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       # taz.de -- EU legt Migrationspakt vor: Ein nahezu teuflisches Konstrukt
       
       > Der von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgelegte
       > Migrationspakt ist eine Aneinanderreihung von Leerstellen. Fortschritte
       > fehlen.
       
   IMG Bild: Daran ändert der Plan nichts: Rettungsaktion der NGO Open Arms im Mittelmeer im September
       
       Ursula von der Leyen hat es auch nicht geschafft. Woran ihr Vorgänger,
       EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, und alle
       EU-Ratspräsidentschaften der vergangenen Jahre gescheitert sind, dafür hat
       auch von der Leyen am Mittwoch keine Lösung präsentiert. „Das derzeitige
       System funktioniert nicht mehr. Und in den letzten fünf Jahren war die EU
       nicht in der Lage, es zu reparieren“, schreibt die Kommission. Das stimmt
       genau. Und dabei bleibt es auch.
       
       Denn von [1][der Leyens Migrationspakt] ist eine Aneinanderreihung von
       Leerstellen. Sie betont die Verpflichtung zur Seenotrettung – doch von
       einer europäischen Seenotrettungsmission ist keine Rede. Sie bekennt sich
       zur Notwendigkeit „sicherer Wege“ – an ein Ende der brutalen Indienstnahme
       der libyschen Küstenwache zur Flüchtlingsabwehr ist nicht gedacht. Horst
       Seehofers Idee, [2][Asylanträge zunächst per Schnellverfahren in Lagern an
       den Außengrenzen] prüfen zu lassen, soll umgesetzt werden. Wie die Rechte
       der Geflüchteten dabei gewahrt werden sollen, ist unklar.
       
       Flüchtlinge kommen heute im Wesentlichen über vier Staaten in die EU:
       Griechenland, Italien, Malta und Zypern. Bisher sind diese allein für sie
       zuständig. Deshalb [3][tun sie fast alles, damit weniger Menschen bei ihnen
       ankommen]. Das ist einer der wichtigsten Gründe für das Sterben auf dem
       Mittelmeer und das Elend in Lagern von Lesbos oder Libyen. Gleichzeitig
       lehnen Staaten wie Ungarn, Polen, die Slowakei, Tschechien und Österreich
       verbindliche Umverteilungsquoten, die die Länder an den Außengrenzen
       entlasten würden, strikt ab.
       
       Die Kommission verzichtet in dem Pakt darauf, diese Weigerung zu brechen.
       Stattdessen sollen die Staaten, die keine Flüchtlinge von den Außengrenzen
       aufnehmen wollen, „Abschiebe-Patenschaften“ übernehmen. Dabei handelt es
       sich um ein nachgerade teuflisches Konstrukt: Um zu ermitteln, wer wie
       viele der Ankommenden aufnehmen müsste, soll ein Verteilungsschlüssel
       zugrunde gelegt werden. Jedes Land, das seine Quote dabei nicht über
       Aufnahme erreicht, muss ersatzweise eine entsprechende Anzahl abschieben,
       und zwar innerhalb von acht Monaten. Man braucht nicht viel Fantasie, um
       sich vorzustellen, wie dabei künftig mit den Menschen umgesprungen werden
       wird.
       
       Hinzu kommt: Es lassen sich aus verschiedenen Gründen längst nicht alle
       abschieben, die kein Asyl bekommen. Was geschieht mit dem Rest? Dazu steht
       im Kommissionspapier nichts. Vermutlich müssen sie lange in Lagern
       ausharren, um am Ende doch in Italien oder Griechenland zu bleiben.
       
       Der EU ist es im Jahr 2016 nicht gut bekommen, Länder wie Ungarn zu
       zwingen, Flüchtlinge zu nehmen, die sie partout nicht wollen. Trotzdem gibt
       es einen Hebel gegen den andauernden Boykott von Humanität durch die
       Populisten, und der heißt Geld. Verweigerung muss wehtun. Mit dieser
       Haltung müsste die Kommission wenigstens in die Ratsverhandlungen
       eintreten. Im Pakt findet sich auch davon: nichts.
       
       24 Sep 2020
       
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   DIR [1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/STATEMENT_20_1727
   DIR [2] /Nach-dem-Brand-in-Moria/!5711244
   DIR [3] /Push-backs-von-Gefluechteten/!5687089
       
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   DIR Christian Jakob
       
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