# taz.de -- Internationales Literaturfestival Berlin: Bücher in Zeiten der Pandemie
> Am Mittwoch beginnt das Internationale Literaturfestival Berlin,
> teilweise gestreamt. Es geht um Bioökononie und toxische Männlichkeit.
IMG Bild: Mario Vargas Llosa eröffnet das Internationale Literaturfest Berlin am Mittwoch im Kammermusiksaal
Momentan ein Publikumsfestival zu veranstalten, ist eine Herausforderung.
Das internationale literaturfestival berlin (ilb) hat dabei einen
naheliegenden Weg gewählt: Erstmals wird ein Teil der Lesungen und
Gespräche gestreamt – teils mit, teils ohne Publikum, mal live, mal vorab
aufgezeichnet.
Mehr als die Hälfte aller Veranstaltungen bleiben gleichwohl Live-Formate
mit Zuschauern. Nach Berlin kommen etwa zwei Literaturnobelpreisträger: der
Peruaner [1][Mario Vargas Llosa] und die Polin [2][Olga Tokarczuk], die
Preisträgerin für 2018. David Grossmann wird dagegen per Video aus Israel
zugeschaltet, Richard Ford aus den USA, während ein Gespräch mit der
Chilenin Isabel Allende zuvor aufgenommen wurde.
Mit seinem überbordenden [3][Programm,] diversen Sektionen und Autor*innen
aus allen Kontinenten, die Einblicke in andere Welten gewähren, ist das ilb
eine Art Berlinale für Literatur. Wie schon 2019 wird am Stammsitz, dem
Haus der Berliner Festspiele, gebaut, weshalb das ilb weiterhin an mehreren
Orten läuft, darunter findet sich das Weddinger Silent Green als
Festivalzentrum.
Gerade im 20. Jubiläumsjahr muss das ilb nun aber mit den erschwerten
Umständen von Maskenpflicht und Mindestabstand umgehen: Hat etwa die
Betonhalle des Silent Green sonst rund 400 Sitzplätze, dürfen jetzt nur gut
ein Viertel belegt werden. Bei den Streamings haben immerhin alle
Interessierten die Möglichkeit, zumindest virtuell teilzunehmen. Und weil
dieses Jahr weniger Autor*innen aus dem Ausland anreisen, verbessert sich
zudem die Festival-Klimabilanz.
Eines betonen die Organisatoren jedoch: Das Literaturfestival soll ein Ort
der Begegnung und des Austauschs bleiben. Eine komplette Digitalisierung
werde es auch künftig nicht geben.
## Der kritische Geist der Leser
Offiziell eröffnet wird das Festival am Mittwoch im Kammermusiksaal von
Mario Vargas Llosa, einem der großen Erzähler Lateinamerikas – als
Intellektueller fällt der 84 Jahre alte Liberale inzwischen aber oft durch
irritierende Kommentare auf. Zu Beginn der Pandemie sprach er etwa von
einer „Coronavirus-Paranoia“.
Bleibt zu hoffen, dass Vargas Llosa nicht zum Covid-19-Leugner mutiert ist,
wo wir ja schon genug damit zu tun haben, einen Umgang mit den
„Querdenker“-Demos zu finden. Ob Literatur, deren hervorragendste Aufgabe
laut Vargas Llosa ist, „den kritischen Geist der Leser gegenüber der
Realität zu schärfen“, dabei helfen kann?
Vielleicht helfen die Texte des Ex-Sozialarbeiters JJ Bola über alternative
Männlichkeitsbilder. Der in Kinshasa geborene und in London aufgewachsene
Autor empfiehlt jungen Männern, mit ihrer Wut umzugehen, indem sie in ein
Tagebuch notieren, was sie aufregt oder zum Weinen bringt. „Schreibt auf,
was euch frustriert!“ Das helfe, die eigenen Gefühle besser zu verstehen.
In Berlin stellt JJ Bola seinen Essayband „Sei kein Mann“ vor.
## Visionen der Bioökonomie
Es sind vornehmlich jüngere Autor*innen wie JJ Bola, die sich beim ilb den
dringenden Fragen der Zeit stellen. Nana Kwame Adjei-Brenyah wird etwa (per
Video aus den USA) seine „[4][Friday Black“-]Erzählungen im Fokus über
Dekolonisierung präsentieren: Geschichten zwischen Sci-Fi, Splatter und
Satire über Polizeigewalt, Rassismus und perversen Konsum, die sich wie ein
sarkastischer Kommentar auf die präapokalyptische Lage in den USA lesen.
Spannend dürfte auch die Reihe „Visionen der Bioökonomie“ werden, in der
über Landgrabbing ebenso diskutiert wird wie über kommunizierende Bäume.
Autoren wie der queere dänische Shooting Star Jonas Eika haben dazu eigene
Texte vorbereitet.
Toxische Männlichkeit, Rassismus und die Sprache der Bäume: Solch wichtige
Fragen werden auf einem Literaturfestival aufgeworfen, das bis heute keine
institutionelle Förderung erhält. Bei den reduzierten Plätzen in diesem
Jahr rechnen die Veranstalter mit rund 70.000 Euro weniger beim
Ticketverkauf – und rufen darum zur Unterstützung auf: Wer will, kann für
die kostenlosen Stream-Formate einen Betrag seiner Wahl spenden.
9 Sep 2020
## LINKS
DIR [1] /Harte-Jahre-von-Mario-Vargas-Llosa/!5691628
DIR [2] /Literaturnobelpreis-fuer-Olga-Tokarczuk/!5628930
DIR [3] https://www.literaturfestival.com/festival/programm
DIR [4] /Erzaehlband-Friday-Black/!5706092
## AUTOREN
DIR Ole Schulz
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