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       # taz.de -- Tödliche Schüsse in Wisconsin: Eskalation mit Ansage
       
       > Bei Protesten gegen Polizeigewalt werden in Kenosha zwei Menschen
       > erschossen. Zuvor hatte eine Miliz aufgerufen, bewaffnet auf die Straße
       > zu gehen.
       
   IMG Bild: Videosequenz von den Protesten gegen die Polizeischüsse auf Jacob Blake in Kenosha, 25.8.2020
       
       Berlin taz | In Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin ist die Gewalt in der
       Nacht zum Mittwoch eskaliert. Zwei Menschen wurden erschossen und ein
       dritter schwer verletzt, als mindestens ein bewaffneter Mann kurz vor
       Mitternacht in Gruppen von Protestierenden feuerte. Die Identität des
       Schützen war zunächst noch unbekannt. Allerdings existieren Handyvideos von
       ihm, sodass sich der Sheriff von Kenosha County, David Beth, zuversichtlich
       äußerte, man werde den Mann bald stellen.
       
       Die Vermutung liegt nahe, dass der Mann zu einer Gruppe der „Kenosha Guard“
       gehört, einer lokalen Miliz, die auf Facebook dazu aufgerufen hatte, am
       Abend bewaffnet gegen Plünderungen, Zerstörungen und Brandstiftungen
       vorzugehen. Die Polizei wollte sich zu dieser Vermutung zunächst nicht
       äußern. Möglich ist auch, dass der Schütze dem Aufruf der Miliz auf eigene
       Faust gefolgt ist, ohne ihr aber persönlich anzugehören.
       
       Auf [1][Videoaufnahmen] war zu sehen, wie schwer bewaffnete Mitglieder der
       Miliz sich in der Nähe der Proteste aufhalten und mit Anwohner*innen
       diskutieren. Auf Twitter ist auch ein Video aufgetaucht, das
       Milizmitglieder vor ihrem „Einsatz“ zeigt – in dem entsprechenden Posting
       wird suggeriert, dass es sich bei einem von ihnen, der sich selbst als Kyle
       R. identifiziert, um den späteren Schützen handelt. Tatsächlich ist ein
       Mann mit gleichem Outfit in späteren Videos zu sehen, wie er nach Schüssen
       mit einer umgehängten Waffe davonläuft.
       
       Jener Kyle R. ist auf Social Media als Anhänger von „Blue Lives Matter“
       bekannt, jener Pro-Polizei-Bewegung gegen die Schwarzen „Black Lives
       Matter“-Proteste. In einem Interview mit dem Rechtsaußen-Magazin „The
       Blaze“ soll er über die Miliz gesagt haben, sie verfüge nicht über nicht
       tödliche Waffen, nur über tödliche. Ob er aber tatsächlich der Todesschütze
       aus der Dienstagnacht ist, müssen die polizeilichen Ermittlungen klären.
       
       ## Wut nach den Schüssen auf Jacob Blake
       
       Sherriff Beth äußerte sich zum Auftauchen der Milizen und den
       anschließenden Schüssen mit den Worten: „Leute haben mir gesagt: Warum
       setzt ihr nicht Bürger ein? Genau deshalb. Genau deshalb setzt man keine
       Bürger mit Gewehren ein, um Kenosha zu beschützen.“
       
       Seit am Wochenende der unbewaffnete 28-jährige Schwarze Jacob Blake von
       Polizisten [2][siebenmal in den Rücken geschossen] worden war, waren
       wütende Protestierende in Kenosha auf die Straße gegangen. Die Proteste
       waren schnell in Gewalt umgeschlagen, zahlreiche Häuser und Autos wurden in
       Brand gesetzt, Polizisten mit Flaschen, Feuerwerkskörpern und Steinen
       beworfen.
       
       Bereits am Dienstag hatte der demokratische Gouverneur von Wisconsin, Tony
       Evers, den [3][Notstand über die Stadt] ausgerufen und die Einsatzkräfte
       der Nationalgarde verdoppelt. Für die Nacht galt eine Ausgangssperre ab 20
       Uhr, die allerdings von den Protestierenden weitgehend ignoriert wurde.
       
