URI: 
       # taz.de -- Mütter sehen sich in Bremen diskriminiert: Schwarze Babys sind verdächtig
       
       > In Bremen haben zahlreiche Kinder keine Geburtsurkunde. Das Bündnis
       > „Together we are Bremen“ sieht strukturellen Rassismus beim Standesamt.
       
   IMG Bild: Beim Bremer Standesamt Anlass zu Zweifeln: Schwarze Mutter, Schwarzes Kind
       
       Bremen taz | „Birth certificates are evereybody’s right!“ skandiert die
       Menge vor dem Bremer Standesamt: Jede*r hat das Recht auf eine
       Geburtsurkunde. „Unseren Kindern werden fundamentale Rechte verweigert –
       das ist Rassismus“, ruft Agatha L. (Name geändert). Sie hält ein Mikrofon
       in der Hand und steht vor dem Haupteingang des [1][Standesamts Bremen
       Mitte]. Auf den Stufen davor posiert gerade eine weiße Familie in schicker
       Garderobe für ein Hochzeitsfoto.
       
       Agatha L. ist Schwarz, ihr Baby ist zehn Monate alt und hat noch immer
       keine Geburtsurkunde. Der Vater des Babys, erzählt sie, lebe seit dreißig
       Jahren in Deutschland. Doch seine Vaterschaft [2][erkennt das Standesamt
       nicht an]. Stattdessen unterstellt es L., sie wäre mit jemand anderem
       verheiratet.
       
       Nach dem [3][Bürgerlichen Gesetzbuch] ist derjenige Vater eines Kindes, der
       mit der Mutter verheiratet ist. Wenn keine Ehe besteht, reicht es, dass der
       Vater die Vaterschaft anerkennt. Ist der Vater deutscher Staatsbürger oder
       hat eine Aufenthaltserlaubnis, bekommt das Kind ebenfalls diesen Status –
       und die Mutter auch.
       
       Kinder mit unverheirateten Eltern sind im 21. Jahrhundert eigentlich keine
       Seltenheit – doch offenbar sieht das Standesamt Ehen, wo keine sind. „Wir
       sind Schwarze Frauen, die nach Deutschland gekommen sind und hier Kinder
       bekommen haben. Die Kinder sind deutsche Staatsbürger“, sagt L. Sie ist
       nicht die einzige Frau, der das Standesamt unterstellt, verheiratet zu
       sein. Die betroffenen Mütter haben sich im Bündnis [4][„Together we are
       Bremen“] organisiert und zur Kundgebung vor dem Standesamt aufgerufen.
       
       ## 200 Kinder ohne Geburtsurkunde
       
       Der Flüchtlingsrat Bremen geht für die Stadt von etwa 200 Fällen wie dem
       vom L. aus. Bei ihnen bezweifelt das Standesamt die Vaterschaft der
       deutschen Männer, obwohl die Mütter eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt
       haben. „Die Unterstellung, mit einem anderen Mann verheiratet zu sein, der
       dann der gesetzliche Vater der Kindes wäre, hat für die Frauen
       tiefgreifende Folgen“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat.
       
       Das Standesamt dränge die Frauen in ein Überprüfungsverfahren, das sie
       knapp 700 Euro kostet. Von dem Geld lasse die deutsche Botschaft im
       Herkunftsland Nachforschungen über ihren Personenstand und ihre
       Vergangenheit anstellen. Ehemalige Nachbar*innen würden befragt, die
       Familie werde besucht und sämtliche Dokumente der Frauen, bis hin zu den
       Grundschulzeugnissen, müssten im Original vorgelegt werden, berichtet
       Oerter. Alles, um zu klären, ob die Mütter nicht doch verheiratet sind und
       es einen anderen gesetzlichen Vater gibt.
       
       „Es macht keinen Spaß, wenn jemand in deiner Vergangenheit herumwühlt. Wir
       müssen dadurch viele Schmerzen noch mal durchleben“, sagt L. Die fehlenden
       Geburtsurkunden ziehen außerdem zahlreiche Probleme nach sich. Wenn die
       Mutter etwa Leistungen über das Sozialamt bezieht und versucht, ihr Kind
       bei der Krankenversicherung anzumelden, verweist das Amt sie an den Vater.
       Da dieser seiner Krankenkasse jedoch keine Geburtsurkunde vorlegen kann,
       verweigert die Kasse häufig die Familienversicherung.
       
