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       # taz.de -- Ein Jahr vor der Berlin-Wahl: Alle beim Wahlkampf
       
       > In einem Jahr, im September 2021, wird in Berlin neu gewählt. In den
       > Parteien aber hat die Qual der Wahl längst begonnen​.
       
   IMG Bild: Alle schon beim Wahlkampf? Leere im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses
       
       Zwölf Monate, zwölf Umfragen, zwölfmal eine teils satte Mehrheit für eine
       Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen. Da konnte die CDU auf
       Bundesebene zuletzt boomen wie lange nicht mehr – in Berlin unterstützen
       laut Befragungen seit August 2019 konstant 56 bis 57 Prozent der Wähler die
       drei Parteien links der Mitte. Bloß jüngst im Juli waren es nur 53 Prozent
       – aber damit immer noch mehr als bei der Abgeordnetenhauswahl 2016. Also
       alles schon gelaufen für eine Neuauflage im September 2021? Bloß noch zu
       klären, ob diese Koalition dann grün oder rot geführt ist? Nein, ganz und
       gar nicht.
       
       Ein Jahr noch bis zur Wahl, genauer: bis zu den Wahlen, denn parallel zur
       Abgeordnetenhauswahl ist ja auch die zum Bundestag angesetzt. Prägen wird
       diesen Tag zudem der mutmaßlich gleichfalls anstehende Volksentscheid
       „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Viel wird zudem davon abhängen, ob es
       tatsächlich ab Januar einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben wird, wie
       das Robert-Koch-Institut, alles andere als ein Lautsprecher, jüngst
       angekündigt hat, wie zügig dann geimpft werden kann – und wie schnell
       Corona danach in den Hintergrund rückt und ganz anderes nach vorne. Wenn
       nicht mehr vorrangig Krisenmanagement von Merkels ruhiger Hand gefragt ist,
       wäre wieder Platz für Themen, bei denen CDU und CSU vorher weit weniger gut
       aussahen, etwa beim Umweltschutz.
       
       Viel hängt aber auch daran, wie es in der rot-rot-grünen Koalition auf
       Berliner Landesebene weitergeht. Bringt das Thema Enteignungen – von der
       Linkspartei und als letztes Mittel auch von den Grünen unterstützt, von den
       Sozialdemokraten aber mehrheitlich abgelehnt – das Bündnis in den letzten
       Monaten noch auseinander? Wie sehr prägt der parallele Volksentscheid die
       Entscheidung bei der Wahl in Berlin?
       
       Offen ist auch: Wie sehr beeinflusst der viel zitierte Bundestrend den
       Ausgang der Abgeordnetenhauswahl? Schon bei Umfragen ist oft zu beobachten,
       dass die Befragten sich merklich wenig an der landespolitischen Performance
       der Parteien orientieren, sondern sich vorrangig vom Agieren der großen
       Namen auf Bundesebene leiten lassen. Macht Angela Merkel in der Coronakrise
       eine gute Figur, steigen die Werte der Berliner CDU, ohne dass die
       währenddessen durch nennenswerte eigene Initiativen aufgefallen wäre. Und
       mit den Grünen auf Bundesebene, die ohne eigenen Fehler in Umfragen
       absackten, weil sie als Oppositionspartei in der Krise weniger als sonst im
       Fokus sind, verloren auch die Berliner Grünen an Rückhalt: Sie sackten von
       25 Prozent im Februar auf 19 Prozent im Juli ab.
       
       Mit parallelen Wahlen zu Bundestag und Landesparlament am selben Tag dürfte
       sich dieses Phänomen verstärken – die Union mit Merz/Laschet/Söder auf
       Bundesebene wählen, aber der Berliner CDU die Stimme verweigern, das dürfte
       nicht so oft passieren.
       
       Schließlich ist da noch die Frage: Hat die designierte neue
       SPD-Landeschefin und absehbare Spitzenkandidatin Franziska Giffey überhaupt
       Lust auf Rot-Rot-Grün? Würde sie, die Noch-Bundesministerin, sich als
       einfaches Senatsmitglied einordnen, falls die Grünen bei der Wahl vor der
       SPD landen? Oder würde sie ein Bündnis mit CDU und FDP auszuloten
       versuchen, um die Sozialdemokraten im Roten Rathaus zu halten und selbst
       Regierungschefin zu werden? Was natürlich voraussetzt, dass die SPD vor der
       CDU landet und die FDP überhaupt im Abgeordnetenhaus bleibt und nicht an
       der Fünfprozenthürde scheitert.
       
