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       # taz.de -- Prozess gegen mutmaßliche Folterer in Syrien: „Aber da kam nichts, kein Wort“
       
       > Riad Seif, einer der bekanntesten syrischen Oppositionellen, sagt vor
       > Gericht aus. Eine Entlastung, auf die der Hauptangeklagte hoffte, wird es
       > nicht.
       
   IMG Bild: Die beiden Angeklagten Anwar R. (links) und Eyad A. im Gerichtssaal in Koblenz
       
       Koblenz taz | Im Prozess gegen zwei mutmaßliche Mitarbeiter des syrischen
       Assad-Regimes vor dem Oberlandesgericht Koblenz hat am Mittwoch und
       Donnerstag einer der bekanntesten syrischen Oppositionellen ausgesagt: Riad
       Seif, einst einer der erfolgreichsten Unternehmer des Landes und lange vor
       der syrischen Revolution in der Opposition aktiv. Seif, der 1994 erstmals
       in das syrische Parlament gewählt wurde, saß mehrfach im Gefängnis. Weil er
       schwer an Krebs erkrankt ist, wurde der 73-Jährige, der 2012 Syrien verließ
       und in Berlin lebt, aus dem dortigen Landgericht per Video zugeschaltet.
       
       Anwar R. und ein weiterer Angeklagter stehen seit Ende April [1][wegen
       Verbrechens gegen die Menschlichkeit] in Koblenz vor Gericht. R. legt die
       Anklage 58-fachen Mord, Folter in mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung
       und schwere sexuelle Nötigung zur Last. Er hat in der Abteilung 251 des
       Allgemeinen Syrischen Geheimdienstes die Unterabteilung „Ermittlungen“
       geleitet und war für das berüchtigte Gefängnis al-Khatib in Damaskus
       verantwortlich. Es ist der [2][erste Prozess weltweit], in dem sich
       mutmaßliche Folterer des Assad-Regimes vor Gericht verantworten müssen.
       
       Durch die Empfehlung Seifs war Anwar R. im Juli 2014 mit Hilfe eines
       Aufnahmeprogramms des Bundesiinnennministeriums für 5.000 besonders
       schutzbedürftige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.
       
       Seif machte vor Gericht klar, dass dies aber nichts mit seiner persönlichen
       Einschätzung des Angeklagten, dessen Desertieren oder einer vermeintlichen
       Unterstützung für die Opposition zu tun hatte, sondern eher eine
       Gefälligkeit für einen Freund seines Schwiegersohns gewesen sei, der um
       Hilfe für R. gebeten hatte. Warum dieser darum bat, blieb unklar. R. war
       nach eigenen Angaben im Winter 2012 desertiert und hatte sich in Jordanien
       der Opposition angeschlossen.
       
       ## Kaum Belege für Verteidigung des Angeklagten
       
       „Bevor er nach Berlin kam, kannte ich ihn nicht“, übersetzt die
       Dolmetscherin, die neben Seif im Berliner Landgericht sitzt. Später, als
       sie beide in Berlin waren, habe Seif versucht, von R. Informationen zu
       bekommen. Genau das sei einer der Gründe, warum die Opposition Abtrünnige
       des Regimes unterstützt habe. „Aber da kam nichts, kein Wort.“
       
       Auf die Frage des Richters, ob er davon gehört habe, dass R. bereits in
       Syrien Kontakt zur Opposition gesucht habe, antwortet Seif, davon wisse er
       nichts. R. hatte in einer Einlassung, die sein Verteidiger Mitte Mai
       verlesen hat, alle Schuld von sich gewiesen und behauptet, innerhalb des
       Systems entmachtet worden zu sein und sich lange vor seiner Ausreise der
       Opposition zugewandt zu haben. Dafür aber fehlen im Prozess bislang die
       Belege.
       
       Klar ist nur, dass R. Anfang 2014 als Teil der Delegation der syrischen
       Opposition an den Friedensgesprächen Genf II teilgenommen hat. „Aber er hat
       keine Beziehung zur Opposition gehabt“, sagt Seif. Der Kontakt habe allein
       zum Leiter der Delegation bestanden. Möglicherweise habe dieser R. als
       Wachmann eingestellt und dafür auch bezahlt.
       
       Anwar R. hatte Seif in seiner Einlassung als einen von 26 Zeugen
       aufgeführt, die das Gericht laden und zu seiner Entlastung befragen möge.
       Seifs Aussage aber dürfte ihm nicht geholfen haben.
       
       27 Aug 2020
       
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