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       # taz.de -- Flüchtlingslager Moria in Flammen: Moria ist abgebrannt
       
       > Das größte griechische Geflüchtetenlager Moria auf der Insel Lesbos ist
       > fast vollständig verbrannt. Die 12.600 Bewohner werden evakuiert.
       
   IMG Bild: Moria in der Nacht zum Dienstag: Zelte und andere Wohnbereiche stehen in Flammen
       
       Athen/Hannover dpa/afp/taz | Das Flüchtlingslager Moria auf der
       griechischen Insel Lesbos stand nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der
       Nacht zum Mittwoch fast vollständig in Flammen. In den frühen Morgenstunden
       wütete das Feuer weiter, angefacht von Winden mit bis zu 70
       Stundenkilometern. Nach Angaben eines Fotografen der Nachrichtenagentur AFP
       brannte fast das gesamte Lager.
       
       Nach Angaben der Feuerwehr waren mehrere Brände innerhalb des Lagers wie
       auch in der Landschaft der Umgebung ausgebrochen. Der AFP-Fotograf
       berichtete in der Nacht, auch ein außerhalb des Hauptlagers liegender
       Olivenhain mit Zeltunterkünften für Flüchtlinge brenne.
       
       Schon in der Nacht begannen die Behörden laut griechischen Medienberichten
       mit der Evakuierung des Lagers, nachdem Wohncontainer Feuer gefangen
       hatten. Über Verletzte oder gar Tote gab es zunächst keine Informationen.
       In Tweets einiger vorort tätiger Hilfsorganisationen war von Toten und
       Verletzten die Rede, ohne dass das jedoch zunächst bestätigt wurde.
       
       Moria ist das größte Flüchtlingslager Griechenlands und Europas. Es ist
       seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt leben dort nach Angaben des
       griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten –
       bei einer Kapazität von gerade einmal 2.800 Plätzen.
       
       ## Wer die Brände gelegt hat, blieb zunächst unklar
       
       Vorangegangen waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager seit
       voriger Woche nach einem [1][ersten Coronafall] unter Quarantäne gestellt
       worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten
       bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen,
       um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche
       griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre
       Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen
       geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.
       
       Ob die Brände von Flüchtlingen oder Inselbewohnern gelegt wurden, blieb
       vorerst unklar – die Angaben dazu gingen zunächst auseinander. Auf rechten
       Socia-Media-Accounts ist jedoch bereits von einem „Erpressungsversuch
       illegaler Migranten“ zu lesen, und es wird die Vermutung nahegelegt, dass
       der Brand in Moria mit der wenige Tage zuvor gestarteten [2][„Wir haben
       Platz“-Kampagne] zugunsten der Aufnahme der Menschen aus Moria in
       Deutschland zusammenhängen könnte.
       
       Der grüne Europa-Abgeordnete Erik Marquardt schrieb auf [3][Twitter]: „Ich
       weiß nicht, wer die Feuer gelegt hat. Aber ich weiß, dass viele wollen,
       dass dieser entwürdigende Ort nicht mehr existiert. Wir haben politisch
       versagt, jahrelang.“
       
       Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit
       Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern,
       berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der
       Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken
       zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die „Bye-bye,
       Moria!“ sangen.
       
       ## Corona ließ die Spannungen im Lager explodieren
       
       Viele der mehr als 12.000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager
       lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich
       auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien
       berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt
       und ihnen den Weg versperrt haben. Am Morgen wurde berichtet, die meisten
       harrten unter Polizeibewachung auf einer Autobahn aus.
       
       Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Coronaproblematik sei
       die Situation nun regelrecht explodiert, sagte Mytilinis Bürgermeister
       Stratos Kytelis dem griechischen Staatssender ERT. Man wisse nicht, wo die
       Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch
       für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.
       
       Hilfsorganisationen fordern schon seit geraumer Zeit die Evakuierung des
       Lagers. Mehrere deutsche Bundesländer hatten sich bereit erklärt, Menschen
       aus dem Lager aufzunehmen. Das scheiterte jedoch am [4][Widerstand des
       Bundesinnenministers Horst Seehofer] (CSU).
       
       ## Pistorius verlangt Auflösung
       
       Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat nach dem Ausbruch der
       Brände die Auflösung des Lagers gefordert. „Ich fordere die Bundesregierung
       und die europäischen Staaten auf, das Lager aufzulösen und die Menschen
       über die EU zu verteilen, damit sie dann in Europa ihr Asylverfahren
       durchlaufen können“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch. „Das Feuer im
       Lager Moria auf Lesbos ist eine Tragödie. Es trifft die Schwächsten.“ Das
       überfüllte Lager sei das „Symbol für das Versagen europäischer
       Flüchtlingspolitik. Sie hat die Menschen vor Ort quasi zu Gefangenen
       gemacht“.
       
       Pistorius betonte: „Meine Gedanken sind bei den Menschen, die in ohnehin
       auswegloser Situation mit der nächsten Katastrophe konfrontiert sind.“ Er
       forderte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die
       Mitgliedstaaten dazu auf, alles zu tun, damit den Menschen geholfen werde.
       Auch verlangte er, noch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein
       System der Flüchtlingsverteilung umzusetzen, das „endlich klare Antworten
       auf die seit Jahren bekannten Fragen gibt“. Dieses System müsse EU-Staaten,
       die entgegen der humanitären Grundsätze Europas nicht dazu bereit seien,
       Menschen aufzunehmen, „drastisch“ in Haftung nehmen.
       
       „Bei meinen beiden Besuchen auf Lesbos war die Situation in Moria schon
       völlig inakzeptabel, nach diesem Brand jetzt vor dem Winter wird es Zeit,
       diesem unwürdigen, lebensgefährlichen Schauspiel ein Ende zu setzen“, sagte
       Pistorius. „Die EU muss sich daran messen lassen, wie sie mit den
       Schwächsten umgeht.“
       
       9 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gefluechtete-auf-Lesbos/!5712046
   DIR [2] /Aktion-fuer-Gefluechtete-am-Reichstag/!5708164
   DIR [3] https://twitter.com/ErikMarquardt/status/1303464593814179845
   DIR [4] /Aufnahme-von-Gefluechteten/!5702044
       
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