       Und was passiert, wenn es doch weniger Prozente als derzeit prognostiziert
       werden für die jetzigen Koalitionsparteien, es also doch nicht erneut für
       eine Mehrheit links der Mitte reicht? Bekommt dann eine grüne
       Spitzenkandidatin von ihrer Basis freie Hand, um eine grün-schwarze
       Koalition auszuloten? Oder noch schlimmer: eine schwarz-grüne? Dazu muss
       diese Spitzenkandidatin gar keine Wirtschaftssenatorin vom Realo-Flügel
       sein und Ramona Pop heißen, bei der linken Parteibasis für ein solches
       Bündnis grundsätzlich verdächtig. Nein, auch Fraktionschefin Antje Kapek
       pflegt solche Kontakte und war noch wenige Wochen vor dem Coronalockdown
       mit CDU-Chef Kai Wegner eine Bio-Currywurst essen – man war nicht immer
       einer Meinung, aber per du.
       
       Viele Fragen, viele Unwägbarkeiten. Ein Jahr Vorlauf bis zum Wahltermin im
       September 2021 scheint noch lang und eine US-Amerikanisierung hiesiger
       Abstimmungen zu sein: Dort liegt schon zwischen dem ersten offiziellen
       Vorwahltermin in Iowa zur Kandidatenauswahl und der eigentlichen
       Präsidentenwahl am 3. November ein Dreivierteljahr, ganz zu schweigen vom
       monatelangen Warmlaufen der Bewerber zuvor. Doch neu ist das eigentlich
       auch in Berlin nicht: Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 war es schon gut
       anderthalb Jahre vorher das liebste Gesprächsthema in der Landespolitik, ob
       Renate Künast, damals Bundestagsfraktionschefin, grüne Spitzenkandidatin
       würde.
       
       Wie dem auch sei: Er hat begonnen, der Kampf ums Rote Rathaus, das nach
       Wunsch von Künasts Parteifreunden grün werden soll. (sta)
       
       ## Die SPD: Was will diese Frau?
       
       Wer wird die SPD im kommenden Jahr in den Wahlkampf führen? Seit Januar
       scheint diese Frage eigentlich beantwortet. Nachdem
       Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und der Fraktionschef im
       Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, den Regierenden Bürgermeister Michael Müller
       als Landesvorsitzenden abgelöst haben, wird Giffey zur Spitzenkandidatin
       gekürt. So weit die Theorie.
       
       Die Praxis ist komplizierter. Denn sie hat damit zu tun, ob Giffey nicht
       nur als Spitzenkandidatin, sondern bereits als Regierungschefin in den
       Wahlkampf ziehen, Müllers Nachfolge also schon vor der Wahl antreten will.
       Bislang sieht es nicht danach aus: „Giffey will keine Probleme erben“,
       heißt es aus ihrem Lager. Das böte die Möglichkeit, nach der Wahl einen
       „klaren Cut zu machen“.
       
       Wie ein solcher Cut aussehen könnte, hat sich bereits angedeutet. Nachdem
       Müller angekündigt hat, für den Bundestag kandidieren zu wollen, haben auch
       Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und Bildungssenatorin Sandra Scheeres
       ihren Rückzug angekündigt. Auch Finanzsenator Matthias Kollatz schwimmen
       die Felle davon. In der Partei wird gemunkelt, der Parlamentarische
       Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Torsten Schneider,
       habe ein Auge auf dessen Amt geworfen. Selbst Andreas Geisel muss sich
       Sorgen machen, denn das Amt des Innensenators wäre wohl die Krönung der
       politischen Laufbahn von Raed Saleh.
       
       So weit die Personalüberlegungen, die sich bis in den Dezember ziehen
       dürften. Denn auf dem Parteitag am 31. Oktober soll zunächst nur der neue
       Landesvorstand gewählt werden. Spannend wird es dann am 19. Dezember, wenn
       erst über die Listenplätze für den Bundestag abgestimmt wird und dann
       Giffey zur Spitzenkandidatin gekrönt werden soll.
       
