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       # taz.de -- Bullshit-Jobs: Arbeiten für die Echokammer
       
       > Der Tod des US-Anthropologen David Graeber gibt zu denken: Schlägt das
       > Pflegen Alter bei der Frage nach sinnvollen Tätigkeiten nicht das
       > Schreiben?
       
   IMG Bild: Auch Frösche können Meme werden
       
       Diese Woche musste ich mal wieder viel über Bullshit-Jobs nachdenken. Und
       das nicht erst, seit am Donnerstag bekannt wurde, dass der Autor des
       gleichnamigen Buchs, [1][David Graeber, mit nur 59 Jahren verstorben] ist.
       Der US-Ethnologe und Occupy-Aktivist hatte als Bullshit-Jobs all jene
       bezeichnet, bei denen derjenige, der ihn ausübt, sich insgeheim denkt: Es
       gibt keine Existenzberechtigung für meine Tätigkeit.
       
       [2][“Wenn Sie glauben, dass die Welt ohne Ihre Tätigkeit gleich oder sogar
       etwas besser wäre – das ist ein Bullshit-Job.“] Dafür müsse er weder
       unangenehm, schlecht bezahlt und ohne Status sein, oft ist sogar das
       Gegenteil der Fall. Das kann man nun natürlich auf alle Jobs anwenden, die
       auch ein Algorithmus stemmen könnte, die keinen Mehrwert schaffen, die nur
       repräsentativ sind. Die jedes noch so nutzlose System nur perpetuieren.
       
       Man kann es aber auch gut auf meinen Job anwenden, auf meine ganze Branche.
       Das zumindest war mein Gefühl diese Woche. Welchen Zweck hat denn all das
       Recherchieren und bedachte Meinen, das Ausgraben, Abwägen und Kommentieren,
       wenn sich dann doch [3][Zehntausende mitten in der Pandemie ohne Mundschutz
       zusammenrotten].
       
       Wenn einige von diesen Zehntausend glauben, Putin sei die bessere
       Alternative zu Merkel, und andere, dass ein deutscher Kaiser für
       Menschlichkeit steht, und die Dritten übelsten antisemitischen Irrsinn
       verzapfen, fällt es mir schwer zu glauben, dass unser Job als Journalisten
       mehr schafft als den Bekehrten zu predigen. Arbeiten wir nicht nur für die
       Echokammer? Denn klar, Ihnen muss weder ich noch sonst jemand erklären, was
       für ein Quatsch das alles ist – und die anderen halten es alles eh für
       nichts als Lügen.
       
       ## Die Leere starrt zurück
       
       Die Welt, dachte ich also diese Woche, wäre wohl besser dran, wenn ich
       Menschen, die es selbst nicht können, den Hintern abwischte oder ein paar
       Alte besuchte, die einsam sind, statt zu glauben, dass eine linke Zeitung
       irgendjemanden erreicht außer Linken. (Verdienen würde ich dabei, by the
       way, auch kaum weniger.) Ich starrte also in die Leere meines Seins und
       also ins Internet, nur um festzustellen, dass die Leere zurückstarrt:
       
       Selbst ein Favorit im Rennen um das Jugendwort des Jahres – erstmals nicht
       von alten Langenscheidt- und Pons-Weisen ausgegraben, sondern angeblich
       tatsächlich von Jugendlichen selbst gewählt – atmet den Geist der
       unerträglichen Sinnlosigkeit des Seins. Es ist, so las ich auf zett:
       „Mittwoch“ – in Anspielung auf das Mittwochsfrosch-Meme, das – uralte
       Geschichte also – 2014 jemand auf Tumblr hochgeladen hatte und das später
       vom Youtuber Jimmy Here aufgegriffen wurde.
       
       Es zeigt nichts anderes als einen südamerikanischen Breitmaulfrosch und die
       Worte „It’s Wednesday my dudes“. Warum er zum Hype wurde? „Der
       Mittwochsfrosch ist der Beweis, dass Menschen in die bedeutungslose Leere
       der Ewigkeit starren können und ihr ihre eigene Bedeutung aufzwingen“,
       schrieb angeblich ein Fan des Froschs auf reddit. Damit ist natürlich alles
       zur existentiellen Krise gesagt: die Bedeutung seines Seins kann man sich
       nur selbst schaffen. Weise Jugend.
       
       ## BLM und “Hurensohn“
       
       Die übrigens trotz allem die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht
       aufgegeben zu haben scheint. „Black lives matter“ gehörte [4][laut
       Süddeutscher Zeitung] ebenfalls zu den am meisten eingesandten Wörtern.
       „Hurensohn“, ein anderer Favorit, haben die Verantwortlichen beim
       Pons-Verlag schon ausgeschlossen. Nicht zu Unrecht, denn es beleidigt
       Sexarbeiter:innen.
       
       Frauen also, die einen ziemlich gefährlichen, oft extrem unangenehmen Job
       ausüben, der quasi keinerlei gesellschaftliche Wertschätzung erhält – ganz
       sicher aber ist es kein Bullshit-Job. Nüchtern betrachtet leisten sie –
       sofern es sich tatsächlich um Sexarbeit, also eine Dienstleistung und nicht
       um Ausbeutung handelt, einen größeren Dienst an der Menschheit als viele
       andere. Sie geben den Leuten etwas, was sie wirklich brauchen: ein bisschen
       Zuwendung.
       
       Wie gesagt: sofern sie sich frei dafür entscheiden dürfen, diesen Job zu
       machen und die Bedingungen, zu denen sie arbeiten, fair sind. All
       diejenigen, ohne deren Job die Welt tatsächlich ein besserer, oder
       zumindest kein schlechterer Ort wäre, werden diese Kolumne natürlich
       sowieso wieder nicht lesen. Hab ich also einen Bullshit-Job gemacht? Oder
       anders: Will ich wirklich Leute überzeugen, von was auch immer ich glaube?
       Mir ist ja selbst nach 20 Jahren als Vegetarier völlig wumpe, ob andere
       Fleisch essen.
       
       Ja, ich bereite es sogar ganz gern für andere zu, obwohl es mich graust bei
       dem Gedanken, es in den Mund zu nehmen. Meinetwegen muss nicht mal jeder
       mit seinem Job Mehrwert schaffen, mir würde ja reichen, wenn sich alle an
       die Regeln halten (auch die Coronaregeln), keinen ausgrenzen und keinem
       wehtun. Aber auch das schreibe ich hier ja wohl an die Falsche adressiert.
       
       4 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /David-Graeber-ist-tot/!5712342
   DIR [2] https://www.derstandard.at/story/2000092808241/david-graeber-ein-drittel-unserer-jobs-ist-sinnlos
   DIR [3] /Demo-gegen-Coronamassnahmen/!5706560
   DIR [4] https://www.sueddeutsche.de/leben/jugendwort-schabernack-meme-1.4977933
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ariane Lemme
       
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