# taz.de -- Türkische Juristin in Gefängnis: Anwältin im Hungerstreik gestorben
> Ebru Timtik ist nach 238 Tagen Verzicht auf Nahrung in einem Istanbuler
> Haftkrankenhaus gestorben. Sie war wegen Terrorvorwürfen verurteilt
> worden.
IMG Bild: Ebru Timtik im jahr 2016 in Istanbul
Istanbul taz | Am Donnerstagabend ist die Anwältin Ebru Timtik nach
insgesamt 238 Tagen Hungerstreik in einem Haftkrankenhaus gestorben. Sie
wollte mit ihrem Hungerstreik ihre Freilassung aus dem Gefängnis und ein
„faires Verfahren“ durchsetzen. Ein Kollege von ihr, der ebenfalls
inhaftierte Aytac Ünsal, ist auch seit Monaten im Hungerstreik und nach
Angaben des Istanbuler Anwaltsvereins ebenfalls in Lebensgefahr.
Ebru Timtik und Aytac Ünsal gehören zu einer Gruppe von 18 AnwältInnen, die
alle im März 2019 als Mitglieder, Anführer oder Unterstützer einer
terroristischen Vereinigung – gemeint ist die DHKP/C (Revolutionäre
Volksbefreiungspartei/Front) – zu jeweils langjährigen Haftstrafen
verurteilt worden waren. Ebru Timtik war zu 13 Jahren und 6 Monaten
Gefängnis verurteilt worden und saß zuletzt im Knast in [1][Silivri, dem
Hauptgefängnis für politische Gefangene in der Türkei].
Nachdem eine Berufungskammer das Urteil gegen Timtik und ihre
Mitangeklagten bestätigt hatte, lief zuletzt noch ein Revisionsantrag vor
dem Obersten Gericht der Türkei.
Ebru Timtik war Anwältin in einem linken Anwaltskollektiv „Anwaltskanzlei
des Volkes“ und gehörte wie alle anderen Angeklagten auch der so genannten
„Progressiven Anwaltsvereinigung“ an. Sowohl die Anwaltskanzlei des Volkes
wie auch die übergeordnete Anwaltsvereinigung wird von der türkischen
Regierung und den Strafverfolgungsbehörden insgesamt eine Nähe zur DHKP/C
unterstellt.
## Timtik soll Kassiber geschmuggelt haben, so der Vorwuf
Die DHKP/C geht ursprünglich auf die linksradikale Devrimci Sol zurück, die
zu den bewaffneten linken Organisationen der Türkei gehörte, die in den
70er Jahren für eine sozialistische Türkei gekämpft haben und nach dem
Militärputsch vom 12. September 1980 mehr oder weniger ausgelöscht wurden.
Die DHKP/C gehörte zu den wenigen linksradikalen Gruppen, die anschließend
noch bewaffnete Anschläge verübten und dabei Wirtschaftsbosse, Polizisten
und Staatsanwälte töteten. Im Herbst 2000 führte die Gruppe einen der
längsten und verlustreichsten Hungerstreiks der türkischen Geschichte in
verschiedenen Gefängnissen durch, bei dem insgesamt 122 ihrer Mitglieder
starben. Als die Regierung im Dezember 2000 die Gefängnisse, in den die
Hungerstreiks durchgeführt wurden, gewaltsam stürmen ließ, starben noch
einmal 28 Menschen.
In den letzten Jahren wurden die angeblich von der DHKP/C durchgeführten
Anschläge immer bizarrer, darunter waren ein Angriff auf die US-Botschaft
in Ankara und auf das [2][Polizeihauptquartier in Istanbul].
Ebru Timtik wurde konkret vorgeworfen, als Anwältin Kassiber von
DHKP/C-Gefangenen aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt zu haben. Vertreter
europäischer Anwaltsvereinigungen, die den Prozess 2018/19 beobachtet
haben, kamen in einem Bericht vom Oktober 2019 zu dem Ergebnis, dass bei
dem Verfahren die Rechte der Angeklagten grob verletzt wurden. Der
Vorsitzende der Istanbuler Anwaltskammer Mehmet Durakoglu forderte am
Freitag die Behörden auf, wenigstens das Leben von Aytac Ünsal zu retten.
30 Aug 2020
## LINKS
DIR [1] /Menschenrechte-in-der-Tuerkei/!5700283
DIR [2] /Anschlag-auf-Polizeiwache-in-der-Tuerkei/!5024576
## AUTOREN
DIR Jürgen Gottschlich
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