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       # taz.de -- Klima-Aktivistinnen treffen Merkel: Realpolitik trifft Realismus
       
       > Vier Klima-Aktivistinnen fordern von Bundeskanzlerin Merkel mehr Handeln
       > in Sachen Klimaschutz. Die Kanzlerin will vielleicht mutiger werden.
       
   IMG Bild: Der Kanzlerin gegenüber: Luisa Neubauer und Greta Thunberg fordern konkreten Klimaschutz
       
       Berlin taz | Mit einem medienwirksamen Termin im Kanzleramt hat sich die
       Klimabewegung Fridays for Future nach der Coronapause auf der politischen
       Bühne zurückgemeldet. Am Donnerstag trafen die Aktivistinnen Greta
       Thunberg, Luisa Neubauer und ihre beiden belgischen Mitstreiterinnen Anuna
       De Wever van der Heyden und Adélaïde Charliér Bundeskanzlerin Angela
       Merkel. In einem 90-minütigem Gespräch, das „freundlich und nett“ verlief,
       wie Thunberg anschließend sagte, forderten die Aktivistinnen von Merkel,
       während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Führungsstärke in der
       Klimapolitik zu zeigen und dafür zu sorgen, „dass das Pariser Abkommen
       umgesetzt wird“.
       
       Das Treffen fand genau zwei Jahre nach Greta Thunbergs erstem Schulstreik
       in Stockholm statt – „aber wir sind nicht die Menschen, die solche
       Jahrestage feiern“, sagte die Aktivistin zu Journalisten. In brütender
       Hitze und praller Sonne hatte das Klima-Quartett auf die Terrasse des
       Hauses der Kulturen der Welt gleich neben dem Kanzleramt geladen.
       Regierungssprecher Steffen Seibert twitterte ein kurzes Video vom Treffen.
       
       Greta Thunberg und Merkel hatten sich bereits bei der UN-Generalversammlung
       2019 kurz getroffen. Thunberg hatte danach geklagt, Merkel sei nicht an
       einem Gespräch interessiert gewesen. [1][Das ausführliche Treffen jetzt
       hatten die Klimaschützer angeregt]. „Es gab einen Wunsch von Frau Neubauer
       und deshalb möchte ich mich diesem Gespräch nicht verweigern“, hatte Merkel
       gesagt.
       
       Denn die vier AktivistInnen hatten am 16. Juli einen offenen Brief an die
       EU-Regierungen geschrieben, in dem sie konkrete Forderungen aufstellten:
       Europa solle sofort aufhören, fossile Brennstoffe zu suchen und
       auszubeuten, seine Subventionen für Öl, Kohle und Gas streichen und
       bindende CO2-Budgets einführen. „Behandelt den Notstand bei Klima und
       Umwelt wie einen Notstand!“ ist eine zentrale Forderung.
       
       Dieser Katalog zeigt, wie beim [2][Treffen im Kanzleramt] Realpolitik auf
       Realismus traf. Auf der einen Seite die Kanzlerin der größten europäischen
       Wirtschaftsmacht, die berühmt für ihren politischen Pragmatismus ist.
       Merkel hat sich zwar deutlich für die Erhöhung des europäischen Klimaziels
       für 2030 von derzeit minus 40 auf „50 bis 55 Prozent“ ausgesprochen. Doch
       schon diese Erhöhung ist unter den EU-Staaten umstritten. Und Deutschland,
       so heißt es aus der Regierung, müsse seine eigenen Ambitionen
       zurückstellen, um als ehrlicher Makler einen Kompromiss zu suchen.
       
       ## Ein neues System, „so einfach ist das“
       
       Auf der anderen Seite brachten die Klimaschützerinnen mit ihrem Brief eine
       ganz andere Version von Realismus mit ins Kanzleramt: „Die Veränderungen,
       die gebraucht werden, um die Menschheit zu retten, mögen sehr unrealistisch
       sein“, schreiben sie. „Aber es ist viel unrealistischer zu glauben, dass
       unsere Gesellschaft die globale Erwärmung überleben kann, auf die wir
       zusteuern.“ Anders als die aktuelle Coronapandemie sei das Klima „niemals
       als Krise behandelt worden“.
       
       Für die vier Merkel-Besucherinnen ist auch das große Ziel der EU –
       Klimaneutralität bis 2050 – „gleichbedeutend mit der Selbstaufgabe“, weil
       die Erderwärmung so nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden könne. „Das Ziel der
       Erholung für ein ökonomisches System, das in sich die Klimakrise antreibt,
       um so Klimaschutz zu finanzieren, ist so absurd, wie es klingt“,
       kritisierten sie den „Green Deal“ und das 2-Billionen-Investmentpaket der
       EU. „Wir brauchen ein neues System“.
       
       Sie hätten diese Fragen mit Merkel angesprochen, erklärte Thunberg. Sie
       verstehe, dass es auch für Merkel nicht einfach sei, denn Verträge etwa zu
       fossiler Energie „zu brechen, das ist jetzt nicht möglich.“ Deshalb brauche
       man ein neues System, „so einfach ist das.“ Auf die [3][Kritik einiger
       Ortsgruppen von Fridays for Future] an ihrem Termin bei der Kanzlerin
       meinte sie, die vier sprächen nicht für FFF, das „ist eine
       Graswurzelbewegung von vielen Aktivisten“.
       
       Auch Luisa Neubauer hatte im Interview mit dem ARD-„Morgenmagazin“
       Realismus anders definiert. Auf die Frage nach Jobverlusten durch
       Klimaschutz sagte sie: „Die Klimakrise gefährdet Jobs, wenn sie eskaliert.
       Wer Arbeitsplätze schützen will, muss sich dafür einsetzen, dass sie
       nachhaltig werden.“
       
       ## Weltweiter Klimastreik am 25. September
       
       Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der
       Bundesregierung Globale Umweltveränderungen und eine der Stimmen von
       Scientists for Future, unterstützte gegenüber der taz die radikalen
       Forderungen aus dem offenen Brief. „Wir haben verloren, wenn junge Menschen
       den Mut verlieren zu sagen, wir brauchen Klimaschutz besser heute als
       morgen. Entwicklung und Veränderung kommt durch visionäre Menschen.“
       
       Realismus überwiegt auch beim weiteren Programm der FFF: Für den 25.
       September organisieren sie den nächsten weltweiten Klimastreik und Hunderte
       von Aktionen in Deutschland, verkündete Luisa Neubauer: „Online, auf der
       Straße, je nach Situation – und natürlich mit Corona-Abstand.“
       
       20 Aug 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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