       Entscheidend dabei wird sein, welchen Listenplatz Michael Müller einnimmt.
       Sollte die SPD nur noch vier Bundestagsmandate bekommen, könnte das bei
       einem möglichen Direktmandat in Spandau bedeuten, dass nur drei
       Listenplätze sicher sind. Bekannt ist, dass sowohl Müller als auch
       Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert in den Bundestag wollen. Sollte die SPD zudem
       entscheiden, dass die Liste mit einer Frau beginnt (gesetzt ist hier Cansel
       Kiziltepe aus Friedrichshain-Kreuzberg), würde es für Kühnert und Müller
       nicht reichen. Aber auch, wenn die Liste mit einem Mann beginnt, ist nicht
       sicher, wer diesen Platz einnehmen wird. Alle Versuche, sich mit Kühnert
       abzusprechen, sind offenbar gescheitert.
       
       Es könnte also gut sein, dass Müller am 19. Dezember leer ausgeht. Wird er
       dann auch als Regierungschef zurücktreten? Das sei nicht geplant, heißt es
       aus seinem Lager. Aber es könne sich natürlich die Situation ergeben, dass
       Giffey früher ranmuss als geplant. Und das soll wohl heißen: Wählt mal
       schön alle Müller auf Platz eins, sonst folgen dem 19. Dezember wieder mal
       Chaoswochen in der Berliner SPD. Dazu könnten dann auch vorgezogene
       Neuwahlen gehören. (wera)
       
       ## Die Grünen: Pop oder Kapek
       
       Es dürfte gerade der exklusivste Klub Berlins sein. Sechs Mitglieder, dann
       ist die Tür zu. Was das Treffen so attraktiv macht: Diese Sechs
       entscheiden, inoffiziell zumindest, darüber, wer grüne Spitzkandidatin bei
       der Abgeordnetenhauswahl wird und dadurch große Chancen hat, Berlins erste
       Regierende Bürgermeisterin zu werden – als die SPD-Politikerin Louise
       Schroeder Stadtoberhaupt war, hieß das noch Oberbürgermeisterin.
       „Spitzenkandidatin“, weil in diesem Klub feststeht, dass eine Frau die
       Grünen in den Wahlkampf führen soll. Offen ist aber, ob diese Frau
       Fraktionschefin Antje Kapek sein soll oder erneut Wirtschaftssenatorin
       Ramona Pop, die bereits bei der Wahl 2016 an der Spitze der
       Grünen-Kandidatenliste stand.
       
       Der exklusive Sechser-Klub hat dabei vor allem einen Zweck: die Sache im
       Vorfeld des Grünen-Parteitags am 28. November zu klären und zu verhindern,
       dass es dort zu einem Duell kommt, das die Partei spalten statt auf den
       Wahlkampf einschwören könnte. Versteinerte Mienen der Unterlegenen und
       ihrer Anhängerschaft sind nicht die Bilder, die nach Willen der führenden
       Grünen von dem Parteitag ausgehen sollen.
       
       Mitglieder des Auswahl-Klubs sind neben den beiden Kandidatinnen selbst –
       die offiziell noch gar keine Ansprüche erhoben haben – die
       Landesparteichefs Nina Stahr und Werner Graf sowie Kapeks
       Co-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel und der parlamentarische
       Geschäftsführer der Abgeordnetenhausfraktion und frühere langjährige
       Parteichef, Daniel Wesener. Und bislang halten in diesem Klub auch alle
       dicht, die Kandidatinnen eingeschlossen.
       
       Beide möglichen Spitzenkandidatinnen sind etwa gleich alt – Kapek wird im
       September 44, Pop im Oktober 43 –, beide haben ihr ganzes politisches Leben
       in Berlin verbracht. Für Kapek begann das als Kind: Auch ihr Vater Frank
       war Mitglied des Abgeordnetenhauses. Pop wechselte im Studium nach Berlin,
       war Bundesvorsitzende der Grünen Jugend und Teil eines Förderprogramms.
       Ihre Mentorin dabei: die damalige Bundesministerin Renate Künast, 2011
       selbst grüne Nummer 1 bei der Abgeordnetenhauswahl. Pop ist die Reala,
       Kapek ist als Kreuzbergerin dem linken Parteiflügel zuzuordnen. Pop musste
       im Dezember einen Tiefschlag verdauen, als ein Grünen-Parteitag die von ihr
       unterstützte Bewerbung für die große Auto-Schau IAA ablehnte – hat aber als
       Senatorin in der Coronakrise mehr Medienpräsenz denn je. (sta)
       
