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       # taz.de -- Verteidiger der Demokratie: Der Mut der Einzelnen
       
       > Drei Polizisten haben bei einer Demonstration von Corona-Leugnern den
       > Bundestag vor Nazis geschützt. Ein lobenswerter Einsatz für die
       > Demokratie.
       
   IMG Bild: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt die am Reichstag eingesetzten Polizisten
       
       Es gibt in diesen Tagen und Wochen viele, die – zu Recht – viel über die
       Demokratie reden und darüber, dass sie geschützt werden müsse. Manchmal
       aber muss man es einfach auch tun. Das haben jetzt in einem entscheidenden
       Moment ausgerechnet drei Männer gemacht, die zu einer Berufsgruppe gehören,
       die sich mit Müll gleichsetzen, als generell gewaltorientiert und
       rechtslastig bezeichnen lassen musste.
       
       Drei Polizisten haben sich am Samstag mit ihrem Körper vor eine über
       hundertköpfige Menge gestellt, die die Stufen zum Reichstagsgebäude
       hochstürmte, und den Eingang verteidigt, bis Verstärkung eintraf. Ohne
       diese drei hätten Rechtsextreme mit Reichsflaggen in das Symbol der
       parlamentarischen Demokratie eindringen können. Es könnte das Bild des
       Jahres werden.
       
       Es hat in der Geschichte immer wieder Momente gegeben, wo nicht Strukturen
       oder geniale Strategien das große Ganze schützten, vor dem Kollaps oder
       einer Demütigung bewahrten, sondern der Mut und Einsatz Einzelner. Der Mann
       ohne Helm, wie er bekannt geworden ist, der Berliner Polizist Karsten
       Bonack, er erinnert auf den Videos, die im Internet anzuschauen sind, an
       den legendären Horatius Cocles der altrömischen Geschichte: Angreifende
       Etrusker hatten – wie am Samstag die Demonstranten die Polizeikräfte – das
       römische Heer umgangen und standen am Tiber vor der einzigen Brücke. Die
       verteidigte Cocles allein, bis seine – auch bei ihm – zwei Kollegen hinter
       ihm die Brücke zerstört und damit sichergestellt hatten, dass die Angreifer
       nicht schnell zur Stadt vordrangen.
       
       Da muss sich ein jeder schon fragen: Hätte ich das auch gemacht? Hätte ich
       auch für die Demokratie – auch Rom war damals noch Republik – Kopf und
       Körper hingehalten? Am Tag nach der Großdemo schlug im Wedding in der
       Müllerstraße ein Mann während eines katholischen Gottesdienstes den Pfarrer
       nieder und konnte danach fliehen: Laut Zeugen sprang nur einer dem
       Geistlichen zur Seite, offenbar traute sich niemand sonst, den Täter
       aufzuhalten.
       
       Nun ist nicht jeder so breitschultrig wie der Polizist Bonack und hat nicht
       über 30 Dienstjahre mit brenzligen Situationen hinter sich. Aber auch das
       war keine Garantie, dass er da heile wieder rauskommen würde, als er sich
       vor die Menge stellte – Grünen-Senatorin Ramona Pop etwa hatte Journalisten
       in den Tagen vor der Demo von „unglaublichen Gewaltandrohungen“ gegen den
       Innensenator berichtet.
       
       Was dabei ganz entscheidend ist: Bonack hat das mit Worten, klarer Ansage
       und seinen Händen gemacht – geschützt nur durch eine Weste, ohne
       Schutzpanzer, Schild oder Schlagstock. Er hat das getan in einer Situation,
       in der in den USA Polizisten womöglich längst die Waffe gezückt und
       vielleicht auch abgedrückt hätten. Was einmal mehr zeigt, wie falsch es
       ist, das US-Polizeiwesen und seine Schwachstellen mit dem deutschen
       gleichzusetzen.
       
       Man muss darum nicht gleich zum Fan der Polizei werden. Und, ja, es gibt
       dort Fälle illegaler Gewaltanwendung. Trotzdem ist festzustellen: Was
       Bonack und seine beiden Kollegen am Samstag vor dem Bundestag getan haben,
       war Dienst an der Demokratie. Man muss auch kein Fan der Linkspartei sein,
       um ihrem Fraktionschef Dietmar Bartsch recht zu geben. Der hat über den
       Mann ohne Helm gesagt: „Das ist eigentlich jemand, der ein
       Bundesverdienstkreuz verdient hat.“
       
       5 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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