       In einem bewegenden Auftritt vor Journalist*innen äußerten sich am Dienstag
       Jacob Blakes Eltern zu den Ereignissen. Sichtlich erschüttert nannte sein
       Vater Jacob Blake senior die Schüsse auf seinen Sohn „versuchten Mord“:
       „Sie haben sieben Mal auf meinen Sohn geschossen. Sieben Mal. Als ob er
       nichts wert sei. Aber mein Sohn ist etwas wert. Er ist ein Mensch, und er
       ist etwas wert.“
       
       ## Womöglich querschnittsgelähmt
       
       Noch immer gibt es keine offizielle Stellungnahme zum genauen Tathergang,
       der zu den Schüssen auf Blake führte. Auf einem Handyvideo ist zu sehen,
       wie Blake, gefolgt von mehreren Polizisten, von denen mindestens einer die
       Waffe auf ihn hält, zu seinem Auto geht. Als er die Tür öffnet, fallen die
       Schüsse. Im Auto sollen sich Blakes drei Kinder befunden haben.
       
       Nach Angaben der Familie traf mindestens einer der Schüsse die Wirbelsäule
       und es ist wahrscheinlich, dass Jacob Blake querschnittsgelähmt bleiben
       wird. Seine Mutter, Julia Jackson, sagte vor Reporter*innen, sie habe in
       der Stadt die Spuren großer Zerstörung durch die Proteste gesehen. Das, so
       sagte sie, würde ihr Sohn niemals wollen. Sie bete für die Heilung des
       Landes.
       
       Kenosha hat rund 100.000 Einwohner*innen. Donald Trump war 2016 der erste
       republikanische Präsident seit 44 Jahren, der den Wahlbezirk hatte gewinnen
       können. Jetzt forderte er Gouverneur Evers auf, „das Problem schnell zu
       beenden“ – wobei er nicht die Gewalt der Polizei oder der Milizen meinte,
       sondern die Proteste.
       
       Auch in anderen Städten, darunter Los Angeles und Minneapolis, war es
       [4][zu Protesten und Ausschreitungen] gekommen. Nach den jüngsten Schüssen
       von Kenosha ist zu erwarten, dass sie die Proteste erneut auch auf weitere
       Städte ausdehnen werden.
       
       ## Trump zündelt weiter
       
       In dem gleichzeitig stattfindenden [5][Republikaner-Parteitag] hat das
       Thema bis zum Dienstagabend nur insofern Eingang gefunden, als viele
       Redner*innen vor „Anarchie und Chaos“ warnten, sollte Trumps Herausforderer
       Joe Biden die Wahl gewinnen.
       
       Trump hatte sich schon in seinem Wahlkampf 2016 als „Law and
       Order“-Kandidat präsentiert. Zu den zahlreichen Protesten nach dem Tod von
       George Floyd Anfang Mai fiel ihm vor allem ein, demokratische
       Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen anzuklagen, sie gingen nicht hart
       genug gegen „Antifa“ und Anarchisten auf den Straßen vor.
       
       In die Stadt Portland ließ er sogar gegen den Willen der lokalen und
       bundesstaatlichen Behörden Bundeskräfte entsenden, die dann Schlagzeilen
       machten, als sie Ende Juli [6][ohne Kennzeichnung Menschen festnahmen] und
       in Autos ohne Nummernschilder zerrten.
       
       26 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/i/status/1298484500972933120
   DIR [2] /Polizeigewalt-in-Wisconsin/!5709113
   DIR [3] /Polizeigewalt-in-Wisconsin/!5710188
   DIR [4] /Polizeigewalt-in-den-USA/!5689218
   DIR [5] /Parteitag-der-US-Republikaner/!5710195
   DIR [6] /Trump-kuendigt-weitere-Polizeieinsaetze-an/!5701539
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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