       ## Linke: Auf den Deckel kommt's an
       
       Es ist manchmal schon fast beängstigend, wie leise die Berliner Linkspartei
       ihre Personalien ordnet. Das war beim Generationenwechsel an der
       Fraktionsspitze so und bei der Nachbesetzung des Postens der
       Stadtentwicklungssenatorin. Auch die Spitzenkandidatur für die
       Abgeordnetenhauswahl im September 2021 wird keine Ausnahme darstellen:
       Kultursenator Klaus Lederer dürfte es werden. Im Dezember, so ist es
       geplant, soll ein Parteitag darüber entscheiden.
       
       Und selbst wenn Corona diese Kür unmöglich machen sollte: Niemand in der
       Partei macht dem 46-Jährigen aktuell die Poleposition streitig – obwohl
       Lederer nicht mehr Landeschef ist. Das war auch auf dem letzten Parteitag
       im August zu beobachten: Neben der Parteivorsitzenden Katina Schubert, die
       das Amt vor knapp vier Jahren von Lederer übernahm, hatte nur der
       Kultursenator einen längeren Auftritt.
       
       Es gelang ihm in diesen 30 Minuten, zugleich das Profil der Partei zu
       betonen und die Koalition strahlend dastehen zu lassen. Der Mietendeckel,
       eine krisenfeste Daseinsfürsorge, die Stärkung der öffentlichen Hand –
       dafür werde sich die Linke weiterhin einsetzen; dank Rot-Rot-Grün sei die
       Wende zu einer sozialeren Stadtentwicklung gelungen. Die Verlierer der
       Krise sind laut dem Kultursenator die Hartz-IV-EmpfängerInnen – und die
       vielen Solo-Selbstständigen, für die Lederer früh ein bundesweit
       beispielhaftes Förderprogramm aufgelegt hatte. Überhaupt gelingt es ihm mit
       wenigen Ausnahmen, umfangreiche Unterstützung für die wegen Corona
       siechende Kulturszene der Stadt zu organisieren und damit – ähnlich wie in
       den anderen beiden linken Senatsressorts – die Klientel der Partei zu
       bedienen.
       
       „Unduldsam, beherzt, gerecht“, wirbt Lederer auf seiner Webseite für sich.
       Ersteres – laut Duden unter anderem ein Synonym für intolerant und
       unerbittlich – zeigt sich bei jeder seiner schnellen, bisweilen
       stakkatoartigen und immer wieder auch theoriegeschwängerten Reden, der
       nicht unbedingt alle ZuhörerInnen folgen und folglich schwer widersprechen
       können. Vielleicht wäre auch „ungeduldig“ das bessere Wort. Lederer ist
       sich dieser Schwierigkeit bewusst und versucht sich zu bremsen. So auch
       beim jüngsten Parteitag. Es gelang ihm nur kurz.
       
       Dennoch hat es der Kultursenator, der zudem für Europa und die Religionen
       zuständig ist, laut Umfragen zum beliebtesten Politiker der Stadt gebracht.
       Doch damit Lederer den Sprung ins Rote Rathaus schafft, muss seine Partei
       noch ein bisschen zulegen. Nach einem Zwischenhoch in Umfragen zur Mitte
       der Legislaturperiode liegt die Linke seit einiger Zeit konstant hinter den
       Grünen. Wobei unklar ist, wie stabil diese Erhebungen unter
       Coronabedingungen sind.
       
       Für Lederer wie für seine Partei wird es vor allem darauf ankommen, ob der
       Mietendeckel vor dem Verfassungsgericht Bestand hat. Hält der maßgeblich
       von der zurückgetretenen linken Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher
       durchgesetzte Deckel, kann die Linke damit bei den mehr als 1,5 Millionen
       MieterInnenhaushalten potenziell als progessive und mutig punkten. Kippt er
       ganz oder teilweise, wird es darauf ankommen, ob die WählerInnen schon den
       Versuch einer radikal anderen Mietenpolitik gutheißen oder das Scheitern
       der Linken anlasten. (bis)
       
