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       # taz.de -- Hennig-Wellsow für Linksparteivorsitz: Die Schnellläuferin
       
       > Susanne Hennig-Wellsow hat in Thüringen Chefinnenpotenzial bewiesen. Mit
       > ihrer Kandidatur für den Linken-Vorsitz setzt sie viel aufs Spiel. Ein
       > Porträt.
       
   IMG Bild: Regieren und dabei ein bisschen Randalieren: Susanne Hennig-Wellsow macht beides möglich
       
       Für die großen Entscheidungen in ihrem Leben nimmt sich Susanne
       Hennig-Wellsow Zeit. Im Jahr 2000 war das so. Damals hängte sie ihre
       Eisschnelllaufstiefel an den Nagel. Sechzehn Jahre Leistungssport,
       Kurzstrecke, 40 Stunden Training pro Woche: Aus, vorbei. Ein Jahr habe sie
       damals hin und her überlegt, erzählt Hennig-Wellsow. Die Entscheidung sei
       ihr schwergefallen: „Eisschnelllauf, das war mein Leben.“
       
       Am Freitag hat Hennig-Wellsow wieder eine fundamentale Entscheidung für
       sich getroffen: Sie will auf dem Parteitag der Linken im Oktober für das
       [1][Amt der Parteichefin kandidieren]. Sie habe echt Bock darauf, sagt sie
       auf einer Pressekonferenz nach der Sitzung des Landesvorstands. Sie wolle
       aus der etwas verschlafenen Partei eine Partei machen, die den Aufbruch
       will.
       
       Auch für diese Entscheidung brauchte sie Zeit. „Ich fange an, mich in
       Thüringen ein wenig zu langweilen“, sagte Hennig-Wellsow beiläufig [2][bei
       einem Treffen] in einem Straßencafé in Erfurt. Das war im Spätsommer 2019,
       damals war die Linke gerade mitten im Wahlkampf. Bodo Ramelow trat als
       Ministerpräsident mit Amtsbonus für die Linkspartei an, die sich
       anschickte, erstmals in ihrer Geschichte stärkste Kraft bei einer
       Landtagswahl zu werden. Es gelang am Ende. Und das war auch Hennig-Wellsows
       Verdienst.
       
       ## Ein guter Umgang mit Macht
       
       In Erfurt, wo sie aufgewachsen ist und das Sportgymnasium besucht hat, trat
       sie 2004 erstmals für die damalige PDS als Kandidatin an. Als jüngste
       Abgeordnete zog sie in den Landtag ein, so wie Janine Wissler einige Jahre
       später in Hessen. 2013 wurde sie Landesvorsitzende und im Jahr darauf auch
       Fraktionsvorsitzende der Linken. Solche Doppelämter sind ungewöhnlich in
       der Partei und einigen auch suspekt. „Die Susi ist in Thüringen schon
       ziemlich dolle Chefin“, sagt ein führender Linken-Politiker. Er meint es
       eher anerkennend.
       
       Hennig-Wellsow könne gut mit Macht umgehen, sagt die ehemalige Thüringer
       Linken-Abgeordnete, Sabine Berninger, die 2019 aus dem Landtag ausschied.
       „Sie hat eine vermittelnde Art, kann zuhören und setzt sich mit Argumenten
       auseinander.“ Berninger schätzt Hennig-Wellsow. „Sie ist ehrlich und
       direkt. Manchmal vielleicht eine Spur zu direkt.“
       
       Als sie Vorsitzende wurde, machte sich Hennig-Wellsow daran, den
       angejahrten Landesverband zu verjüngen, und förderte talentierte
       Nachwuchspolitiker:innen. Als einziger ostdeutscher Landesverband
       schrumpfte die Thüringer Linke nicht, sondern wuchs von Jahr zu Jahr. Das
       ist nicht allein dem Bonus des Ausnahmepolitikers Bodo Ramelow zu
       verdanken, sondern der Kombination Ramelow/Hennig-Wellsow.
       
       ## Regieren und Randalieren
       
       Der cholerische Ex-Gewerkschaftler und die disziplinierte
       Ex-Leistungsportlerin sind ein ungleiches Team. Die FAZ brachte ihre
       unterschiedlichen Persönlichkeiten mal anhand ihrer Hunde auf den Punkt:
       Ramelow besitzt einen Jack-Russell-Terrier, Hennig-Wellsow einen Labrador.
       Gegensätzliche Charaktere, die sich ergänzen und einander vertrauen.
       
       Während [3][Ramelow wankende CDU-Wähler:innen] als Landesvater umwirbt,
       versammelt Hennig-Wellsow den Landesverband hinter dem eigenwilligen
       Spitzenpolitiker und versöhnte die Linkspartei mit sich selbst. Sie machte
       vor, dass beides möglich ist: Regieren und dabei ein bisschen Randalieren.
       
       Während Ramelow in der Staatskanzlei residiert, kocht Hennig-Wellsow auch
       mal Kaffee für Antifa-Gruppen im Linken-Treffpunkt Redroxx in Erfurt. Am 1.
       Mai tritt Ramelow staatsmännisch im Anzug auf, Hennig-Wellsow hockt in
       Jeans auf der Straße, um eine AfD-Kundgebung zu blockieren. Der Landtag hob
       deswegen im letzten Jahr ihre Immunität auf, die Staatsanwaltschaft
       ermittelte wegen Nötigung. Inzwischen wurde das Verfahren eingestellt.
       
