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       # taz.de -- Was von Jimi Hendrix bleibt: Hart, cool, aber nicht zu heavy
       
       > Vor 50 Jahren, am 18. September 1970 starb Jimi Hendrix. Er hatte eine
       > kometenhafte Karriere und wurde nicht alt. Sein Spiel veränderte die
       > Welt.
       
   IMG Bild: Jimi Hendrix am 6. September 1970 auf der Ostseeinsel Fehmarn
       
       Der Sci-Fi-Roman „Die Nacht des Lichts“ von Philip José Farmer, handelt von
       einem Flüchtenden, der im Weltraum haarsträubende Abenteuer erlebt. Einmal
       wächst ihm ein riesiges Ei aus der Brust, ein andermal wird er von
       mysteriösen Sonnenflecken in den Bann gezogen, die violette Strahlen –
       Purple Haze – erzeugen.
       
       „Excuse me while I kiss the sky“, diese Zeile kommt nicht im Buch vor. Die
       singt Jimi Hendrix in seinem Signatursong „Purple Haze“ (1967) und
       überführt Sci-Fi mit der E-Gitarre in psychedelische Dimensionen. Klar, zu
       jener Zeit gab es eine Haschischsorte gleichen Namens, ob die gemeint ist,
       bleibt in der Schwebe.
       
       Hendrix schlägt auf den tiefen Saiten Akkorde an und lässt die hohen
       wimmern. Zur Amplifikation nutzt er Marshall-Verstärker, die er oft auch
       mit dem Instrument malträtiert und zerstört. Zerschredderte Boxen helfen
       der Inszenierung und dienen der Klangforschung, Rückkoppelungen und
       Störgeräusche der Gitarre erweitern das Melodienspektrum.
       
       Hendrix hat Sci-Fi-Romane verschlungen, Anspielungen in seinem Œuvre gibt
       es zahlreiche (etwa in den Songs „3rd Stone from the Sun“ und „Up from the
       Skies“). Anzunehmen, dass Farmers Roman den US-Gitarristen zu „Purple Haze“
       inspiriert hat. Wie wichtig ihm dieser ist, zeigt Hendrix damit, dass der
       Song sein Debütalbum „Are you experienced“ eröffnet und als zweite Single
       ausgekoppelt wird, nach „Hey Joe“.
       
       ## Der Hendrix-Akkord
       
       Ein wütend-schabender Gitarrenakkord kündigt gleich zum Auftakt Ungemach
       an, in der Strophe setzt dann eine Sinnestrübung ein: „Purple haze, all in
       my brain/Lately things they don’t seem the same/Actin’ funny, but I don’t
       know why/Excuse me while I kiss the sky“. Im Angloamerikanischen heißt die
       gedehnte Septime von „Purple Haze“ inzwischen „Hendrix-Akkord“. Man erkennt
       daran die Klangsignatur des Gitarristen: hart, aber nicht zu heavy, kernig,
       da in Blues mariniert, aber auch gelenkig und auf distanzierte Weise cool
       durch den zurückgenommenen Gesang.
       
       Der Mythos Jimi Hendrix steht aber weniger für seine Musik als für das
       sorglose Angetörntsein der Hippiebewegung und des rechtschaffenen Protests:
       Die virtuose Version von „Star-Spangled Banner“ beim Woodstock-Festival
       1969 wurde als Anklage des Vietnamkriegs interpretiert. Anfang der 1960er
       diente Hendrix bei den Fallschirmspringern der US-Army, um einer Haftstrafe
       zu entgehen. Biografen schildern ihn als unpolitisch, schüchtern und
       abhängig von der Gunst sinistrer Einflüsterer, die ihn vielfach übers Ohr
       gehauen haben.
       
       Hendrix war nicht nur Opfer, sondern auch Fashion-Victim, der in den
       Boutiquen von Swinging London auf Kaperfahrt ging und Chiffon-Blusen mit
       Husaren-Uniformjacken kombinierte, was ihn zusammen mit dem Afro zur
       Popikone werden ließ.
       
