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       # taz.de -- Die Forderungen der Coronaleugner: Freiheit für die Unterwerfung
       
       > Die Hygienedemonstranten sehen die Demokratie in eine Diktatur kippen.
       > Doch wenn sie Freiheit rufen, meinen sie nur ihre persönliche.
       
   IMG Bild: Freiheit ist nicht gleich Freiheit, das kann man derzeit gut bei den Corona-Protesten studieren
       
       Die Leute, die gegen den Mund-Nasen-Schutz als „Gehorsamkeitszeichen“
       protestieren. Die Leute also, die gegen eine sogenannte
       [1][„Coronadiktatur“] auf die Straße gehen. Rechte bis Rechtsextreme. Und
       eine Mischung. Eine Sammlung aller Irrationalitäten. An der Stelle sollte
       nun eine [2][süffige Aufzählung der verschiedenen Elemente] dieses bunten
       Wahnsinns kommen.
       
       Aber was, wenn man das auch anders sehen könnte? Wenn deren Irrationalität
       ganz anderer Art wäre? Nicht in dem Sinne, dass sie vielleicht doch recht
       hätten. Nein. Aber in dem Sinne, dass ihr Aufbegehren etwas anderes wäre:
       die Rückkehr der neoliberalen Botschaft in verkehrter Form.
       
       Was sagen sie? Sie begehren auf gegen die staatlichen Coronamaßnahmen im
       Namen ihrer persönlichen Freiheit, die sie durch diese eingeschränkt sehen.
       Nun ist es so: Wenn in einer Demokratie der Staat weit reichende
       Einschränkungen anordnet, dann ist dies diskussionswürdig.
       
       Keine Frage. Diskussionswürdig aber heißt, das staatliche Handeln in
       Kategorien von zulässig – nichtzulässig, sinnvoll – sinnlos, effizient –
       nichteffizient, Schutz – Nichtschutz zu befragen.
       
       ## Verquere Logik
       
       Den sogenannten Hygienedemonstranten aber geht es gar nicht um die Frage
       der Rationalität des staatlichen Vorgehens. Hier kommt vielmehr ihre ganze
       verquere Logik zum Tragen: Es ist nicht so, dass sie die Realität des Virus
       ablehnen – und deshalb die Maßnahmen des Staates ablehnen.
       
       Es ist vielmehr genau andersherum: Weil sie die Eingriffe des Staates nicht
       akzeptieren – akzeptieren sie auch nicht die Realität des Virus, der
       Bedrohung, der Krise. Und genau darin reproduzieren sie das neoliberale
       Konzept des Staates, der nur die Rahmenbedingungen für den Markt zu
       garantieren habe, in entstellter Form.
       
       Gegen die „Zumutungen“ eines eingreifenden, regulierenden Staates begehren
       sie nun im Namen ihrer persönlichen Freiheit auf. Aber Freiheit ist heute
       nicht mehr so einfach zu haben, zu denken. Auf Freiheit lässt sich nicht
       mehr einfach so sich berufen. Es ist ja keine Neuigkeit, dass die
       ökonomische Freiheit alle Freiheitsvorstellungen usurpiert hat, diese
       umdefiniert hat. Zur freien Konkurrenz. Der Neoliberalismus hat seine
       Interpretation von Freiheit durchgesetzt, und das heißt: Er hat die
       Freiheit zu dem gemacht, was uns unterwirft.
       
       Und nun wehren sich die Demonstranten nicht nur nicht gegen die Zumutungen,
       die diese ökonomisch gewendete Freiheit bedeutet. Nein – sie begehren sogar
       im Namen ebendieser „individuellen“ Freiheit auf. Im Namen jenes Prinzips,
       das sie unterwirft. Was für eine Verinnerlichung! Diese Demonstranten
       lechzen nach ihrer persönlichen Freiheit, als sei es ihre Erlösung – und
       sei es um den Preis ihrer Gesundheit oder ihres Lebens.
       
       ## Land of the free
       
       Wie beispielsweise jene Demonstranten in Michigan, die die Zufahrtswege zum
       einzigen Krankenhaus, wo Coronapatienten behandelt werden, versperrt haben.
       Demonstranten, die gegen die „Stay home“-Regeln protestierten. Mit Autos
       mit der Aufschrift: „Land of the free“, die dann von Pflegern gestoppt
       wurden.
       
       Die Verschwörungsgläubigen unter den Demonstranten erzeugen darüber hinaus
       noch einen Überschuss. Indem sie den Adressaten ihrer Empörung
       personalisieren. Genauer gesagt: sie erzeugen, benennen, beschwören einen
       konkreten Adressaten: [3][Bill Gates], George Soros, Rothschild,
       Rockefeller, die Illuminati. Egal. Irgendwer soll verantwortlich sein. Und
       die sollen dann weg. Alle. Mitsamt „ihrem“ Virus.
       
       Man kann diese irrlaufenden Demos auch so verstehen: als
       Beschwörungsveranstaltungen. Als Voodoo-Zeremonien, die all das bannen
       sollen, was die eigene Befindlichkeit, was die persönliche Freiheit stört.
       
       Die Paradoxie aber ist bei allen gleich: Gerade so ein überzogener
       „Freiheitsdrang“ vollzieht die Vorgaben des Neoliberalismus. Das absurde,
       auf die Spitze getriebene Hochhalten ihrer persönlichen Freiheit deckt sich
       haargenau mit den Anforderungen einer durchliberalisierten Ökonomie und
       deren reduzierten Staates. Kurzum: Dies ist die Rückkehr der neoliberalen
       Botschaft in verkehrter Form.
       
       21 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Isolde Charim
       
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