# taz.de -- Gedenkveranstaltung in Hanau: Vorwürfe an die Behörden
> Der Gedenkkundgebung in Hanau wurde eine Höchstgrenze von 249 Personen
> verordnet. Der Stream der Veranstaltung wurde in 50 Städten gezeigt.
IMG Bild: Gekommen, um zu erinnern: Menschen hielten in Hanau Bilder und Namen der Opfer hoch
HANAU taz | Ein Angestellter der Stadtverwaltung war am Samstagvormittag
mit dem Zollstock über den Freiheitsplatz im Zentrum von Hanau gelaufen und
hatte 249 pinkfarbene Punkte auf die Pflastersteine gemalt. 249 – so viele
DemonstrantInnen hatte die Stadt Hanau am Freitagabend als Höchstgrenze für
die Gedenkkundgebung für die Opfer des Anschlags vom 19. Februar
festgelegt. Tausende von Menschen waren eigentlich erwartet worden. Doch
wegen der [1][sprunghaft angestiegenen Corona-Infektionen] hatte
[2][Bürgermeister Claus Kaminsky (SPD) die lange geplante Demo der
Angehörigen überraschend verboten.]
„Wir bedauern dies, aber wir sind keine Corona-Rebellen“, hatten die
OrganisatorInnen der Initiative 19. Februar (I19F) noch am Freitagabend
geschrieben. Die Mobilisierung sei „abgesagt“. Gleichzeitig riefen sie dazu
auf, die nunmehr weitgehend ohne Publikum ablaufende Kundgebung am
Samstagnachmittag per Videostream an möglichst vielen Orten zu zeigen.
Um 15 Uhr am Samstag kümmerte sich niemand mehr um die Punkte. Die Menschen
hatten sich lose über den Platz verteilt. Genau gezählt wurde nicht, die
Polizei sah den Abstandsregeln aber Genüge getan.
## Schwer auszuhaltenden Redebeiträge
„Wir dürfen hier nur mit 249 Menschen stehen, während um uns herum Tausende
einkaufen und Wein trinken“, sagte Newroz Duman von der I19F zur Begrüßung.
Vorn im Publikum stand Kaminsky, in der Hand ein „Erinnerung“-Schild, neben
der hessischen SPD-Landesvorsitzenden Nancy Faeser und dem Präsidenten von
Eintracht Frankfurt, Peter Fischer.
Rund zwei Stunden sprachen Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Cousins und
FreundInnen der Toten. In teils schwer auszuhaltenden Redebeiträgen
schilderten sie den [3][Schmerz, den die Morde an den 9 Opfern des
Anschlags] bei ihnen hinterlassen haben. „Dieses Land hat uns zu Opfern
gemacht“, beklagte die Mutter des ermordeten Sedat Guerbuez. „Der Friedhof
ist zu meiner Wohnung geworden.“
Serpil Unvar, Mutter des getöteten Ferhat Unvar, erklärte: „Ich hätte ihm
noch so vieles sagen wollen, ich dachte immer, wir hätten noch Zeit.“ Ihr
Sohn habe „immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir als Ausländer nicht
akzeptiert werden. Manche Lehrer hassen ausländische Kinder. Und Kinder
merken das.“
Mehrere Angehörige erhoben schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Alija
Kurtovic, die Schwester des ermordeten Hamza Kurtovic, fragte, wie es
möglich sein könne, dass der Attentäter R. seine Tat schriftlich bei
mehreren Staatsanwaltschaften ankündigte und danach völlig ungehindert an
einem Gefechtstraining in der Slowakei teilnehmen durfte.
“R. war Dauergast im Amtsgericht. Wie kann es sein, dass der seinen
Waffenschein behalten durfte?“, fragte auch Çetin Gültekin, der Bruder des
ermordeten Goekhan Gueltekin. Er forderte den Rücktritt des hessischen
Innenministers Peter Beuth (CDU), weil dieser die Reihe von Versäumnissen
im Hanau-Fall „auch noch als exzellente Polizeiarbeit schönrede“.
