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       # taz.de -- Erfolg bei Seuchenbekämpfung: Polio in Afrika ausgerottet
       
       > Als letztes afrikanisches Land hat Nigeria die gefürchtete Kinderlähmung
       > besiegt. Dort war der Kampf gegen das Virus besonders zäh.
       
   IMG Bild: Kinder im nigerianischen Bundesstaat Kano werden 2010 gegen Polio geimpft
       
       Cotonou/Berlin taz | Ein Meilenstein in der internationalen
       Seuchenbekämpfung: Afrika ist jetzt offiziell vollständig frei von Polio,
       der gefürchteten Kinderlähmung. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nahm
       auf der 70. Sitzung ihres Afrikakomitees am Dienstag einen entsprechenden
       Bericht an.
       
       In Nigeria wird nun gefeiert. Ausgerechnet in Afrikas Riesenstaat mit rund
       200 Millionen Einwohner*innen hatte sich das Virus gehalten, nachdem es
       überall sonst auf dem Kontinent ausgerottet war. Auf Twitter posten nun
       Nigerias Gesundheitsbehörden und private Organisationen Bilder von
       Sektgläsern und applaudierenden Händen. Gesundheitsminister Ehanire Osagie
       mahnte seine Kollegen auf der WHO-Sitzung: „Afrikanische Länder müssen
       verstärkt zusammenarbeiten. Sie brauchen eigene Lösungen, auch wenn es um
       Impfungen geht.“
       
       Poliomyelitis (Kinderlähmung) ist eine Virenerkrankung, die durch den
       Kontakt von Fäkalien mit dem Mund verbreitet wird und zu unheilbaren
       Lähmungen des Nervensystems führen kann. Bis zur Entwicklung von
       Schluckimpfungen in den 1950er Jahren war die Krankheit weltweit endemisch.
       Impfkampagnen in den reichen Ländern begannen in den 1960ern; 1988 wurden
       sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen mit dem
       UN-Kinderhilfswerk und der Rotary Foundation weltweit ausgeweitet. Ein
       ähnlich global koordiniertes Programm gibt es sonst nur gegen den
       Guineawurm.
       
       Die letzten Polio-Erkrankungen in Nigeria liegen vier Jahre zurück. Damals
       wurden zwei Fälle im Bundesstaat Borno registriert, was als herber
       Rückschlag galt – in den zwei Jahren zuvor war kein Ausbruch verzeichnet
       worden. Nachdem drei Jahre keine Infektionen mehr folgten, kam dann ein
       erstes Aufatmen vergangenes Jahr am 21. August: Nigeria ist frei von Polio,
       gab die WHO bekannt; wenn das so bleibt, wird nach einem Jahr die Seuche
       auf dem gesamten Kontinent für besiegt erklärt. Das ist nun geschehen.
       
       Zwei der drei Polio-Stämme ausgerottet 
       
       Seit 1988 sind laut WHO die Polio-Fälle weltweit [1][um über 99 Prozent
       zurückgegangen], von geschätzten 350.000 Erkrankungen auf 33 im Jahr 2018.
       Die WHO erklärte die Amerikas 1994 poliofrei, den Westpazifik im Jahr 2000,
       Europa im Jahr 2002 und Südostasien im Jahr 2014. Poliofrei bedeutet, dass
       drei Jahre hintereinander kein Infektionsfall mehr registriert wurde. Dann
       gilt die Übertragungskette als unterbrochen, im Folgejahr wird die Seuche
       offiziell für ausgerottet erklärt.
       
       Laut WHO sind seit 2019 zwei der drei bekannten Stämme des Polio-Wildvirus
       vollständig ausgerottet. Nachdem Afrika jetzt poliofrei ist, zirkuliert das
       Virus nur noch in Pakistan und Afghanistan, wo radikale Islamisten seit
       Jahren die Impfkampagnen verhindern. Dadurch steigen die Fallzahlen wieder:
       Nach 33 weltweit im Jahr 2018 waren es 2020 bis zum 16. Juni bereits 70.
       Seit Monaten wird in Pakistan und Afghanistan wegen Corona gar nicht
       geimpft.
       
       Dass der Kampf gegen Polio in Nigeria so zäh war, hat für Tunji Funsho,
       Mitglied der nigerianischen Presidential Task Force on Polio und
       Vorsitzender des nationalen Polio-Plus-Komitees von Rotary, verschiedene
       Gründe: „Anders als andere Länder hat man erst vor 15 Jahren begonnen, den
       Kampf ernst zu nehmen.“ Immer wieder gab es offizielle Boykotts. So zogen
       sich 2004 mehrere nigerianische Bundesstaaten aus einem für zehn
       westafrikanische Staaten aufgelegten Impfprogramm zurück: Die
       Unbedenklichkeit sei nicht bewiesen, hieß es.
       
       Im nordnigerianischen Bundesstaat Kano hat die Angst eine Vorgeschichte:
       Dort richtete das Antibiotikum Trovan während eines Meningitisausbruchs im
       Jahr 1996 schwere Schäden an. Elf Kinder starben, Dutzende trugen schwere
       Behinderungen davon. Für die Familien gab es keine Unterstützung. Noch
       heute weckt das Engagement der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sowie von
       Afrikas reichstem Geschäftsmann Aliko Dangote für Massenimpfungen immer
       wieder Misstrauen, auch geschürt von radikalen Islamisten wie der
       [2][Terrormiliz Boko Haram.]
       
       Impfkampagnen zeitweise ausgesetzt 
       
       Im Februar 2013 wurden neun Mitarbeiterinnen ermordet, die in der Nähe der
       Provinzhauptstadt Kano Kinder impften. Die Angreifer kamen auf Motorrädern
       und eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer. Die katastrophale Sicherheitslage
       im Nordosten Nigerias sorgte anschließend dafür, dass Impfkampagnen
       komplett ausgesetzt werden mussten.
       
       Wichtig sei nun, zu zeigen, dass Impfungen sicher und vor allem kein
       Angriff auf die muslimische Welt sind, sagt Mediziner Funsho. „Die meisten
       islamischen Länder sind schließlich frei von Polio. Das ist ein Beweis.“
       Auch müssten die Impfteams mit traditionellen Herrschern und Imamen
       zusammenarbeiten. „Sie sind die direkte Verbindung zu den Menschen.“
       
       25 Aug 2020
       
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