschreddert werden
       
       Dublin taz | Es hat zumindest Tradition. In keinem anderen Land Europas
       wurden die Wälder so gnadenlos abgeholzt wie in Irland. In dieser Woche
       müssen nun eine Million Jungbäume dran glauben, darunter 400.000 Eichen.
       Der Grund dafür ist Misswirtschaft.
       
       Teige Ryan, der Direktor der Baumschule None So Hardy, sagt, die irische
       Forstwirtschaft stecke in einer schweren Krise. Die Situation sei
       vergleichbar mit einem Patienten, der unter einer langwierigen schweren
       Erkrankung leide und nun einen Herzinfarkt bekommen habe. Er gibt dem
       Landwirtschaftsministerium die Schuld. Es habe die Verwaltung der
       Forstwirtschaft seit Jahren vernachlässigt und der Lizenzvergabe keine
       Dringlichkeit zugemessen.
       
       Der „Herzinfarkt“ für die Forstwirtschaft, sagt Ryan, wurde dann durch ein
       Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausgelöst. Dieser hatte 2018
       entschieden, dass Irlands Umwelt-TÜV, der Bestandteil der Lizenzvergabe für
       die Aufforstung ist, nicht rigoros genug sei. Deshalb müsse das Ministerium
       mehr Ökologen und Verwaltungsangestellte anheuern.
       
       Das ist bisher nicht geschehen, sodass sich 1.500 Lizenzanträge im
       Ministerium stapeln. Ryans Baumschule steht vor dem Aus. „Die Jungbäume
       haben nur eine begrenzte Haltbarkeit“, sagt er. Man könne sie nicht
       unbegrenzt „durchfüttern“, weil sie ab einer bestimmten Größe mehr Platz
       benötigten und umgepflanzt werden müssten.
       
       Von einem „detaillierten Plan, mit Rückstau und neuen Anträgen fertig zu
       werden“, sprach der zuständige Minister Dara Calleary, bevor er am Freitag
       wegen Missachtung der Coronaregeln zurücktreten musste. Und von
       „bedeutenden Investitionen“. Dabei ist das Problem keineswegs neu. In den
       vergangenen drei Jahren sind bereits fünf Millionen Setzlinge geschreddert
       worden.
       
       ## Eichhörnchen müssen auf den Boden
       
       Irland hat eine zwiespältige Beziehung zu seinen Wäldern. Früher waren 80
       Prozent der Insel bewaldet. Ein Eichhörnchen konnte laut Volksmund von
       Belfast im Norden nach Cork im Süden gelangen, ohne den Boden zu berühren.
       Doch über die Jahrhunderte wurden die Wälder dezimiert, und es waren nicht
       nur die englischen Besatzer, die Holz für ihre Armada brauchten. Der
       Tiefpunkt war 1928 erreicht, als nur noch 1,2 Prozent des Landes bewaldet
       waren.
       
       In den 1990er Jahren stellten die irische Regierung und die EU Fördergelder
       zur Verfügung, damit die Bauern Bäume pflanzten. Das trug dazu bei, dass
       der Anteil bewaldeter Fläche wieder zugenommen hat. Heute sind es 11
       Prozent, der zweitniedrigste Waldbestand in der Europäischen Union. Fast
       drei Viertel von Irlands Wäldern sind keine dreißig Jahre alt.
       
       Zur Jahrtausendwende hatte die irische Regierung 1,2 Millionen Bäume
       spendiert – einen für jeden Haushalt. Man bekam eine Urkunde und einen
       Lageplan, auf dem der „eigene“ Baum markiert war. Das Projekt mit dem
       protzigen Titel „Jahrtausendforst des Volkes“ kostete 5 Millionen Pfund, es
       gab Informationsveranstaltungen, Filme und Unterrichtseinheiten für
       Schulen.
       
       Voriges Jahr ersann die Regierung ein neues Projekt. Bis 2040 sollen 440
       Millionen Bäume gepflanzt werden, um CO2 zu binden – 22 Millionen im Jahr.
       Bisher stehen in Irland vor allem Nadelbäume. Die nicht heimische
       Sitka-Fichte macht 51 Prozent des Bestands aus, weil sie auch auf
       schlechtem Boden wächst, der für die Landwirtschaft nutzlos ist.
       
       Es müsse ein Umdenken stattfinden, sagte Forstwirtschafts-staatssekretär
       Andrew Doyle. Man müsse abwägen, welche Art von Bäumen man wo und zu
       welchem Zweck pflanzen wolle, das habe Auswirkungen auf Artenvielfalt und
       Ökosystem. „Wenn es nur Nadelbäume sind, halten die Menschen sie lediglich
       für Produkte der Holzindustrie“, so Doyle. Ein Mischwald sei gut als
       Erholungsraum, für Artenvielfalt und CO2-Bindung. Wenn das Agrarministerium
       jedoch nicht langsam in die Gänge kommt, werden weder Nadel- noch Laubbäume
       gepflanzt.
       
       22 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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