       ## Eindrücklicher Fall des Blumenstraußes
       
       Jeden Morgen um kurz nach 7:00 Uhr telefonieren Ramelow, Hennig-Wellsow und
       ihr Stellvertreter Steffen Dittes und sprechen alle Angelegenheiten des
       Tages durch. Auch vor ihrer Entscheidung für den Parteivorsitz zu
       kandidieren, hatte sich Hennig-Wellsow mit Ramelow beraten.
       
       Er habe ihr abgeraten. Einerseits wegen seiner eigenen Erfahrungen auf
       bundespolitischem Parkett. [4][Ramelow] war 2005 Wahlkampfleiter und
       managte die Fusion zwischen WASG und PDS zur Linken, fasste aber in der
       Bundespartei nie richtig Fuß. Doch der wichtigste Grund: Ramelow braucht
       Hennig-Wellsow in Thüringen. Im Frühjahr 2021 will er sich erneut zum
       Ministerpräsidenten wählen lassen.
       
       Der erste Versuch nach der gewonnen Landtagswahl 2019 geriet im [5][Februar
       2020 zum Desaster]. Die Linkspartei war zwar stärkste Kraft geworden, hatte
       aber mit den designierten Partnern SPD und Grünen keine Mehrheit mehr und
       war auf die Unterstützung der CDU angewiesen. Statt Ramelow wählten die
       CDU-Abgeordneten jedoch im dritten Wahlgang den FDP-Vorsitzenden Thomas
       Kemmerich, der durch mit den Stimmen der AfD dann gewann.
       
       Es folgte eine Regierungskrise, in der Hennig-Wellsow ihre
       bundespolitischen Pläne erstmal auf Eis legte. Es waren aber auch jene
       Tage, die sie über die Landesgrenzen hinaus bekannt machten und aus dem
       Schatten Ramelows treten ließen. Als Kemmerich zum Ministerpräsidenten
       vereidigt worden war, schmiss sie ihm mit einem [6][knappen Nicken den
       Blumenstrauß vor die Füße]. Die Frau mit dem [7][Blumenstrauß] saß danach
       in Talkshows bei Markus Lanz und Anne Will.
       
       Im März wurde Ramelow dann doch noch zum Ministerpräsidenten gewählt –
       [8][diesmal geduldet von der CDU]. Die Duldung läuft Ende des Jahres ab.
       Danach ist in Thüringen wieder Wahlkampf. Und Hennig-Wellsow vielleicht
       schon in Berlin. Denn ganz begraben hatte sie ihre Pläne nie.
       
       Thüringen, das 2,1-Millionen-Einwohner:innen-Land, sei doch auf Dauer ganz
       schön klein, sagt sie Ende August wiederum in einem Straßencafé, diesmal in
       Berlin. Sie brauche auch mal eine andere politische Perspektive.
       
       Denn die Satzung der Linkspartei gilt natürlich auch für die Landesebene:
       Kein Parteiamt soll länger als acht Jahre durch dasselbe Mitglied ausgeübt
       werden. Im nächsten Jahr wäre Hennig-Wellsow acht Jahre Thüringer
       Landesvorsitzende.
       
       Ihre Kandidatur für den Parteivorsitz ist auch ein Risiko: für sie und für
       die Thüringer Linke. Wenn Hennig-Wellsow die Wahl auf dem Parteitag Ende
       Oktober verlöre, würde sie wohl nicht einfach achselzuckend zurückkehren in
       die Landespolitik. Gewinnt sie, hat die Thüringer Linkspartei womöglich
       wenige Monate vor der Landtagswahl eine Nachfolgediskussion am Hals.
       
       Als sich Hennig-Wellsow im Jahr 2000 entschied, ihre Karriere als
       Profisportlerin zu beenden, lag das auch an den fehlenden
       Entwicklungsmöglichkeiten. Die goldene Generation der Eisschnellläuferinnen
       – Claudia Pechstein, Anni Friesinger, Gunda Niemann-Stirnemann – mit denen
       sie damals trainierte, hätten damals alle wichtige Startpositionen besetzt,
       erzählt Hennig-Wellsow. „Meine Generation ist irgendwann an eine gläserne
       Decke gestoßen.“
       
       Ihre Startposition [9][für den Parteivorsitz] ist vergleichsweise gut.
       Führende Vertreter:innen der ostdeutschen Landesverbände unterstützen sie.
       Mit [10][Janine Wissler] tritt eine zweite Kandidatin an, die den linken
       Flügel und die Landesverbände im Westen abholen kann und eine passende
       Ergänzung wäre. Jetzt muss Hennig-Wellsow nur noch gewinnen.
       
       5 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kandidatur-fuer-Linksparteivorsitz/!5709390
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   DIR [7] https://www.youtube.com/watch?v=VfYdO6L366U
   DIR [8] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5669597
   DIR [9] /Linken-Parteivorsitzende-tritt-nicht-mehr-an/!5710564
   DIR [10] /Janine-Wissler-im-Portraet/!5712376
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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