       ## CDU: An der Spitze ist es einsam
       
       Es ist zuletzt ein bisschen still geworden um die Berliner CDU. Mit einem
       überraschend anderen Ansatz in Sachen Umweltpolitik, einem unterhaltsamen
       Online-Parteitag und einem Logo-Wechsel samt einer digitalen Kampagne
       namens „#aufgehtsberlin“ hatten die Christdemokraten in der ersten
       Jahreshälfte trotz Corona noch ein paar Lebenszeichen geben können. Sogar
       „Guerilla-Aktionen“ hatte Generalsekretär Stefan Evers für die folgenden
       Monate angekündigt – doch falls es sie gegeben hat, haben sie jedenfalls
       bislang nicht für Aufmerksamkeit gesorgt. Und auch wenn die CDU weiter
       offenlässt, wann sie und wen zum Spitzenkandidaten für die
       Abgeordnetenhauswahl kürt – die Antwort darauf beschäftigt die
       Landespolitik weit weniger als die bei den Grünen anstehende Entscheidung
       zwischen Ramona Pop und Antje Kapek.
       
       Zumal auch immer klarer zu sein scheint, dass Parteichef Kai Wegner selbst
       die Spitzenkandidatur übernehmen wird – beziehungsweise übernehmen muss.
       Klassischerweise hat die Partei drei Möglichkeiten: 1. jemand aus den
       eigenen Reihen, am naheliegendsten den Landesvorsitzenden, 2. ein
       Parteifreund von der Bundesebene oder 3. eine der CDU nahestehende
       „Persönlichkeit des öffentlichen Lebens“ – etwa ein erfolgreicher
       Unternehmer wie bei der Landtagswahl in Bremen 2019.
       
       Von Variante 3 ist gar nichts zu hören, und dass Nummer 2 überhaupt immer
       mal wieder im Gespräch ist, liegt an der nostalgischen Erinnerung daran,
       dass es eben einmal so geklappt hat: Mit dem späteren Bundespräsidenten
       Richard von Weizsäcker, vormals für die rheinland-pfälzische CDU im
       Bundestag, holte die CDU 1981 mit 48 Prozent ihr bis heute bestes Ergebnis
       bei der Berlinwahl und Weizsäcker wurde Regierender Bürgermeister.
       
       Der zweite Versuch in diese Richtung fand eine Etage niedriger statt, als
       sich 2006 Friedbert Pflüger versuchte, vormals parlamentarischer
       Staatssekretär für Verteidigung – mit dem bis dahin schlechtesten
       CDU-Ergebnis aller Zeiten von 21 Prozent, noch weniger als nach dem
       Bankenskandal fünf Jahre zuvor. Das große Problem einer solchen externen
       Lösung besteht zudem darin, zu erklären, wieso ein 12.000 Mitglieder großer
       Landesverband in den eigenen Reihen niemanden für die Spitzenkandidatur
       findet.
       
       Geht es letztlich doch über die berlininterne Variante und wird es
       Parteichef Wegner, dürfte er sich nicht um den Job gerissen haben. Denn
       auch wenn die Christdemokraten Chancen haben, im Sog ihrer Bundespartei
       wegen der zeitgleichen Bundestagswahl stärkste Kraft in Berlin zu werden:
       Der CDU fehlen bislang potente Koalitionspartner zum Regieren, und
       Rot-Rot-Grün hat trotz aller Probleme in allen Umfragen weiter eine
       Mehrheit. Wegner – derzeit baupolitischer Sprecher der
       CDU/CSU-Bundestagsfraktion – wäre dann zwar Fraktions- und Oppositionschef
       im Landesparlament, aber er wäre eben auch wieder dort, wo er vor seinem
       Wechsel in den Bundestag 2005 bereits sechs Jahren Abgeordneter war.
       
       Eine führende Funktion in einer Regierungspartei auf Bundesebene mit
       Gestaltungsmöglichkeiten eintauschen gegen fünf Jahre Opposition in einem
       Landtag? Das wirkt nicht gerade reizvoll. Weiter im Bundestag zu schalten
       und zu walten und wie jetzt parallel als Landesparteichef die Berliner
       Dinge zu gestalten dürfte weit attraktiver sein.
       
