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       # taz.de -- Justiz in Vietnam: Todesurteile bei Landkonflikt
       
       > In Vietnam sind zwei Bauern zum Tode verurteilt worden. Sie sollen bei
       > der Räumung eines Dorfes drei Polizisten getötet haben. Doch vieles ist
       > unklar.
       
   IMG Bild: Die im Landkonflikt angeklagten Bauern am Montag vor Gericht in Hanoi
       
       BERLIN taz | In Hanoi hat ein Volksgericht am Montag zwei Brüder zum Tode
       und 27 weitere Angeklagte zu langen Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt.
       Alle sind Bauern des Dorfes Dong Tam im Speckgürtel der vietnamesischen
       Hauptstadt.
       
       Die Verurteilten hatten sich im Januar den Behörden widersetzt. Als eine
       Sondereinheit der Polizei nachts mit mehreren tausend Mann in das Dorf
       einrückte, um die Bewohner zu vertreiben, starben drei Polizisten und der
       Dorfvorsteher.
       
       [1][In Vietnam gibt es keinen privaten Landbesitz, sondern nur ein vom
       Staat verliehenes langfristiges Nutzungsrecht.] In diesem Fall wurde das
       Land einst dem Militär überschrieben, doch weiter von den Bauern genutzt.
       Jetzt wollte das Verteidigungsministerium es für ein ihm gehörendes
       Telekomunternehmen räumen lassen.
       
       Den zum Tode verurteilten Bauern – Söhne des getöteten Dorfvorstehers –
       wurde vorgeworfen, den Tod der Polizisten verursacht zu haben. Die
       vorgelegten Geständnisse waren nach Angaben der Betroffenen unter Folter
       erpresst worden.
       
       ## Prozess mit vielen Ungereimtheiten
       
       Die Bauern sollen auch die Leichen verbrannt haben. Doch ein
       wissenschaftliches Gutachten, das ein Absolvent einer technischen
       DDR-Hochschule aus eigenem Antrieb fertigte, kam zu dem Ergebnis, dass es
       unmöglich war, durch ein temporäres kleines Feuer drei Leichen so zu
       verbrennen, dass nur noch Asche übrig blieb.
       
       Kommentare in sozialen Netzwerken gehen vielmehr davon aus, dass die
       Polizisten im Chaos versehentlich von Kollegen erschossen und die Leichen
       gezielt verbrannt wurden, um Spuren zu verwischen.
       
       Human Rights Watch und Amnesty International verurteilten den Prozess als
       nicht rechtsstaatlich. Menschenrechtler werfen der Regierung vor,
       angesichts vieler Landkonflikte ein Exempel statuieren zu wollen, [2][um
       Bauern von Widerstandsaktionen] gegen staatliche Willkür abzuschrecken. Das
       Urteil habe bereits vor dem Prozess festgestanden.
       
       ## Setzte die Polizei MP5-Pistolen von Heckler & Koch ein?
       
       Ungeklärt blieben auch die Umstände des Todes des 83-jährigen
       Dorfvorstehers. Entsprechende Beweisanträge ließ das Gericht nicht zu. Ein
       Anwalt sagte im Gerichtssaal aus, der Mann sei in seinem Schlafzimmer durch
       gezielte Schüsse von Polizisten aus Maschinenpistolen vom [3][Typ MP5]
       ermordet worden. Das belegten auch Patronenhülsen vom Tatort.
       
       Hersteller der MP5 ist der deutsche Waffenbauer [4][Heckler & Koch].
       Deshalb rufen [5][vietnamesische Blogger] jetzt dazu auf, bei deutschen
       Auslandsvertretungen in Vietnam gegen den Waffenexport zu protestieren.
       Erste Proteste gibt es bereits in Kommentaren auf der Facebookseite der
       Botschaft in Hanoi.
       
       Heckler & Koch erklärte gegenüber der taz, nie MP5-Maschinenpistolen nach
       Vietnam verkauft zu haben. Das hätte die Bundesregierung wegen der
       Menschenrechtslage in Vietnam auch nie genehmigt.
       
       Allerdings wurde Heckler & Koch während des Kalten Krieges erlaubt,
       Lizenzen zur Produktion von MP5-Pistolen an Fabriken in sechs Staaten zu
       erteilen. Die in Dong Tam genutzten Polizeiwaffen könnten aus dortiger
       Produktion stammen.
       
       ## Wurden deutsche Lizenzvereinbarungen gebrochen?
       
       „Ob das zutrifft, lässt sich für Heckler & Koch nicht verifizieren“, so
       Unternehmenssprecher Marco Seliger. „Lizenzvergaben unterlagen immer
       besonderen Auflagen durch die Bundesregierung, unter anderem in einem
       Weitergabe- bzw. Exportverbot.“
       
       Bei Paraden zu Vietnams Nationalfeiertagen marschiert das
       Sondereinsatzkommando der Polizei regelmäßig mit MP5-Maschinenpistolen auf.
       Staatliche Medien berichteten 2015 und 2018, dass diese Pistolen in
       Pakistan und der Türkei nach Lizenzen Heckler & Kochs produziert worden
       seien.
       
       Solche Lizenzen hätten niemals an Drittstaaten weitergegeben werden dürfen,
       „weil man damit komplett und für alle Zeit jegliche Kontrolle darüber
       aufgibt“, sagt die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Katja
       Keul, der taz. Lizenzen, die vor mehr als 30 Jahren erteilt wurden,
       entfalteten noch heute ihre tödliche Wirkung.
       
       Laut Hung Manh Le, Berliner Korrespondent der vietnamesischen Programme der
       BBC, zeigt der Prozess in Vietnam jetzt auch, „dass der
       deutsch-vietnamesische Rechtsstaatsdialog gescheitert ist. Deutschland hat
       viel Geld in die Fortbildung vietnamesischer Juristen gesteckt. Mir haben
       Absolventen solcher Kurse gesagt, das dort erworbene Wissen lasse sich im
       System der vietnamesischen Justiz nicht umsetzen.“
       
       15 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
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