       Als er „Purple Haze“ komponiert, ist er gerade 24 und neu in London, froh
       dem Chittlin’ Circuit entkommen zu sein. So hießen im segregierten US-Süden
       kleine Clubs, durch die Hendrix mit wechselnden SängerInnen unter
       strapaziösesten Umständen getourt war: Als Teil der Isley Brothers und
       Little Richards Band. Entdeckt hatte ihn 1966 in New York schließlich eine
       Freundin von Keith Richards, die Hendrix Chas Chandler (Ex-Bassist der Band
       the Animals) nahelegte, der als Manager reüssieren wollte.
       
       ## Schnelle Karriere
       
       Erst in London wurde Hendrix zum Star. Von da aus ging’s zurück in die USA,
       er hetzte von Studiosession zu Konzert. Nur Monate liegen zwischen dem
       zweiten Album „Axis: Bold as Love“ (ebenfalls 1967) und dem dritten
       „Electric Ladyland“ (1968). Eine große US-Tour in jenem tumultösen Wahljahr
       ist besonders aufreibend. Sie hat ihn verbrannt und nochmals die
       Segregation der US-Gesellschaft vor Augen geführt.
       
       Hendrix wird zur einsamen Größe der gerade erwachsen gewordenen Rockmusik.
       Dylan, die Stones, Paul McCartney, alle zollen ihm Lob. Der Aufstieg in den
       Olymp endet nach vier Jahren mit seinem Tod: Unter Drogen- und
       Alkoholeinfluss nimmt er starke Schlaftabletten und erstickt im Schlaf an
       Erbrochenem: Dahin gebracht hatten ihn der Burn-out, diverse
       Frauengeschichten, Knebelverträge, mit denen ihn sein undurchsichtiger
       Manager Mike Jefferies gemolken hat, ein Ex-Agent des britischen
       Geheimdienstes inklusive Mafia-Connection.
       
       Die CIA stufte Hendrix als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ ein und
       ließ ihm das gefürchtete Programm „Cointelpro“ angedeihen, Agenten haben
       ihn bis in die Todesnacht observiert.
       
       Reichlich verspätet kam 1992 die Aufnahme in die „Rock-’n’-Roll Hall of
       Fame“. Was das Erbe der afroamerikanischen Popmusik angeht, ist Hendrix
       Bindeglied zwischen den genialischen Rock-’n’-Roll-Songs von Bo Diddley,
       R&B-der härteren Gangart und elektrifizierten Jazzgitarristen wie Sonny
       Sharrock und James „Blood“ Ulmer. Auch Prince’ Gniedeleien und der
       Blitzeispunk der Bad Brains – undenkbar ohne Hendrix’ explosive Riffs und
       Licks. Dabei hat er sich durch seine bitteren Erfahrungen in den Südstaaten
       keineswegs als Black Artist gesehen.
       
       ## Neue Biografie
       
       Ein „revolutionärer Stilist, der sich nie in Schubladen pressen ließ“,
       schreibt sein jüngster Biograf, der britische Musikjournalist Philip
       Norman, der eine gründlich recherchierte Biografie vorgelegt hat: „Jimi.
       Die Hendrix-Biografie“ (Deutsch von Stefan Rohmig. Piper Verlag, 2020).
       
       So sachlich wie der Brite Künstler und Werk porträtiert, wurde in
       Deutschland kaum je über Hendrix geschrieben. „Der hagere, krausköpfige,
       temperamentvolle Halbindianer“ (Stern 4. Oktober 1970) ein Beispiel, wie in
       den hiesigen Feuilletons rassifiziert wurde.
       
       Bleiben wir lieber bei der Musik. Ein geflashter Neil Young gestand bei der
       Laudatio in der Hall of Fame: „Es gab keine Techniken, die man sich von
       Hendrix abschauen konnte, keine Akkorde, die ich wiedererkannte … Ich habe
       sie nur gefühlt und wollte auch so spielen können und habe mir geschworen,
       vielleicht kriege ich eines Tages etwas annähernd so Gutes hin.“
       
       13 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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