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       # taz.de -- Bundesliga in Corona-Zeiten: Spiel immerhin mit Ball
       
       > Warum ein Kick mit nur wenigen Zuschauern immer noch besser ist als gar
       > kein Kick. Auch wenn es in der Wolfsburger VfL-Arena stattfindet.
       
   IMG Bild: Rot-weiße Bänder in grün-weißem Stadion: Tribüne beim Bundesligaspiel Wolfsburg-Leverkusen
       
       Es ist ein großartiges Gefühl, wenn man nach mehr als sechs Monaten zurück
       im Stadion ist. Die meisten Fußballfans wissen das nicht, weil sie nie oder
       kaum ins Stadion gehen, und offenbar brauchen sie das auch nicht. Aber raus
       aus den dunklen Katakomben in die Sonne und auf die Tribüne zu treten, den
       Blick auf das noch leere Spielfeld: Es gibt wenige Momente im Leben eines
       Menschen, die gegenwärtiger und gleichzeitig zukunftsfreudiger sind als
       dieser.
       
       Das Stadionerlebnis, das wissen wir aus [1][Hans Ulrich Gumbrechts Buch
       „Crowds“], ermöglicht Gefühle, die es im „normalen“ Leben nicht gibt, weil
       man – ohne sich in der Masse zu verlieren – dezentral verknüpft Teil einer
       Masse werden kann, und also auch an kollektive Gefühle angeschlossen ist,
       die einem allein nicht zugänglich sind. Und am Fernseher auch nicht.
       
       Nun kann man allerdings bei 500 Leuten, wie am Sonntagabend in der VW-Arena
       von Wolfsburg, nicht von einer Masse sprechen. „Ausverkauft“, meldet der
       Stadionsprecher, aber eben nur auf der Grundlage der Coronaregularien. Die
       Nordkurve, Heimat der VfL-Ultras, ist komplett leer, der Gästeblock eh, in
       der Südkurve sitzen acht Leute, und leider fehlt auch Herr Pfui, ein
       Dauerkartenbesitzer direkt rechts von der Pressetribüne, der seit Jahren
       verlässlich erregt „pfui“ zu rufen pflegt. Allerdings nur bei Vergehen der
       Gästemannschaft. Aktionen seines Teams sind niemals pfui.
       
       Es ist verständlich, dass vor allem Ultras gekränkt sind, dass es eine
       Weile auch ohne sie geht. Aber ein Fußballspiel funktioniert [2][auch ohne
       Zuschauer], wie man in den letzten Monaten sehen konnte, als es teilweise
       großartige Spiele gab. Vor allem bei Beteiligung des FC Bayern München. Es
       ist dann aber, wie Gumbrecht sagt, eben nur ein Spiel, kein Ritual. Es
       verliert seine gefühlte Bedeutung ohne Zuschauer, und das kann man nicht
       dauerhaft kompensieren.
       
       ## „Unsre Farben leuchten hell“
       
       Aber meanwhile ist ein Fußballspiel besser als kein Fußballspiel. Und 500
       Leute sind besser als gar keine. Lassen wir mal die blöden Witze über
       Wolfsburg beiseite (Der VfL spielte ja sowieso ohne Fans, usw.): Das ist
       nicht die gewohnte Stadionatmosphäre, eher so Landesliga, aber die Stimmung
       ist gut – und es ist eben nicht nichts, für die, die ein Ticket zugelost
       bekamen und die nun da sind.
       
       Für die ist es auch wieder ein Ritual, das Tage zuvor mit der Freude auf
       den kommenden Stadionbesuch beginnt, dann das Kitzeln am Spieltag, die
       Anreise, die Sicht auf das Stadion aus der Ferne, das Reingehen, das Warten
       auf den Anpfiff. In diesem Fall eine Viertelstunde vorher die Höllenhymne
       [3][„Grünweiß VfL, unsre Farben leuchten hell.“]
       
       Die Gefühle sind nicht so intensiv wie in einem vollen Stadion, weil man
       eben nur ein kleines bisschen an kollektive Emotionswellen angeschlossen
       ist. Elfmeter oder nicht – die Sekunden des Hoffens und Bangens flashen
       nicht, sondern bizzeln eher. Das mag für Rauschsuchende blöd klingen, aber
       durch den fehlenden Roar und das Runterdimmen der emotionalen Dröhnung
       entsteht auch Raum für andere Bereiche. Und vor allem: Man sieht mehr
       Fußball.
       
       Aber Gumbrecht hat schon auch recht: Das leere Stadion ist die Woche und
       der rationale Alltag, das volle Stadion ist das Fest, das Besondere, das
       Gefühl zu existieren und an etwas von Bedeutung teilzuhaben. Aber was ich
       sagen kann: Man kann auch in einem fast leeren Stadion und bei einem 0:0
       intensiv spüren, dass es ziemlich einzigartig ist, am Leben zu sein.
       
       21 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Buch-Crowds-zu-Fussball-im-Stadion/!5707713
   DIR [2] /Sportsoziologe-ueber-Coronakrise/!5680044
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=42ZAWzXt0_o
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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