       Dass die Frauen in der CDU nicht laut nach der Spitzenkandidatur riefen,
       dürfte viel mit dem Schicksal von Wegners Vorgängerin an der
       Landesparteispitze zu tun haben, Kulturstaatsministerin Monika Grütters:
       Statt ihr den Rücken zu stärken, als Wegner 2019 den Landesvorsitz für sich
       forderte, schwenkte die Partei flugs auf ihn um. So etwas mag sich
       vielleicht so schnell keine andere Christdemokratin antun. (sta)
       
       ## AfD: Führerprinzip greift noch nicht
       
       Die AfD 2020 klingt irgendwie ganz schön nach 2016. Wahlkampfthemen für die
       Abgeordnetenhauswahl in einem Jahr stünden noch nicht fest, heißt es auf
       Nachfrage von einem Parteisprecher, vermutlich aber irgendwas mit „innerer
       Sicherheit“ und „illegaler Masseneinwanderung“. Während andere Parteien
       bereits in den Wahlkampfmodus schalten, ist die Berliner AfD mit sich
       selbst beschäftigt. Was will man auch von einer Partei erwarten, die seit
       über einem Jahr vergeblich versucht, einen Parteitag zu veranstalten? Und
       so ist ihr Bild derzeit von Fraktionsintrigen und öffentlichem Streit
       bestimmt.
       
       Die Kandidatur für den Spitzenplatz zur Abgeordnetenhauswahl von
       [1][Fraktionschef Georg Pazderski] wurde von seinen Fraktionsfeinden mit
       dem [2][Durchstechen eines Brandbriefes] an nicht gerade befreundete Medien
       beantwortet. Darin war von der Gutsherrenart des pensionierten
       Bundeswehroberst zu lesen und von einer bis zur Arbeitsunfähigkeit
       zerrütteten Fraktion. Ob der sich gern bürgerlich gebende Pazderski also
       genug Zustimmung für eine Kandidatur erhält, ist offen. Denn er ist bei
       vermeintlich gemäßigten AfDler:innen ebenso umstritten wie im nicht eben
       kleinen rechtsextremen „Flügel“-Lager. Aus Parteikreisen heißt es, eine
       Wiederwahl Pazderskis falle und stehe mit einer vorzeigbaren
       Gegenkandidatur. Problem nur: Es gebe kaum vorzeigbare Kandidat:innen.
       
       Einige AfDler:innen sahen in der sich konservativ-liberalen gebenden
       Kristin Brinker eine geeignete Gegenspielerin zu Pazderski. Aus
       Parteikreisen ist aber auch zu hören, dass sie gar nicht in die erste Reihe
       wolle. Dazu dürfte auch der Kleinkrieg hinter den Kulissen beigetragen
       haben: Brinkers Kritik an Pazderskis Führungsstil und dessen offenbar
       undurchsichtigen Fraktionsfinanzen ist mittlerweile in einen Rechtsstreit
       ausgeartet.
       
       Dieser Streit überschattet den bislang größten Erfolg der AfD als
       Oppositionspartei: Die parlamentarische Anfrage der als finanzpolitische
       Sprecherin fungierenden Brinker zu den Nebeneinkünften der Senatsmitglieder
       hatte zum [3][Rücktritt der linken Bausenatorin Katrin Lompscher] geführt.
       Nicht zuletzt damit qualifizierte Brinker sich für einige AfDler:innen zur
       geeigneten Gegenspielerin Georg Pazderskis.
       
       Wie viel Kapital die AfD aus dem Sturz Lompschers bei Wähler:innen schlagen
       kann, ist aber völlig offen: Denn bezeichnenderweise trat Brinker selbst
       nur zehn Tage später von ihrem Amt als Vize-Fraktionsvorsitzende zurück.
       Eine Antwort auf den Machtkampf in der AfD wird es frühestens im Oktober
       geben. Denn dann soll endlich ein Landesparteitag stattfinden, der neben
       der überfälligen Neuwahl des behelfsmäßigen Notvorstands auch die Frage
       nach dem Spitzenpersonal für den Wahlkampf klären soll.
       