## Keine Sprache der Welt für das Leid
Am Ende dürfte die Zahl der Menschen, die die [4][Kundgebung im Internet]
verfolgt haben, höher gewesen sein als die der ursprünglich erwarteten
DemonstrantInnen. Nach Angaben von United we stream’ sahen bis 18 Uhr rund
300.000 Menschen das Video im Netz. In rund 50 Städten folgten lokale
Gruppen dem Aufruf der Initiative 19. Februar und zeigten den Videostream
vor Ort. Dutzende NGOs und Medien übertrugen den Stream auf ihren Web- oder
Facebookseiten.
„Keine Sprache der Welt findet Worte, um diese Tat zu beschreiben, um das
Leid der Angehörigen zum Ausdruck zu bringen,“ sagte Eintracht Präsident
Fischer. „Aber wir können laut sein und uns solidarisieren und uns
gemeinsam wehren.“ Fischer hatte in den vergangenen Monaten viele
Angehörige der Opfer besucht.
Auf der Rednerliste hatte auch Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky
gestanden. Trotz des Demoverbots hatte die I19F seinen Auftritt nicht
gestrichen. „Das Verhältnis ist weiterhin gut, es gab am Morgen ein
Treffen“, sagte I19F-Sprecher Mario Neumann.
Kaminsky selbst entschied sich aber, nicht zu sprechen. „Ich wäre hier der
einzige Politiker gewesen, der gesprochen hätte und hätte angesichts
unserer gestrigen Entscheidung über Corona sprechen müssen. Das halte ich
für eine falsche Akzentuierung“, sagte Kaminsky dem lokalen
Nachrichtenportal Op-Online. [5][„Ich hatte in den vergangenen sechs
Monaten sehr oft die Gelegenheit, dazu zu sprechen und denke, meine Haltung
ist klar.“]
22 Aug 2020
## LINKS
DIR [1] /Corona-Neuinfektionen-in-Deutschland/!5708991
DIR [2] /Rassistischer-Anschlag-vom-19-Februar/!5708986
DIR [3] /Sechs-Monate-nach-Hanau/!5703415
DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=4VhpVomwnQU
DIR [5] /Buergermeister-ueber-Hanauer-Anschlag/!5702770
## AUTOREN
DIR Christian Jakob
## TAGS
DIR Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
DIR Opfer rechter Gewalt
DIR Rechte Gewalt
DIR Schwerpunkt Rassismus
DIR Gedenken
DIR Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
DIR Schwerpunkt Rechter Terror
DIR Schwerpunkt Rassismus
DIR Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
DIR Hessen
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Absage der Hanau-Gedenkveranstaltung: Symbolisch fatal
Schwer zu ertragende Gleichzeitigkeit: Das Gedenken in Hanau war stark
eingeschränkt. Direkt nebenan herrschte aber dichtes Markttreiben.
DIR Rassistischer Anschlag in Hanau: „Unser ganzes Leben ist zerstört“
Nach einem Verbot der Gedenk-Demo für die Opfer des Anschlags von Hanau
wurden die Reden per Livestream übertragen. Wir veröffentlichen vier
Auszüge.
DIR Sechs Monate nach Hanau: Eine Frage des Vertrauens
Ohne Vertrauen kann eine Demokratie nicht funktionieren. Aber was, wenn man
es verloren hat – so wie unsere Autorin nach dem Anschlag von Hanau?
DIR Rassistischer Anschlag vom 19. Februar: Stadt Hanau verbietet Gedenk-Demo
Wegen steigender Corona-Infektionen muss die Kundgebung der Angehörigen des
Anschlags ausfallen. Das stößt nicht nur auf Verständnis.
DIR Mutmaßlich rassistischer Anschlag: Elf Tote nach Schüssen in Hanau
In Hanau sterben nach Schüssen zehn Menschen. Der Tatverdächtige wird tot
aufgefunden, er hinterlässt ein rechtsextremes Bekennerschreiben.