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       # taz.de -- Gas-Projekt Nord Stream 2: Ist die Pipeline noch zu stoppen?
       
       > Für Streit sorgt die Gas-Pipeline Nord Stream 2 schon lange. Sie nach der
       > Vergiftung des Regimekritikers Nawalny zu beenden, ist aber nicht
       > einfach.
       
   IMG Bild: Ob die Pipeline Baustelle bleibt? Anladestation der Nord Stream 2 in Mecklenburg-Vorpommern
       
       Berlin taz | Eigentlich hätte Nord Stream 2 längst fertig sein sollen: Von
       der geplanten 2.460-Kilometer-Doppelröhre von Russland ins
       mecklenburg-vorpommersche Lubmin sind 94 Prozent bereits auf dem Grund der
       Ostsee verlegt; weniger als 150 Kilometer fehlen noch zur
       Vervollständigung. Das liegt daran, dass die USA im vergangenen Dezember
       [1][scharfe Sanktionen] gegen alle Unternehmen beschlossen haben, die sich
       weiter an der Pipeline beteiligen.
       
       Daraufhin hatte die Schweizer Firma Allseas, die die Pipeline mit ihren
       Spezialschiffen aus einzelnen Elementen zusammensetzt und in der Ostsee
       versenkt, ihre Arbeit eingestellt. Zwei russische Ersatzschiffe, die hätten
       einspringen sollen, können derzeit nicht weitermachen: In dänischen
       Gewässern darf wegen der Laichzeit des Dorschs bis Ende September nicht
       gearbeitet werden.
       
       Theoretisch ist es also noch möglich, die Fertigstellung der Pipeline zu
       verhindern, wie es immer mehr PolitikerInnen jetzt als Reaktion auf den
       Gift-Anschlag auf den Kreml-Kritiker Alexei Nawalny fordern, darunter
       CDU-Außenpolitiker und Vorsitz-Kandidat Norbert Röttgen ebenso wie die
       Fraktion der Grünen im Bundestag. Wie genau ein solcher Stopp durchgesetzt
       werden könnte, bleibt aber unklar.
       
       Denn alle erforderlichen Genehmigungen für den Nord-Stream-2-Bau sind
       längst erteilt. Werden sie widerrufen, drohen hohe Schadenersatzforderungen
       der Betreiber, räumt auch der Osteuropa-Experte der Grünen im Bundestag,
       Manuel Sarrazin, ein. Bisher sind rund 10 Milliarden Euro in den Bau der
       Pipeline geflossen.
       
       Klage, EU-Gasrichtlinie, Trump 
       
       Möglicherweise wird das zuständige Bergamt Stralsund jedoch von einem
       Gericht gezwungen, die Genehmigung für Nord Stream 2 zu widerrufen: Die
       Deutsche Umwelthilfe hat [2][Klage gegen die Genehmigung] eingereicht, weil
       sie die Umweltverträglichkeitsprüfung für Nord Stream 2 für unzureichend
       hält. Wann über den Fall entschieden wird und welche Folgen das Urteil
       hätte, ist noch offen.
       
       Eine andere Möglichkeit, Nord Stream 2 noch aufzuhalten, bietet die
       EU-Gasrichtlinie. Sie gilt neuerdings auch für Pipelines, die von außerhalb
       der EU ins Unionsgebiet führen. Die Richtlinie sieht vor, dass die
       Bundesnetzagentur Nord Stream 2 vor der Inbetriebnahme genehmigen muss. Das
       darf sie nur, wenn der Betreiber der Pipeline und der Lieferant des Gases
       nicht identisch sind.
       
       Nord Stream 2 erfüllt diese Bedingung bisher nicht; der russische
       Staatskonzern Gazprom ist sowohl Eigentümer der Pipeline als auch Produzent
       des transportierten Gases. Fünf westeuropäische Unternehmen, darunter die
       deutschen Energiekonzerne Uniper und Wintershall, beteiligen sich zwar mit
       jeweils 950 Millionen Euro an der Finanzierung, sind aber formal keine
       Miteigentümer.
       
       Das sogenannte Unbundling, also die Trennung von Pipeline-Betrieb und
       Gaslieferung, würde die Situation für Gazprom deutlich komplizierter
       machen. Doch wenn diese Bedingung erfüllt würde, gäbe es auch über das
       EU-Recht vermutlich keine Möglichkeit mehr, Nord Stream 2 ohne
       Schadenersatzzahlungen zu verhindern.
       
       KritikerInnen setzen darum eher darauf, die Pipeline durch politischen
       Druck zu stoppen. „Es würde einen großen Unterschied machen, wenn Angela
       Merkel dem Projekt das politische Backing entziehen würde“, meint der
       Grünen-Abgeordnete Sarrazin. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte am
       Donnerstag auf Anfrage zwar erneut, bei Nord Stream 2 handele es sich um
       „ein unternehmerisches Projekt“. Tatsächlich hat die Bundesregierung sich
       aber intensiv für dessen Zustandekommen eingesetzt.
       
       Die größte Chance, das Projekt noch aufzuhalten, kommt aber weiterhin aus
       den USA. Das wissen auch die deutschen KritikerInnen der Pipeline. Laut
       sagen mag das niemand – denn die extraterritorialen Sanktionen, mit denen
       Präsident Donald Trump gemeinsam mit dem Kongress droht, gelten als Verstoß
       gegen das Völkerrecht und gefährlicher Präzedenzfall. Doch wenn die USA mit
       diesen Ernst machen, könnten auch die russischen Schiffe die Pipeline
       vermutlich nicht mehr retten: Weil die Sanktionen auch für alle Firmen
       gelten sollten, die die Pipeline unterstützen, dürfte es dann schwierig
       werden, tatsächlich Gas durch sie zu transportieren.
       
       4 Sep 2020
       
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