       ## Rassistische Motive?
       
       „Das ganze Verfahren ist erniedrigend. Das Standesamt behandelt uns, als
       wären wir weniger wert“, sagt L. Die rund 50 Teilnehmer*innen der
       Kundgebung applaudieren. Das Motiv der Mitarbeiter*innen im Standesamt ist
       für die Demonstrierenden eindeutig: Rassismus. „Wie ist es, wenn eine weiße
       Frau in Deutschland ein Kind bekommt? Erfährt sie dieselbe Behandlung?“
       Niemand muss Agathas rhetorische Frage beantworten.
       
       Die Bremer Innenbehörde nennt die Vorwürfe des Bündnisses
       „verallgemeinernd“. Man müsse konkrete Fälle benennen, um diese auch
       überprüfen zu können. Laut der Flüchtlingsrat-Mitarbeiterin Oerter ist das
       eine klassische Taktik, ein strukturelles Problem auf Einzelfälle zu
       reduzieren. Auf taz-Anfrage teilt die Innenbehörde mit, es sei das Ziel der
       Bremer Standesämter, dass jedes in Bremen geborene Kind eine Geburtsurkunde
       erhalte – „jedoch auf Basis einer korrekten Datenlage“. Hätten
       Standesbeamt*innen Zweifel, seien sie verpflichtet zu prüfen, ob diese
       berechtigt sind.
       
       Die Arbeit mit dem Standesamt geschehe nicht auf Augenhöhe, meint Agatha.
       „Wir werden von dieser Behörde unter Druck gesetzt, wir werden
       eingeschüchtert. Diese Erfahrungen machen wir als Schwarze Frauen.“
       
       23 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.service.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=5bremen02.c.335132.de
   DIR [2] /Debatte-um-Scheinvaeter/!5415835
   DIR [3] https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1592.html
   DIR [4] https://togetherwearebremen.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Gogoll
       
       ## TAGS
       
   DIR Standesamt
   DIR Bremen
   DIR Baby
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR SPD Bremen
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Bremen
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Scheinväter
   DIR Bundesverfassungsgericht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Urteil gegen Bremer Standesämter: Gleiches Recht für Schwarze Kinder
       
       Schwarze Mütter gewinnen vor dem Oberlandesgericht Bremen. Seit Jahren
       kämpften sie für Geburtsurkunden für ihre Kinder.
       
   DIR Guineer über Umverteilungen in Bremen: „Das erste Stück Sicherheit“
       
       Boubacar Dialo und Anna Schroder von „Together we are Bremen“ erzählen,
       warum Bremen etwas gegen die Umverteilung Geflüchteter tun könne.
       
   DIR Rassismus-Vorwurf gegen Bremer Behörde: Der Ehe verdächtig
       
       Schwarze Bremer Mütter kämpfen weiter um Geburtsurkunden und
       Aufenthaltstitel. Die Gerichte geben ihnen recht, die Ämter pochen auf
       viele Prüfungen.
       
   DIR Rassismus-Vorwurf gegen Bremer Behörde: Verweigerte Geburtsurkunden
       
       Schwarze Bremer Mütter werfen dem Standesamt vor, ihnen pauschal zu
       unterstellen, verheiratet zu sein und deshalb Vaterschaften nicht
       anzuerkennen.
       
   DIR Geflüchteter über sein Leben: „Ich stehe unter Stress“
       
       Modoulamin Jassey lebt in einer Bremer WG. Er weiß nicht, wie lange noch.
       Ein Gespräch über seine Geschichte und das Bündnis „Together we are
       Bremen“.
       
   DIR Vaterschaft als Ausweisungsgrund: Rassismus von Amts wegen
       
       In Bremen wurde der Antrag eines Mannes auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt:
       Er habe diese durch „die Zeugung eines Kindes“ erwirken wollen.
       
   DIR Koalition im Endspurt: Neues Gesetz gegen Scheinväter
       
       Union und SPD wollen verhindern, dass mittellose Männer ausländischen
       Frauen und ihren Kindern ein Aufenthaltsrecht verschaffen
       
   DIR Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Gesetz gegen Scheinväter gekippt
       
       Behörden durften Vaterschaftsanerkennungen anfechten, um Tricks beim
       Aufenthaltsrecht zu verhindern. Aber das Gesetz war nicht präzise genug.