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       # taz.de -- Corona-Kritik mit NS-Begriff: Der „Volkskörper“ ist zurück
       
       > Der Hamburger Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Walter Plassmann
       > greift mit rechter Wortwahl die Coronamaßnahmen in Deutschland an.
       
   IMG Bild: Beklagt einen Verfall der Debattenkultur: Walter Plassmann, hier auf einer Pressekonferenz im März
       
       Hamburg taz | Erst NS-Sprache benutzen, nun Cancel Culture beklagen: Der
       [1][Hamburger Chef der Kassenärztlichen Vereinigung] (KV), Walter
       Plassmann, zieht derzeit alle Register, um gegen die aus seiner Sicht
       überzogenen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu schießen.
       Dabei argumentiert er aus einer vermeintlich allgemeinmedizinischen Sicht –
       ohne selbst Mediziner zu sein.
       
       Zunächst hatte sich Plassmann in einem Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt
       über Coronamaßnahmen in Deutschland ausgelassen. Es würden immer die
       denkbar dramatischsten Entwicklungen beim Verlauf der Krankheit wie bei den
       Ansteckungszahlen angenommen, um politisches Handeln zu begründen.
       
       „Notwendige Relativierungen werden als ‚Verharmlosung‘ verunglimpft“, sagte
       Plassmann. Stattdessen würden „martialische“ Warnungen überwiegen, ob von
       Markus Söder (CSU), Karl Lauterbach (SPD) oder dem Virologen Christian
       Drosten.
       
       Doch gerade diese ständigen „Hiobsbotschaften“ würden die Gesellschaft
       tatsächlich krank machen, meint Plassmann. Was für einen Menschenkörper
       gilt, gelte auch für ein Volk: „Permanenter Stress, ununterbrochene
       Aufgeregtheit und Angst schädigen Körper und Seele eines Menschen. Das ist
       bei [2][einem Volkskörper] und einer Volksseele nicht anders.“
       
       ## Begrifflich fest an rechter Seite
       
       Philipp Osten hat für diese Wortwahl kein Verständnis. „Der Begriff des
       Volkskörpers ist ideologisch besetzt“, sagt der Leiter des Instituts für
       Geschichte und Ethik der Medizin in Hamburg. Der Begriff sei [3][klar in
       der NS-Zeit zu verorten.] „Deshalb ist der Begriff völlig verbrannt“, sagt
       Osten.
       
       Nun ist Plassmann, der seit 2013 an der Spitze der KV in Hamburg steht,
       keinesfalls ein Coronaleugner. Mit seiner Wortwahl jedoch steht Plassmann
       fest an der Seite der extremen Rechten. Schließlich ist der Begriff nicht
       nur aufgrund seiner spezifischen NS-Rassenideologie belastet. Gegenwärtig
       will besonders die AfD den Begriff wieder in den Sprachgebrauch
       einzuführen. Außerdem nutzte die rechtsextremene Corona-Leugnungsgruppe
       „Widerstand 2020“ den Begriff zuletzt.
       
       Christian Drosten erwiderte in seinem NDR-Podcast bereits Plassmanns
       Attacke: „Wir dürfen nicht in der Öffentlichkeit Botschaften setzen, die da
       komplett kontraproduktiv sind.“
       
       Doch obwohl es für die Wortwahl sofort Kritik hagelte, fühlte sich
       Plassmann, der die Interessen der Vertragsärzt*innen als KV-Vorsitzender
       vertritt, jetzt bemüßigt, seine Äußerungen zu verteidigen. Vom Magazin
       Focus ließ er sich befragen, wie er die Kritik an seinen Äußerungen
       wahrgenommen habe.
       
       Dabei meint er einen „Verfall der Debattenkultur“ beobachtet zu haben und
       glaubt, von einer Cancel Culture umgeben zu sein. Statt auf Kritik
       einzugehen, würde mittlerweile nur „der Daumen gehoben oder gesenkt“.
       
       „Das ist der übliche Versuch, sich von vornherein gegen Kritik zu
       immunisieren“, sagt der Göttinger Politikwissenschaftler Michael Lühmann.
       Dieses „populistische Spiel“ sei zwar nicht neu, aber gegenwärtig vermehrt
       in Coronadebatten zu beobachten.
       
       Plassmann argumentiert, dass seine Erkenntnis erst im Verlauf der Pandemie
       entstanden sei. Dabei gab er schon Mitte März, zum Zeitpunkt steigender
       Fallzahlen in Deutschland, der Zeit ein Interview, in dem er das Virus als
       kaum gefährlicher als andere Viren einschätzte.
       
       ## Ärztekammer hält sich zurück
       
       Nun ist Plassmann allerdings selbst kein Mediziner. Bevor er über die
       Krankenkassen-Branche bei der KV landete, war er journalistisch tätig.
       Unter anderem ist er Autor des Buchs „Die Kanarischen Inseln sehen und
       erleben“, in dem es um die Geschichte und Sehenswürdigkeiten der
       Inselgruppe geht.
       
       Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer und damit oberster
       Berufsvertreter der niedergelassenen wie angestellten Ärzt*innen, hält sich
       mit Kritik am KV-Chef zur Volkskörper-Wortwahl zurück. „Der Begriff ist
       unglücklich gewählt, aus der persönlichen Kenntnis heraus würde ich das
       aber nicht überbewerten“, sagt Emami.
       
       Dass Plassmann eine falsche Debattenkultur beklagt, sei aber richtig: „Der
       Ton wird auf allen Seiten gegenwärtig immer aggressiver – das mindert die
       Akzeptanz der Maßnahmen.“
       
       Plassmann äußerte sich zu seiner Wortwahl gegenüber der taz bis
       Redaktionsschluss nicht. Er ist laut KV momentan im Urlaub.
       
       24 Sep 2020
       
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