       Das Einzige, was bei der AfD bis dahin kontinuierlich läuft, ist das
       Anheizen ihres Facebook-Mobs. Dort regnet es rassistische Wut-Emojis, wenn
       sich die rechte Partei über das rot-rot-grüne Berlin („verkehrspolitisches
       Umerziehungslager“, „Dealer-Paradies Görli“) aufregt oder einzelne
       Politiker:innen an den Pranger stellt. In Wählerstimmen bildet sich das
       aber offenbar bislang nicht ab: In Umfragen stagniert die AfD in Berlin bei
       10 bis 12 Prozent. (gjo)
       
       5 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Pazderski-kandidiert-fuer-die-AfD-Berlin/!5698506
   DIR [2] /AfD-Berlin-rebelliert-gegen-Pazderski/!5694217
   DIR [3] /Ruecktritt-von-Berlins-Bausenatorin/!5700098
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
   DIR Uwe Rada
   DIR Bert Schulz
   DIR Gareth Joswig
       
       ## TAGS
       
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   DIR Verzicht auf umstrittenen Doktortitel: Einfach nur Frau Giffey
       
       Die Bundesfamilienministerin möchte nicht länger promoviert sein. Neue
       Landeschefin der Berliner SPD will sie trotzdem werden.
       
   DIR Der Spitzenkandidat der Berliner CDU: Frühstück mit einem Optimisten
       
       Das Selbstbewusstsein des Berliner CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner
       entspricht nicht unbedingt den Umfragen knapp ein Jahr vor der Berlin-Wahl.
       
   DIR AfD Berlin sagt Parteitag ab: Diesmal war’s nicht die Antifa
       
       Erneut musste die AfD ihren Parteitag kurzfristig absagen. Diesmal waren
       Brandschutzauflagen schuld. Bündnisse mobilisieren nun zur Querdenken-Demo.
       
   DIR Berlins SPD-Führung Giffey und Saleh: Zurück zur CDU light
       
       Das Führungsduo der Berliner SPD verabschiedet sich von Positionen wie dem
       Mietendeckel. Als wirtschaftsnahe Partei aber hat die SPD keine Chance.
       
   DIR Protest gegen AfD-Parteitag: Konfetti in Kaulsdorf
       
       Gegen zwei für Ende Oktober und November geplante Parteitage der AfD gibt
       es Protest. In der Event-Location in Kaulsdorf gab es Konfetti und Randale.
       
   DIR Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021: Blick aufs Rote Rathaus
       
       Der Berliner CDU-Chef Kai- Wegner erklärt seine Kandidatur für das Amt des
       Regierenden Bürgermeisters. Er wolle den Laden wieder zum Laufen bringen.
       
   DIR Grüne Spitzenkandidatur in Berlin: Ein Coup mit langen Folgen
       
       Mit Bettina Jarasch einigen sich die Grünen auf eine unbekannte
       Überraschungskandidatin. Das ist ein Coup für die Partei. Aber wie sind
       ihre Chancen?
       
   DIR Kandidatinnenkür der Grünen in Berlin: Grüne Frau will ins Rote Rathaus
       
       Die Berlin-Grünen schicken weder Pop noch Kapek ins Rennen um die
       aussichtsreiche Spitzenkandidatur. Sondern Bettina Jarasch.
       
   DIR Bundesparteitag der FDP: Neuer Generalsekretär gewählt
       
       Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing beerbt Linda
       Teuteberg. Ansonsten gab es von Parteichef Lindner ein großes
       Scholz-Bashing.
       
   DIR Rot-Rot-Grün in Berlin streitet weiter: SPD sieht bei Klimapaket rot
       
       SPD-Fraktionschef Saleh attackiert eine Woche nach dem gescheitertem
       Senatsbeschluss offen die Grünen und das Klimapapier ihrer Senatorin
       Günther.
       
   DIR Streit bei Rot-Rot-Grün in Berlin: Aufbrechen oder aussitzen?
       
       Ein Jahr vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Bundestag ist die
       Stimmung angespannt. Eine Analyse, woran Rot-Rot-Grün jetzt zerbrechen
       könnte.
       
   DIR Rot-Rot-Grün in Berlin: Ob das noch ein Jahr hält?
       
       Die rot-rot-grüne Koalition streitet wieder wie vor Corona. Profitieren von
       einer vorgezogenen Neuwahl könnte vor allem die SPD.
       
   DIR Kevin Kühnert über Perspektiven der SPD: „Nur über meine Leiche“
       
       Noch eine Groko nach der Wahl 2021? Dem erteilt der Juso-Chef eine Absage.
       Stattdessen freut er sich über Olaf Scholz, der nach links gerückt sei.